Ein Sportkrimi erlebt eine überraschende Wendung. Am Donnerstag spricht das Strafgericht aus Bozen den Geher-Olympiasieger Alex Schwazer vom Vorwurf des Testosteron-Dopings frei. Im Lager des Gehers herrscht große Freude.
"Dieses Urteil ist sehr wichtig. Denn es ist uns gelungen, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Alex selbst hat gesagt: Die Wahrheit ans Licht zu bringen ist viel bedeutsamer als mein Olympiasieg in Peking", sagt Sandro Donati, Trainer von Schwazer, dem Deutschlandfunk.
Die Gegenseite reagiert ebenfalls emotional. Die Weltantidopingagentur WADA schreibt in einer Presseerklärung: "Die WADA ist entsetzt über die rücksichtslosen und grundlosen Anschuldigungen, die der Richter gegen die Organisation und andere Parteien in diesem Falle tätigte."
Denn der Richter hält nichts Geringeres als eine Manipulation der Urinprobe Schwazers für die wahrscheinlichste Erklärung des positiven Dopingbefunds im Jahr 2016.
Die Manipulation soll auf eine Art erfolgt sein, die an den stets experimentellen TV-Serienhelden MacGyver erinnert: Eine Urinprobe Schwazers soll mit einer Urinprobe einer anderen, mit Testosteron gedopten Person gemischt worden sein. Danach soll die DNA der anderen Person durch UV-Strahlung zerstört worden sein, heißt es im Urteil. Sandro Donati sagt:
"Ich halte die Erklärung des Richters für die logischste. Dem Urin Schwazers wurde Urin einer anderen Person beigemischt, die Testosteron zu sich genommen hatte. Da wurde nur wenig Urin zugeführt. Auf diese Art und Weise änderte sich nicht das individuelle Hormonprofil."
Ungewöhnliche Übergabe in Köln
Dass überhaupt die These einer Manipulation aufgekommen ist, liegt an einer ungewöhnlich hohen Konzentration von DNA im Urin von Schwazer. Donatis Erklärung dafür: Nachdem das Urin von Schwazer mit der anderen Person gemischt worden war und jegliche DNA durch die UV-Strahlung zerstört wurde, haben die Unbekannten DNA aus einer Blutprobe von Schwazer wieder hinzugefügt.
"Die Manipulation ging in zwei Phasen vonstatten. Phase A war der Zusatz des Urins mit dem Testosteron, Phase B war nötig, um die fremde DNA zu eliminieren und dann die DNA von Schwazer hinzuzufügen", sagt Donati.
Stimmt das, wäre es ein echter Sportthriller. Die WADA hält die These für abenteuerlich. Das Kölner Labor, in dem die Proben gelagert haben, will sich auf Anfrage des Deutschlandfunks nicht zur Sachlage äußern. Das Verfahren sei noch nicht abgeschlossen, heißt es.
Merkwürdig sind zumindest die Umstände der Übergabe der Urinproben in Köln an einen Sachverständigen des Richters aus Bozen. Sandro Donati:
"Das Urin der A-Probe wurde aus dem üblichen Fläschchen genommen und davon 10ml abgefüllt. Dann sollte die B-Probe übergeben werden. Und hier gab der Direktor des Kölner Labors dem Sachverständigen nur ein Plastikröhrchen, das nicht verschlossen war."
Normale Praxis, Schlamperei oder Vertuschung?
Also eigentlich nicht die übliche Aufbewahrungsart einer B-Probe. Laut Donati soll der Sachverständige erst dann das offizielle Röhrchen bekommen haben, nachdem der Sachverständige inistiert hatte.
Unklar ist, ob es sich um normale Laborpraxis, um Schlamperei oder sogar um versuchte Vertuschung handelte. Für die ersten beiden Annahmen spricht, dass die Proben zur Analyse ja aus dem Kühlschrank genommen, aufgetaut und in die Maschinen gesteckt werden müssen.
Für die Manipulationsthese hingegen spräche, dass sich die WADA und der Leichtathletikweltverband IAAF zuvor mit Händen und Füßen gewehrt haben, die Proben an die italienische Strafjustiz herauszugeben. Das besagen Mails, die von der russischen Hackergruppe Fancybears geleakt wurden. Die Authentizität der Mails wurde niemals bestritten.
Hintergrund der bizarren Situation ist, dass Schwazers Betreuer Sandro Donati ein regelrechter Antidoping-Held in Italien ist. Er hat das Dopingsystem von Francesco Conconi offengelegt. Conconi war Ausbilder von Michele Ferrari, dem wohl umtriebigsten Dopingarzt der modernen Geschichte. Ferrari hat unter anderem Lance Armstrong betreut. Doping-Aufdecker Donati hat sich später aber auch mit der WADA und dem Leichtathletikweltverband IAAF angelegt. Er sagt:
"Ich arbeitete für die Wada, und fand dabei eine sehr große Datenbank. In dieser Datenbank waren mehr als 12.000 Blutanalysen. Viele dieser Blutanalysen wiesen sehr hohe Werte auf."
Donatis Kampf gegen die IAAF
Die Datenbank stammt vom Leichtathletikverband IAAF, Donati stößt 2013 auf sie. Sie enthält 12.365 Einträge über Blutkontrollen von Spitzenathleten in den Jahren 2001 bis 2013. 458 dieser Einträge weisen allein einen Hämatokritwert von über 50 auf - ein starkes Indiz für Doping. Verfahren aufgrund dieses Materials hat der Verband aber nicht gestartet
"Diese Datenbank war der Beweis, dass der Internationale Leichtathkletikverband seit Jahren nichts gemacht hat, ja sogar Dopingfälle vertuscht hat", sagt Donati.
Pikanterweise wurde die Datenbank von der italienischen Polizei bei genau einem jener Sportärzte beschlagnahmt, die Donati-Schützling Schwazer in einem früheren Dopingverfahren als Mitwisser belastet hatte.
Klar ist: Alex Schwazer ist kein Unschuldslamm. Er wurde 2012 des Epo-Dopings überführt. Er packte dann aus, nannte Mitwisser auch im Verband und vertraute sich dem Antidopingaktivisten Donati an. Der neuerliche Dopingfall 2016 belastete dann Schwazer und diskreditierte auch Donati, den Intimfeind der großen Verbände.
Jetzt hat Donati einen Teilerfolg erzielt. Er hofft sogar, dass sein Schützling noch nach Tokio kann. Der Richter aus Bozen fordert hingegen die Staatsanwaltschaft auf, zu ermitteln, wer die von ihm vermuteten Manipulationen tatsächlich vorgenommen hat. Das ist der Schwachpunkt in der Argumentationskette des Schwazer-Lagers. Sie besteht aus Indizien. Täter, Tatort und Tatzeit sind aber unbekannt. Jetzt braucht es Aufklärungswillen und unparteiische Ermittler.