Dirk Müller: Eine Kriminalgeschichte, die Mitte der 80er-Jahre ganz Amerika in Atem hält und auch in Deutschland viel diskutiert wurde. "Ein Deutscher begeht einen brutalen Doppelmord in den USA" – so die Schlagzeilen. Der 18jährige Jens Söring ersticht in Bedford County in Virginia die Eltern seiner damaligen Freundin Elizabeth Haysom. Das junge Paar flüchtet aus den USA, wird später dann aber in Großbritannien festgenommen. Der Deutsche wird dann fünf Jahre später nach seiner Überstellung an die USA wegen zweifachen Mordes zu zweimal lebenslänglich Haft verurteilt.
Er hatte die Tat zunächst gestanden, widerruft diese aber später. Jens Söring argumentiert: "Ich habe die Tat auf mich genommen", für seine damalige Freundin. Der Verurteilte beteuert immer wieder danach seine Unschuld. 2016 erscheint sogar ein Dokumentarfilm über ihn. Wir haben gerade einen Ausschnitt gehört. Er schreibt viele Bücher, er gibt viele Interviews, er wirbt für seine Freilassung. Er bekommt prominente Unterstützung dabei von Tom Hanks zum Beispiel oder von John Grisham. Auch auf Regierungsebene zwischen Washington und Berlin ist der inhaftierte Doppelmörder immer wieder ein Thema. Seit Dienstag ist Jens Söring raus aus dem Gefängnis, nach 33 Jahren Haft. Er ist frei, er soll nach Deutschland abgeschoben werden, der Zeitpunkt ist immer noch unklar.
Darüber wollen wir jetzt sprechen mit dem CDU-Politiker und mit dem Regierungsbeauftragten für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, Peter Beyer, der den Inhaftierten in Virginia zweimal besucht hat. Guten Morgen!
Peter Beyer: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Beyer, ist Jens Söring den Amerikanern als Häftling einfach zu teuer geworden?
Beyer: Den Kostenaspekt hört man immer wieder, aber ich glaube, es ging weniger um die Kosten als vielmehr darum, dass einerseits tatsächlich die Sach- und Faktenlage so ist, dass einfach sehr viele Zweifel an seiner tatsächlichen Tatbeteiligung festgestellt werden konnten. Und darüber hinaus muss man auch wissen, dass dieser Fall Jens Söring in den letzten Jahren immer wieder ein Spielball auch der Politik zwischen Demokraten und Republikanern war. Deswegen ist es jetzt so, dass er auf dem Weg ist, ein freier Mann zu sein.
Müller: Die Verurteilung war ein Fehlurteil?
Beyer: Nein, das kann ich nicht sagen. Er ist rechtskräftig verurteilt worden und ich glaube, wir sollten uns alle bewusst machen, dass es jetzt nicht um die Frage mehr geht, ist er schuldig oder nicht schuldig, war er am Tatort oder war er nicht am Tatort. Da gibt es durchaus Zweifel. Es ist ein Fall, der, glaube ich, mit keinem anderen vergleichbar ist, mit so vielen Informationen auch – Sie erwähnten es in der Anmoderation -, viele Bücher, Dokumentationsfilme, also sehr viel Wissen, aber auch wie gesagt, die politischen Konstellationen spielen doch eine ganz erhebliche Rolle bei diesem Fall.
Müller: Vielleicht bleiben wir dabei. Wie kommen Sie als Regierungspolitiker dazu, einen verurteilten Doppelmörder zu besuchen?
Beyer: Es ist so, dass ungefähr 170 Deutsche zurzeit noch inhaftiert sind, deutsche Staatsbürger in den Vereinigten Staaten von Amerika. Jens Söring genau wie die übrigen auch wird rechts- und konsularmäßig behandelt, seit vielen, vielen Jahren durch die Botschaftsangehörigen vor Ort in Washington. Die standen unterstützend zur Seite. Ich selber, bei mir ganz persönlich ist es so: Als Jens Söring mich mit handschriftlichen Briefen, ich glaube, im Jahr 2011/12, muss das frühestens gewesen sein, angeschrieben hatte, habe ich mich dort eingelesen und gesehen, das spielt ja da, wo Du selber studiert hast, nämlich in Charlottesville an der University of Virginia, wo auch Jens Söring und seine damalige Freundin studiert hatten, wo das alles, wo dieser Fall passiert ist. Ich bin zuständig seit zehn Jahren hier für transatlantische Beziehungen im Bundestag und bin auch noch Rechtsanwalt. Das alles zusammen hat mich sehr interessiert an dem Fall und so kam das dann, dass wir auch uns mal persönlich kennengelernt haben.
"Mental wie eh und je sehr stark"
Müller: Ich hatte das gelesen. Sie haben Jens Söring noch in diesem Sommer in Virginia getroffen. Das war so?
Beyer: Im Juli haben wir uns das letzte Mal gesehen.
Müller: Welchen Eindruck hatten Sie?
