"Die Wunden, die die Leute hatten, stammten größtenteils von Misshandlungen, Stockschlägen, Schussverletzungen. Auch Arbeitsverletzungen kamen natürlich vor."
Der Wiener Arzt und Auschwitzüberlebende Otto Wolken sagte im Februar 1964 vor dem Frankfurter Auschwitz-Prozess aus.
"Vielfach kam es auch vor, dass Häftlinge mit Furunkulose noch später gezüchtigt wurden, wobei die Furunkel durch die Stockhiebe gewaltsam aufgequetscht und der Eiter ins Gewebe hineingepresst wurde. Ich habe etliche solcher grauenhafter Fälle gesehen, wo sich das ganze Fleisch vom Gesäß bis auf die Hüftknochen in Eiter auflöste, und die Leute gingen unter den grässlichsten Qualen zugrunde."
Der Frankfurter Auschwitz-Prozess fand 20 Jahre nach der Befreiung des Lagers durch die Sowjetarmee statt. Erstmals wurde hier in Deutschland öffentlich im großen Stil über den Alltag in einem Vernichtungslager verhandelt. Aber die Kunde über die Zustände im Lager fand schon viel früher ihren Weg nach außen, schon in den Zeiten, als die deutsche Mordmaschine noch im vollen Gang war. Die Tragik der Geschichte ist, dass sie dennoch nicht an die Weltöffentlichkeit drang.
Der Wiener Arzt und Auschwitzüberlebende Otto Wolken sagte im Februar 1964 vor dem Frankfurter Auschwitz-Prozess aus.
"Vielfach kam es auch vor, dass Häftlinge mit Furunkulose noch später gezüchtigt wurden, wobei die Furunkel durch die Stockhiebe gewaltsam aufgequetscht und der Eiter ins Gewebe hineingepresst wurde. Ich habe etliche solcher grauenhafter Fälle gesehen, wo sich das ganze Fleisch vom Gesäß bis auf die Hüftknochen in Eiter auflöste, und die Leute gingen unter den grässlichsten Qualen zugrunde."
Der Frankfurter Auschwitz-Prozess fand 20 Jahre nach der Befreiung des Lagers durch die Sowjetarmee statt. Erstmals wurde hier in Deutschland öffentlich im großen Stil über den Alltag in einem Vernichtungslager verhandelt. Aber die Kunde über die Zustände im Lager fand schon viel früher ihren Weg nach außen, schon in den Zeiten, als die deutsche Mordmaschine noch im vollen Gang war. Die Tragik der Geschichte ist, dass sie dennoch nicht an die Weltöffentlichkeit drang.
"Passiv wie eine Herde Schafe"
Einer der ganz wenigen Helden im Zweiten Weltkrieg, der die Wahrheit über die Konzentrationslager aus eben jenen hinausbrachte, war Witold Pilecki, ein polnischer Offizier und Patriot, der schon 1920 gegen die Sowjets gekämpft hatte und 1939 gegen die Wehrmacht. Im September 1940 begab er sich in Warschau vorsätzlich mit falschem Pass in eine SS-Razzia.
"Wir waren ungefähr 1800 Mann. Was mich am meisten ärgerte, war die Passivität dieser Gruppe von Polen. Alle Verhafteten zeigten bereits Zeichen von Gruppenpsychologie; im Endeffekt verhielt die ganze Gruppe sich passiv wie eine Herde Schafe. Ein einfacher Gedanke nagte an mir: Aufruhr stiften und diese Leute in Bewegung setzen. Allerdings war ich ja aus einem ganz anderen Grund hier."
Pilecki ging im Auftrag des Polnischen Widerstands nach Auschwitz. Er sollte dort militärische Meldungen von außen und damit Mut verbreiten, einen Aufstand vorbereiten und Informationen über das Lager nach draußen bringen. Pilecki war zu diesem Zeitpunkt 39 Jahre alt, verheiratet und hatte zwei kleine Kinder.
