Die Nachricht, dass die Ulmer Journalistin Meșale Tolu nach Deutschland kommt, sorgt an der Donau für große Freude und Erleichterung, selbst wenn eine Portion Skepsis zurückbleibt. Lange Zeit hat Hüseyin Tolu, der große Bruder von Meșale, seine kleine Schwester nicht gesehen.
"Mich freut es auf jeden Fall, jetzt nach über einem Jahr, das ich meine jüngere Schwester persönlich sehen kann, sie also neben mir habe. Andersrum: Ja wieso hat man das bis heute nicht gemacht? Wieso auf einmal jetzt – kurz vor ihrem Gerichtstermin, zwei Monate zuvor? Das macht stutzig. Aber jetzt freue ich mich erst mal."
Rückkehr ohne den noch inhaftierten Ehemann
Auf die Frage: "Wieso jetzt" hat im Moment noch niemand so richtig eine Antwort. Selbst Meșale Tolu nicht – sie schreibt auf Twitter ganz nüchtern: Zitat: "Die Meldungen über die Aufhebung meiner Ausreisesperre sind richtig. Ich bedanke mich bei allen, die mit mir mitgefühlt und sich an meiner Seite für meine Freiheit eingesetzt haben."
Dass sie nach Ulm zurückkehren wird, obwohl ihr Mann nicht die Türkei verlassen darf, hat sie schon im März bei einem SWR-Interview gesagt.
"Auch, wenn mein Mann vielleicht erst später zu uns ziehen kann, werde ich mit meinem Sohn sobald mein Ausreiseverbot aufgehoben ist, gern ausreisen und dort sozusagen meine Wohnung neu organisieren für meinen Sohn, und dass er auch dort wieder in den Kindergarten gehen kann."
Im September, wenn in Bayern die Sommerferien zu Ende gehen, wird es soweit sein – dann kann Serkan den Kindergartenplatz in Neu-Ulm in Anspruch nehmen. Die Heimreisetickets für Meșale Tolu sind gekauft, bestätigt ihr Bruder Hüseyin.
"Am Sonntag kommt sie, wie es dann weiter geht, das werden wir dann sehen. Ich bin da jetzt auch überfragt, wie es mit Meșale weiter geht oder was sie vorhat. Ob sie dann zum Gericht wieder zurückfliegt oder was sie dann macht… keine Ahnung. Und jetzt geht sozusagen der Wunsch von Serkan in Erfüllung. Jetzt kann er zusammen mit seiner Mutter nach Deutschland kommen."
Eine "Supernachricht" aus heiterem Himmel
Große Freude herrscht natürlich auch bei den Unterstützern in Ulm, die monatelang für die Freiheit von Meșale Tolu auf die Straße gegangen sind und mit bis zu 100 Menschen regelmäßig vor dem Münster demonstriert haben. Der Kreis gründete sich gleich nach der Verhaftung Meșale Tolus im April 2017 und setzt sich zusammen aus Familie, Freunden und politisch interessierten Bürgern aus Ulm und Umgebung.
Den Sprecher des Solidaritätskreises für Meșale Tolu, Czengiz Dogan, erreicht die Nachricht via Smartphone im Urlaub in Italien. Er freut sich riesig und will für kommende Woche ein Fest organisieren, sagt er am Telefon. Große Freude auch bei einer weiteren Unterstützerin, Meșale Tolus ehemalige Lehrerin am Anna-Essinger-Gymnasium, Angelika Lanninger, aus Ulm. Sie reichte Online eine Petition zur "Freilassung von Mesale Tolu" ein, die bis heute von über 110.000 Menschen unterzeichnet wurde.
"Ich bin natürlich erst mal glücklich und auch überwältigt von dieser Supernachricht. Es kam ja fast aus heiterem Himmel. Umso schöner, dass sie jetzt endlich auch nach Deutschland kommen kann, was sie sich schon lange gewünscht hat. Vor allem wegen ihres Sohnes."
Der Prozess wird fortgesetzt
Die Kehrseite der Medaille: Meșale Tolus Ehemann, der gemeinsam mit ihr vor Gericht steht, darf die Türkei nicht verlassen, Tolu reist nur mit ihrem Sohn nach Deutschland. Alle in der Familie Tolu wie auch die Unterstützer wissen, dass die Sache noch nicht ausgestanden ist.
"Für mich ist der Fall vergleichbar mit dem Fall von Deniz Yücel und Peter Steudtner, deren Verfahren ja auch immer noch nicht abgeschossen sind, die man aber ausreisen hat lassen. Nur – Gott sei Dank – viel früher. Meșale Tolu musste halt warten. Seit ihrer letzten Verhandlung, das war im April, musste sie warten, bis sie jetzt endlich ausreisen darf."
Der Prozess gegen Meșale Tolu wird fortgesetzt. Nächster Verhandlungstag ist der 16. Oktober. Der Vorwurf, dass sie einer terroristischen Vereinigung angehört, steht noch im Raum – ihr drohen bis zu 20 Jahre Haft. Sie selbst hat vor Gericht ausgesagt, dass sie als Journalistin einer Beerdigung beigewohnt hat – das Flugblatt, das bei ihr gefunden wurde, sei überall erhältlich gewesen, die Anklage gegen sie sei haltlos.