Beyer: Mental wie eh und je sehr stark, sehr starke Persönlichkeit und körperlich sehr fit. Er läuft im Kreis letztlich auf dem Gefängnishof jede Woche zweimal die Woche zehn Meilen und macht über 400 Klimmzüge jeden Tag. Er hat eine geistige und auch körperlich gestellte Verfassung. Er macht einen sehr starken und auch sehr hoffnungsvollen Eindruck auf mich.
Müller: Wie hat er das geschafft, 30 Jahre lang sich noch so zu motivieren, weiterzumachen?
Beyer: Ja, das ist in der Tat eine Frage, die ich mir auch immer wieder gestellt habe, die ich ihm auch gestellt habe. Er lacht dann immer ein bisschen und sagt, er hat sich behauptet, er hat sich auch Respekt verschafft, indem er auch anderen Häftlingen geholfen hat bei deren administrativen Anliegen, und hat in der Tat über Jahrzehnte hinweg dort überlebt. Sie müssen wissen – und das weiß ich auch von Jens Söring selber, er hat mir das im Einzelnen mal geschildert -, wie die Gangs, wie die Drogen-Dealerei dort stattfindet, wie die täglichen Vergewaltigungen dort stattfinden. Er sagt, er sei davon letztlich verschont geblieben, weil er sich Respekt verschafft hat und letztlich auch die physische Fitness so hat, dass sich an ihn wohl wenige herantrauten. Aber mehr habe ich den Eindruck, dass er sich durch seinen Intellekt und durch seine mentale Stärke Respekt verschafft hat. Das haben die anderen Gefangenen gemerkt und er stand auch helfend anderen zur Seite.
Beyer: Jens Söring hatte eine Art Sonderstatus
Müller: Sie haben die Stichpunkte gerade noch einmal genannt: Drogen, Gewalt, Vergewaltigung. Das kennen viele von uns aus den Spielfilmen, aber auch aus vielen Dokumentationen. Jetzt haben Sie gesagt, Jens Söring ist das alles nicht passiert. War das glaubwürdig?
Beyer: Ich muss mich auf das verlassen, was er mir sagt. Wir haben uns in Besucherräumen getroffen. In die Zellen und so weiter konnten wir nicht rein, da hatten wir uns nicht getroffen. Das ist schon sehr abgeschottet. Ich hatte jetzt keinen Zweifel daran, dem nicht zu glauben. Das hörte sich schon sehr glaubwürdig an, das Ganze. Darüber hinaus ist es so, dass die Wachmannschaft völlig unterbesetzt ist. Ich habe die genauen Zahlen nicht mehr im Kopf, aber es sind deutlich weniger Wachleute in diesem Buckingham Correctional Center, als eigentlich Posten vorhanden sind. Meiner Einschätzung nach ging es relativ lose dort zu. Der persönliche Eindruck mag aber auch etwas verzerrt sein, weil Jens Söring schon, glaube ich, eine Art Sonderstatus hatte, weil viele, so schilderte er mir, seiner Mithäftlinge und auch der Wachmannschaft glaubten, Du gehörst hier nicht rein und irgendwann bist Du hier draußen. Er hatte schon, glaube ich, ein bisschen mehr Freiheiten als ein normaler Gefangener.
Müller: Ich möchte das jetzt noch einmal thematisieren, obwohl ich Sie das gleich zu Beginn gefragt habe, Herr Beyer. Es gibt amerikanische Politiker, Kongressabgeordnete, die für Virginia kandidieren, die mit dem Fall auch immer wieder beschäftigt waren. Da gibt es ein Zitat, jetzt paraphrasiert, die Freilassung von ihm ist eine Schande, weil er keine Reue gezeigt hat, weil es keine Entschuldigung gegeben hat für die Tat. Das wird alles nur gemacht, ist jedenfalls die These dieses Abgeordneten, um Geld zu sparen. – Welchen Eindruck hatten Sie ob seiner Reue?
Beyer: Sie hatten das ja auch in der Anmoderation geschildert. Er hat nach seinem ursprünglichen Geständnis das widerrufen und hat das versucht zu erklären. Das hört sich ein wenig abenteuerlich und naiv an. Ich kann das selber nicht verifizieren. Fakt ist, dass im Laufe der Jahre es auch Rechtsänderungen gegeben hat, neue Gesetze, die unter anderem auch die DNA-Analyse zugelassen haben, und die Faktenlage, die nach der Verurteilung – die ist rechtskräftig, daran gibt es nichts zu rütteln – sich gestellt hat, ist, dass am Tatort keine einzige der gefundenen DNA-Spuren zu Jens Söring passten. Es muss mindestens noch eine andere Person, die bisher unbekannt ist, am Tatort gewesen sein. Es gibt da erhebliche Zweifel und wenn man das dann mal macht, den Vergleich der Rechtssysteme – in Deutschland gibt es seit der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung lebenslänglich immerhin nach einiger Zeit die Aussicht darauf, wieder auf freien Fuß zu gelangen. Das schien in den USA jetzt nicht der Fall zu sein. Über, ich glaube, 17-, 18mal hat der Bewährungsausschuss gesagt, nein, wir lassen Dich nicht raus, und das hat sich jetzt geändert. Es ging nicht nur um Kosten. Ich halte das für eine geradezu absurde Einlassung des Abgeordneten, den Sie gerade zitiert haben, den ich übrigens nicht persönlich kenne. Ich habe das auch gelesen, aber das ist, glaube ich, vorgeschoben. Viele tun sich schwer damit in Virginia, das als German Monster titulierte Individuum Jens Söring jetzt freizulassen, aber ich glaube, das ist eine gute Nachricht natürlich für alle, vor allem für Jens Söring, aber ich glaube auch für den deutschen Staatsbürger, dass er jetzt in Freiheit sein kann.
