Bis auf den sozio-ökonomischen Status der Figuren gleicht diese Welt der Urzeugung aller "Popliteratur", Christian Krachts Roman "Faserland" von 1995. Bei Seidel hält sich der Drogen- und Alkoholkonsum freilich in Grenzen, der Held erscheint als melancholischer Taugenichts in Identitätswirren, dem nicht der kleinste Zynismus über die Lippen rutscht. Sein Leben ist ebenso okay wie das wohlstandsgesättigte Schlaraffia namens Bundesrepublik, und die in fünfundzwanzig Jahren angesammelte Halbbildung des Helden – hie eine Heidegger-Erwähnung, da eine Handke-Anmutung – bezeugt den ordnungsgemäßen Abschluß einer formalen Schulbildung. In einem Punkt freilich deckt die sorglos dahingetuschte Skizze auf, warum die Verlage vielleicht doch irren, wenn sie den Marketingstrategien Hollywoods folgen: Keiner unter denen mit so reicher Freizeit gesegneten Adoleszensverlängerern in Seidels Roman liest Bücher. Warum auch? Das Leben tanzt auf einem ganz anderen Parkett, und selbst "easy reading" nötigt einen zum Rückzug aus der Spaßgemeinde. Vielleicht, so stille Hoffnung des Kritikers, reguliert der Markt die Überschußproduktion von selbst, indem die Beschriebenen sich nicht mehr lesend wahrnehmen wollen.
Freischwimmer
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Hörer, aber ich bin schon lange nicht mehr im Kino gewesen. Warum? Nun, das Kino meint mich nicht. Zwar verfehlt der verlockende Popcorngeruch durchaus nicht meine Nase, aber Popcorn kann man auch auf dem Rummelplatz essen, auf dem ich – zugegeben! – auch schon lange nicht mehr war. Der Rummelplatz meint mich nämlich ebenfalls nicht, die Zeiten, in denen mir die Geisterbahn einen heillosen Schrecken einjagte, liegen Jahrzehnte zurück. Also schiebe ich, übermannt mich das regressive Bedürfnis nach süßen Maisflocken, die entsprechenden Körner in die Mikrowelle und versorge mich selbst. Voilà: Kino ist etwas für die, die sich nicht selbst versorgen können. Mehr als 75% aller Kinogänger sind zwischen vierzehn und neunundzwanzig Jahren alt. Da es mittlerweile "comme il faut" geworden ist, das Ende der Pubertät auf die Vollendung des dreißigsten Lebensjahres zu datieren, bedient der Markt nur noch diese Alterskohorte mit seinen Instantprodukten. Das verbliebene Viertel an Erwachsenen weiß sich ohnehin selbst zu helfen und kann die Gefühls- und Identitätskrücken der Traumfabriken im Schrank verstauben lassen.
Bis auf den sozio-ökonomischen Status der Figuren gleicht diese Welt der Urzeugung aller "Popliteratur", Christian Krachts Roman "Faserland" von 1995. Bei Seidel hält sich der Drogen- und Alkoholkonsum freilich in Grenzen, der Held erscheint als melancholischer Taugenichts in Identitätswirren, dem nicht der kleinste Zynismus über die Lippen rutscht. Sein Leben ist ebenso okay wie das wohlstandsgesättigte Schlaraffia namens Bundesrepublik, und die in fünfundzwanzig Jahren angesammelte Halbbildung des Helden – hie eine Heidegger-Erwähnung, da eine Handke-Anmutung – bezeugt den ordnungsgemäßen Abschluß einer formalen Schulbildung. In einem Punkt freilich deckt die sorglos dahingetuschte Skizze auf, warum die Verlage vielleicht doch irren, wenn sie den Marketingstrategien Hollywoods folgen: Keiner unter denen mit so reicher Freizeit gesegneten Adoleszensverlängerern in Seidels Roman liest Bücher. Warum auch? Das Leben tanzt auf einem ganz anderen Parkett, und selbst "easy reading" nötigt einen zum Rückzug aus der Spaßgemeinde. Vielleicht, so stille Hoffnung des Kritikers, reguliert der Markt die Überschußproduktion von selbst, indem die Beschriebenen sich nicht mehr lesend wahrnehmen wollen.