"Ungefähr um 22 Uhr hielt der Zug irgendwo an und fuhr nicht weiter. Wir konnten Brüllen und Geschrei hören. Diesen Moment meiner Geschichte sehe ich als den an, in dem ich allem Vertrauten auf der Welt Lebewohl sagte und in etwas eintrat, das nicht mehr von dieser Welt schien. Die Gewehrkolben der SS trafen nicht nur unsere Köpfe, sondern auch etwas viel Mächtigeres. Unsere Vorstellungen von Recht und Ordnung und aller Normalität, alles, woran wir uns im Leben gewöhnt hatten, bekam einen brutalen Tritt."
"Wir waren ungefähr 1800 Mann. Was mich am meisten ärgerte, war die Passivität dieser Gruppe von Polen. Alle Verhafteten zeigten bereits Zeichen von Gruppenpsychologie; im Endeffekt verhielt die ganze Gruppe sich passiv wie eine Herde Schafe. Ein einfacher Gedanke nagte an mir: Aufruhr stiften und diese Leute in Bewegung setzen. Allerdings war ich ja aus einem ganz anderen Grund hier."
Pilecki ging im Auftrag des Polnischen Widerstands nach Auschwitz. Er sollte dort militärische Meldungen von außen und damit Mut verbreiten, einen Aufstand vorbereiten und Informationen über das Lager nach draußen bringen. Pilecki war zu diesem Zeitpunkt 39 Jahre alt, verheiratet und hatte zwei kleine Kinder.
"Ungefähr um 22 Uhr hielt der Zug irgendwo an und fuhr nicht weiter. Wir konnten Brüllen und Geschrei hören. Diesen Moment meiner Geschichte sehe ich als den an, in dem ich allem Vertrauten auf der Welt Lebewohl sagte und in etwas eintrat, das nicht mehr von dieser Welt schien. Die Gewehrkolben der SS trafen nicht nur unsere Köpfe, sondern auch etwas viel Mächtigeres. Unsere Vorstellungen von Recht und Ordnung und aller Normalität, alles, woran wir uns im Leben gewöhnt hatten, bekam einen brutalen Tritt."
Auschwitz - geprägt durch mörderischen Sadismus
Pilecki schrieb insgesamt drei Berichte über seine Zeit in Auschwitz. Der letzte, den er unmittelbar nach Kriegsende verfasste, gerichtet an seinen Kommandeur der Polnischen Heimatarmee, ist nun ins Deutsche übersetzt. Interessant an Pileckis Schilderungen ist vor allem, dass hier ein weitgehend unbekanntes Auschwitz skizziert wird. Der Leser erlebt die Aufbauphase des Lagers, die noch mehr durch mörderischen Sadismus als durch industrielle Massenvernichtung geprägt war. Er berichtet, wie Menschen lebendig begraben, vor den Augen ihrer Familie massakriert, oder zum Erfrieren in die eisige Kälte geschickt wurden. Er beschreibt Auschwitz als eine große Mühle, die sich unablässig dreht und Menschen zu Staub zermahlt. Die Schilderungen des Sadismus, der perversen Ausartungen des Mensch-Seins sind oft schwer zu ertragen. Dagegen setzt Pilecki jedoch Beispiele der Menschlichkeit, der Solidarität, des Opfermuts. Mit unsentimentalen Worten erklärt er, wer im KZ eine Chance hatte – und wer nicht.
"Hauptzweck des Lagers war offenbar die Ausrottung der polnischen Intelligenz. Auch die größten intellektuellen Fähigkeiten halfen einem nichts, wenn die praktischen fehlten. Ich sage das nicht gerne, aber ein großer Teil der Intellektuellen, die ins Lager gebracht wurden, besaß einfach nicht genug Überlebensinstinkt. Überleben konnte man hier nur durch Freundschaft und Zusammenarbeit ... indem man einander half. Aber es gab so viele, die es nicht verstanden! Solche Menschen mussten sterben. Wir hatten so wenig Mittel und so viele die wir retten mussten."