"Finde das bemerkenswerte Entscheidung, jetzt beide gleichzeitig freizulassen"
Müller: Jetzt sind Sie kein Ermittler. Sie sind auch kein Privatdetektiv. Ich möchte trotzdem noch einmal bei der Argumentation von Jens Söring bleiben. Sie haben das ja mit ihm auch besprochen. Da hat er gesagt, ich habe das damals aufgenommen für meine Freundin, auf mich genommen, ich übernehme die Verantwortung, ich wollte ein Held sein, so was habe ich auch gelesen, was sich ja dann hinterher als fatal für ihn herausgestellt hat. Jetzt wird seine kanadische Freundin, wenn wir das richtig erfahren haben, gelesen haben, auch freigelassen. Das passt alles gar nicht zusammen!
Beyer: Ja, die wird auch freigelassen und nach Kanada in ihr Heimatland abgeschoben. Sie ist kanadische Staatsbürgerin. Jens Söring hat das schon genau gesagt, dass er nicht tatbeteiligt war. Er hat das, so wie in vielen Medienberichten und in seinen Büchern geschildert, mir auch gesagt, wie die Umstände dort waren, warum er das damals so gemacht hat. Übrigens dass Elizabeth Haysom, seine damalige Freundin, die Tochter der Ermordeten, jetzt auch freikommt, halte ich eigentlich für eine kluge, starke, richtige Entscheidung, das parallel mit Jens Söring zu machen, denn seinerzeit, vor ein paar Jahren, gab es ja schon mal eine Vereinbarung zwischen den USA und Deutschland, eine Haftüberstellung für Jens Söring nach Deutschland zu machen. Da wäre Elizabeth Haysom nicht von betroffen gewesen. Damals wäre Jens Söring hier in Deutschland noch einmal weiter inhaftiert gewesen, aber dann mit der konkreten Aussicht, auch wieder auf freien Fuß zu kommen. Jetzt kriegt er mehr. Ich finde das deswegen eine bemerkenswerte Entscheidung, jetzt beide gleichzeitig freizulassen, weil wohl nach allem, was ich weiß und höre, auch damals wohl die Familie von Elizabeth Haysom auf diese Entscheidung hingewirkt haben, dass die Haftüberstellung dann doch nicht zustande kommt, worauf dann neue republikanische Abgeordnete eingewirkt haben, Druck gemacht haben, politisch versucht haben, Druck zu machen, das wieder zurückzurudern. Deswegen ist Jens Söring dann auch nicht freigekommen.
Müller: Hat sich Ihr Blick auf das amerikanische Justizsystem, Gefängnissystem durch die Besuche, durch andere Besuche auch noch einmal verändert, trotz Ihres Grundwissens, was Sie sich darüber vorher angeeignet haben?
Beyer: In der Tat ist es so: Das Jura-Studium, das ich in Charlottesville in Virginia dann absolviert hatte, ist noch mal etwas anderes als dann, wenn es konkret wird. Es ist konkreter und realer geworden. Ich habe schon noch mal mehr Einblick bekommen. Aber revidiert sicherlich nicht. Es gibt auch bei uns sicherlich kritikwürdige Dinge am Rechtsstaatssystem und in der Justiz. Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir jetzt keine Kritik am Rechtssystem der USA üben. Das mache ich nicht. Wie gesagt, er ist ein verurteilter Doppelmörder. Sicherlich sind die Zustände in manchen Gefängnissen nicht so, wie man sich das in einer Demokratie, in einem Rechtsstaat wünschen würde. Sie sind zum Teil überfüllt und ich wies auch vorhin darauf hin, dass sie vom Wachpersonal her teilweise unterbesetzt sind und deswegen auch zum Teil zumindest solche Zustände, wie ich sie vorhin beschrieben habe, überhaupt zustande kommen können.
Müller: Als auch Diplomat wollen Sie das nicht weiter ausführen, kann ich verstehen. Aber Sie würden vielleicht der These zustimmen, würden das unterschreiben: Es ist ein bisschen tatsächlich so wie im Film?
Beyer: Das denke ich schon. Das kann man schon sagen. Nach allem was mir geschildert wurde, aber auch nach den Einblicken, die ich bekommen habe, ist das in manchen Filmen vielleicht mal überzogen, aber einiges im Kern ist doch an der Wahrheit dran. Diese Schilderungen, die wir in den Filmen sehen, kommen ja auch nicht von ganz Ungefähr.
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