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Freiwilligendienst
Internationaler Austausch mit 50 plus

Fremde Länder, Kulturen und Sprachen - der gemeinnützige Verein Experiment organisiert internationalen Austausch, auch für ältere Menschen. Die Freiwilligen, die bereits in Rente sind oder voll im Berufsleben stehen, erfüllen sich oft mit dem Austausch lang gehegte Wünsche.

Von Susanne Kuhlmann |
    Miteinander leben, voneinander lernen - das ist das Motto von Experiment, einem gemeinnützigen Verein, der internationalen Austausch organisiert, auch für ältere Menschen. Es geht nicht um Entwicklungshilfe, sondern um kulturellen Austausch, um das voneinander lernen. Die Freiwilligen bezahlen ihren Aufenthalt und auch alle Reisekosten. Martine Pluberg aus der Nähe von Stuttgart war drei Monate in Marokko und zahlte für Kost und Logis 2.000 Euro und zusätzlich rund 500 für die An- und Abreise. Mit diesem Aufenthalt, so sagt sie, hat sie sich gleich mehrere Wünsche erfüllt.
    "Zum einen konnte ich nach gesundheitlichen Problemen eine längere Auszeit von der Arbeit nehmen, zum Zweiten konnte ich Land, Leute und eine fremde Kultur kennenlernen. Und zum Dritten konnte ich vielleicht auch einen Kindheitswunsch erfüllen, nämlich Lehrerin zu sein."
    Perspektivwechsel
    Martine Pluberg ist 57 Jahre alt und arbeitet als Sachbearbeiterin bei einem Stuttgarter Autokonzern. In Marokko lebte sie drei Monate lang in einem Dorf im Atlasgebirge auf 1.200 Metern Höhe.
    Alexandra Vollmer hat Pharmazie studiert und unter anderem einige Jahre als Deutschlehrerin an einem Goethe-Institut gearbeitet. Sie ist 63.
    "Ich war zwei Monate im Frühling in Sankt Petersburg. Obligatorisch war primär ein Intensiv-Russischkurs. Dazu habe ich in der Eremitage gearbeitet. Am Anfang im Empfang, Karten abreißen und sowas, später im Archäologischen Institut. Meine Arbeit war dort die Katalogisierung von Keramik, Steinen. Und dann habe ich die Möglichkeit gehabt, eine Fischreuse aus der Steinzeit, ungefähr 50.000 Jahre alt, zu konservieren."
    Seit einiger Zeit restauriert sie Möbel, und deswegen schien ihr das berühmte Museum von Sankt Petersburg der Himmel auf Erden zu sein.
    Anja Richter ist 51 und als Grafikerin tätig. Sie verbrachte sechs Wochen in Nepal, in einer schönen Stadt namens Bhaktapur. Dort wurde sie sofort ganz unplanmäßig als Deutschlehrerin an der Volkshochschule engagiert, als ein anderer Freiwilliger abreiste.
    "Ich bin von einem Tag auf den anderen Deutschlehrerin geworden. Mir wurden die Kursbücher in die Hand gedrückt. Da habe ich versucht, mich ein bisschen einzuarbeiten und mich daran entlang zu hangeln, um am nächsten Morgen von 7 Uhr bis 9.30 Uhr acht Schülern Deutsch zu unterrichten."
    Wohnen in Gastfamilien
    Alle drei Frauen wohnten bei Familien. Anja Richter bei einer relativ wohlhabenden, in deren großem Haus noch eine weitere Freiwillige aus dem Ausland lebte.
    "Wir wurden morgens und abends von der Frau des Hauses bekocht. Es gab dann Reis, scharfen Curry und Linsensuppe morgens und abends. Das war sehr lecker, aber auch für einen europäischen Magen nicht so ganz einfach. Ich habe dann zumindest morgens irgendwann gesagt, ich hätte vielleicht doch lieber ein gekochtes Ei."
    "Ich habe bei einer russischen Gastfamilie in einem Einzelzimmer gewohnt, sehr klein, sehr laut. Das war für mich schon etwas gewöhnungsbedürftig. Die Gasteltern selber sehr nett, sehr bemüht. Ich habe mir oft mehr Privatsphäre gewünscht. Aber man gewöhnt sich dran."
    Unvergessliche Erlebnisse
    Martine Pluberg lebte in dem entlegenen marokkanischen Gebirgsdorf bei einer Berberfamilie in einem Haus ohne Heizung und ohne warmes Wasser. Einmal in der Woche gingen alle in den Hamam, ins orientalische Bad. Sie arbeitete nachmittags als Französischlehrerin für die Dorfkinder, und vormittags webte sie mit zwei Männern Teppiche.
    "Ein sehr schönes Erlebnis war für mich ein mehrtägiger Aufenthalt bei Verwandten, noch weiter in den Bergen in einem Bauernhaus ohne Licht und ohne fließendes Wasser. Dort habe ich jeden Morgen nach dem Melken von Kühen und Ziegen frisches Wasser vom Bach mit einem Esel geholt."
    Der Rückblick auf die Wochen im Freiwilligendienst weckt auch bei den beiden anderen Frauen sofort Erinnerungen an unvergessliche Eindrücke.
    "Ein besonders schönes Erlebnis war, als wir mitten in der Nacht auf dem Nyatapola-Tempel, dem Tempel mit den fünf Dächern gesessen haben, neben uns hunderte von Nepalesen. Gemeinsam haben wir das Spiel Deutschland-Brasilien bei der Fußball-WM geguckt."
    "Das Schönste war wohl die Stadt Sankt Petersburg selber, dann dieser Frühling, diese Farben, dieses Grün überall - das war traumhaft. Dann kommt das Gefühl dazu: Ich schaffe das. Niemand hatte die letzten zwei Jahre Zeit, diese Taue und die Holzreuse zu konservieren. Jetzt ist sie im Museum ausgestellt. Das ist einfach toll."