Hier deutet sich schon an, was sich durch Pileckis gesamten Bericht zieht: Die schmerzhafte Abwägung, wer es "verdiente", gerettet zu werden, also mit einem Extra-Stück Brot, einem Arbeitsplatz im Warmen, mit Medikamenten versorgt zu werden, und wer nicht. Polen, vor allem Kämpfer der Untergrundorganisation, bevorzugten sich gegenseitig. Besonders brutale Kapos oder Gestapo-Spitzel dagegen wurden von Untergrundkämpfern in Selbstjustiz gerichtet. Dazwischen lagen die Abertausenden und später Millionen, die nicht einmal eine Chance hatten, sondern sofort ins Gas gingen. Pilecki beschrieb den relativen "Reichtum", den die bald Vergasten aus ihrer Heimat mitgebracht hatten und der den Weg zu SS-Männern, Kapos und Funktionshäftlingen fand: Orangen, Schokolade, feine Kleidung, Diamanten, Geld. "Kanada" hieß Auschwitz bald im Lagerjargon, "Kanada" hieß auch alles, was die Totgeweihten zurückließen. Geradezu absurd erscheint es uns heute, wenn Pilecki von der Verbesserung der Lebensumstände im Stammlager Auschwitz I spricht – als Kehrseite des Holocaust.
"In den ersten Jahren hatten wir dreimal täglich zum Appell antreten müssen. Neben den anderen, eher brutalen und primitiven Tötungsmethoden waren die endlosen Appelle eine weitere stille Möglichkeit gewesen, uns umzubringen. Dann kam der Wechsel von den offenen, brutalen zu den zivilisierteren Mordmethoden. Jetzt wurden täglich Tausende mit Phenol und Giftgas umgebracht; allein die Zahl der Vergasten betrug täglich 8.000. Im Zuge dieser ‚zivilisatorischen‘ Verbesserungen wurde nach dem Erschlagen von Häftlingen auch das stillere Morden mithilfe stundenlanger Appelle abgeschafft, weil es einfach lächerlich ineffizient war. Als zweite Verbesserung wurde den Häftlingen das Tragen von Zivilkleidung gestattet – nämlich der von den Vergasten zurückgelassenen Kleidungsstücke.
Wir schliefen inzwischen in Betten, unter flauschigen Decken aus ‚Kanada‘, die Vergasten aus Holland gehört hatten.
"Hauptzweck des Lagers war offenbar die Ausrottung der polnischen Intelligenz. Auch die größten intellektuellen Fähigkeiten halfen einem nichts, wenn die praktischen fehlten. Ich sage das nicht gerne, aber ein großer Teil der Intellektuellen, die ins Lager gebracht wurden, besaß einfach nicht genug Überlebensinstinkt. Überleben konnte man hier nur durch Freundschaft und Zusammenarbeit ... indem man einander half. Aber es gab so viele, die es nicht verstanden! Solche Menschen mussten sterben. Wir hatten so wenig Mittel und so viele die wir retten mussten."
Hier deutet sich schon an, was sich durch Pileckis gesamten Bericht zieht: Die schmerzhafte Abwägung, wer es "verdiente", gerettet zu werden, also mit einem Extra-Stück Brot, einem Arbeitsplatz im Warmen, mit Medikamenten versorgt zu werden, und wer nicht. Polen, vor allem Kämpfer der Untergrundorganisation, bevorzugten sich gegenseitig. Besonders brutale Kapos oder Gestapo-Spitzel dagegen wurden von Untergrundkämpfern in Selbstjustiz gerichtet. Dazwischen lagen die Abertausenden und später Millionen, die nicht einmal eine Chance hatten, sondern sofort ins Gas gingen. Pilecki beschrieb den relativen "Reichtum", den die bald Vergasten aus ihrer Heimat mitgebracht hatten und der den Weg zu SS-Männern, Kapos und Funktionshäftlingen fand: Orangen, Schokolade, feine Kleidung, Diamanten, Geld. "Kanada" hieß Auschwitz bald im Lagerjargon, "Kanada" hieß auch alles, was die Totgeweihten zurückließen. Geradezu absurd erscheint es uns heute, wenn Pilecki von der Verbesserung der Lebensumstände im Stammlager Auschwitz I spricht – als Kehrseite des Holocaust.
"In den ersten Jahren hatten wir dreimal täglich zum Appell antreten müssen. Neben den anderen, eher brutalen und primitiven Tötungsmethoden waren die endlosen Appelle eine weitere stille Möglichkeit gewesen, uns umzubringen. Dann kam der Wechsel von den offenen, brutalen zu den zivilisierteren Mordmethoden. Jetzt wurden täglich Tausende mit Phenol und Giftgas umgebracht; allein die Zahl der Vergasten betrug täglich 8.000. Im Zuge dieser ‚zivilisatorischen‘ Verbesserungen wurde nach dem Erschlagen von Häftlingen auch das stillere Morden mithilfe stundenlanger Appelle abgeschafft, weil es einfach lächerlich ineffizient war. Als zweite Verbesserung wurde den Häftlingen das Tragen von Zivilkleidung gestattet – nämlich der von den Vergasten zurückgelassenen Kleidungsstücke.
Wir schliefen inzwischen in Betten, unter flauschigen Decken aus ‚Kanada‘, die Vergasten aus Holland gehört hatten.
Ein Dokument des Grauens und des Heldenmuts
Die Lagerleitung gab sich große Mühe, den furchtbaren Ruf des Lagers Auschwitz radikal zu verbessern. Es würde interessant werden zu verfolgen, wenn sie versuchten, eines Tages auch die Erinnerung an die Gaskammern und die inzwischen sechs Krematorien auszulöschen..."
Pilecki behauptete, dass die militärische Untergrundorganisation in der Lage gewesen wäre, das Lager sofort unter ihre Kontrolle zu bringen. Dazu hätte es allerdings Unterstützung von außen bedurft. Die erhofften alliierten Bombardements aber blieben aus.
Als die Organisation aufzufliegen drohte, floh Pilecki aus Auschwitz – ein Krimi für sich. Grausige Ironie der Geschichte: Der polnische Patriot, der später auch im Warschauer Aufstand heldenhaft kämpfte, wurde 1948 vom kommunistischen polnischen Geheimdienst gefoltert, verurteilt und hingerichtet.
Ein bitteres, ein gutes Buch, ein Dokument des Grauens und des Heldenmuts in den finstersten Stunden der Menschheitsgeschichte.
Witold Pilecki: "Freiwillig nach Auschwitz. Die geheimen Aufzeichnungen des Häftlings Witold Pilecki."
256 Seiten, Orell Füssli Verlag, 19,95 Euro, ISBN 978-3280055113
Pilecki behauptete, dass die militärische Untergrundorganisation in der Lage gewesen wäre, das Lager sofort unter ihre Kontrolle zu bringen. Dazu hätte es allerdings Unterstützung von außen bedurft. Die erhofften alliierten Bombardements aber blieben aus.
Als die Organisation aufzufliegen drohte, floh Pilecki aus Auschwitz – ein Krimi für sich. Grausige Ironie der Geschichte: Der polnische Patriot, der später auch im Warschauer Aufstand heldenhaft kämpfte, wurde 1948 vom kommunistischen polnischen Geheimdienst gefoltert, verurteilt und hingerichtet.
Ein bitteres, ein gutes Buch, ein Dokument des Grauens und des Heldenmuts in den finstersten Stunden der Menschheitsgeschichte.
Witold Pilecki: "Freiwillig nach Auschwitz. Die geheimen Aufzeichnungen des Häftlings Witold Pilecki."
256 Seiten, Orell Füssli Verlag, 19,95 Euro, ISBN 978-3280055113