"Wenn die Mühle optimal eingestellt ist – jetzt ist es ideal, net, ge? So wie der lauft, des is warmes Olivenöl, so rinnt nit Wasser. Es darf nie Wasser sein."
Wenn Lois Hechenblaikner mit seiner Espressomaschine Kaffee macht, ist das Kult: "Drei Millimeter Crema muss sein", sagt er mit leicht trotzigem Zug um den Mund. Der 1958 in Reith im Alpbachtal geborene Tiroler ist Perfektionist, besonders und vor allem aber in seinem Beruf als Fotograf.
Sorgsam stellt er die Tassen auf den Tisch vor dem riesigen Panoramafenster in seinem Tiroler Haus. Es dämmert. Bläulich weiße Wiesenflächen sind zu sehen; ein hell erleuchteter Supermarkt. Lois Hechenblaikner wohnt mittendrin im Touristendorf Reith, nur wenige Meter von seinem Elternhaus entfernt.
Seit den neunziger Jahren dokumentiert er die – so wörtlich – "aus allen Fugen geratene alpine Urlaubswelt". Als "alpintouristische Metastasen" bezeichnet er die Auswüchse der Tourismusindustrie in den Alpen. Noch vor kurzem konnte man in Innsbruck auf den Werbeflächen an Bushaltestellen Bild-Text-Zusammenstellungen des Fotokünstlers sehen: Texte aus dem Markenhandbuch der Tirol Werbung kombiniert mit Fotografien aus den Skigebieten. Neben den Werbebotschaften "Stark, eigenwillig, echt, mutig" ist es besonders das Wort "verbunden", das Hechenblaikner gereizt hat.
"Demaskierung ist ein Wesensteil meines Werks"
"Zum Beispiel bei der Definition 'verbunden' gibt's eine Frau die Hände verschränkt und einem Rosenkranz, betende Hände. Und ich tausch' das Bild aus, und bei mir liegen dann halt zwei schwerst Betrunkene, zwei Männer, die auch verbunden sind, ja, weil sie sich umarmen in ihrer promillisierten Schicksalsgemeinschaft. Weil die Rauschindustrie in Tirol eine Dimension hat, die gewaltig ist. Und die Demaskierung ist ein Wesensteil meines Werks. Wo sind wir authentisch, wo lügen wir uns selbst etwas vor, oder wo wird's ein Hochverrat am Eigenen."
Sein unbarmherziger Blick auf ein Alpen-Disneyland mit falschen Skihütten und harmoniesüchtigen Volksmusikevents, auf die Narben, die der Ausbau von Pisten und Gletschern, der Einsatz künstlicher Beschneiung in den Bergen hinterlässt, wird ihm übelgenommen. (*) Er nennt sich selbstironisch "fotografischer Schmerzenskörper Tirols".
"Auf der einen Seite dieser extreme Nachfrage-Markt, und auf der anderen Seite dieses archaische Verhaftet-Sein im Bauernstand – wie verarbeitet das ein Mensch? Das ist nicht nur in Tirol so, das ist natürlich in Mallorca genauso zu finden. Aber wie schauen diese Versatzstücke aus beim alpinen Volk? Da schau ich natürlich genauer hin, weil ich ja dem selbst entsprungen bin und weil ich ja auch selbst im Tourismus aufgewachsen bin und der anderen Seite das Spiel mit dem Touristen sehr gut kenne."
"Da sehen wir die Brüchtigkeit einer Pseudokultur"
Lois Hechenblaikners Haus, das er mit seiner Frau und den beiden Söhnen bewohnt, ist hell und licht; die Wohnzimmerdeckenelemente sind aus handgeschöpftem Papier, ein Reisesouvenir aus dem Königreich Bhutan. Als fotografischer Autodidakt hat er die halbe Welt umreist; jetzt bleibt er in Tirol, allen Anfeindungen zum Trotz; auch wenn vor seinem Haus schon ein Sprengsatz gezündet wurde. Das erzählt er, ohne mit der Wimper zu zucken.
Abrupt steht er auf und holt seine Fotoserie "Hinter den Bergen". Darin setzt er seine Bilder einer alpinen Freizeitgestaltung Schwarz-Weiß-Fotografien aus den 1930er- und 1960er-Jahren gegenüber; Berg-Idylle.
"So wie früher ein Bauer mit der Sense auf dem Feld gestanden ist, so steht heute der Golfspieler auf dem Golfplatz beim Abschlag. Und diese formale Gleichheit ist eine Irritation, und beide haben so den Anschein einer landwirtschaftlichen Tätigkeit. Und aus dem heraus ist auch so etwas wie eine Entfremdung von der Natur passiert, ge. Warum entstehen auf den Bergen immer noch so Treppenstiegen oder Brücken, um den Berg noch einmal zu toppen. Als ob man dem Berg einen Spoiler aufsetzen muss, als ob er nicht schon gewaltig genug ist. Und da sehen wir die Brüchigkeit einer Pseudokultur, die einfach nichts Authentisches ist, sondern vielmehr wird die Bauernkultur ausgeschlachtet und als Kulissenbau verwendet, und sie ist nur noch eine Staffage für den Umsatz.
Menschen mit Kindern verändern die Welt zu deren Nachteil
Lois Hechenblaikners kultursoziologische Studien führen ihn jährlich tausende Kilometer weit durch das "Winter Wonderland", über "alpine Leichentücher", in "Gaudizonen" und in die Welt der Schneekanonen, "New Dimensions": So die Titel seiner Werkserien. Zuweilen stößt auch der hartgesottene Tiroler an seine Grenzen:
"Erstens bin ich Antialkoholiker, zweitens bin i nicht in dieser Feierlaune drinnen. Und trotzdem setz' ich mir eine professionelle Maske auf, um dort mitzumachen. Und ich seh' mich immer in der Rolle eines Tauchers, der ohne Sauerstoffgerät abtaucht. Ich kann das für eine gewisse Zeit machen, dann muss ich abhauen."
Als Kind, erzählt er nachdenklich, war er oft mit dem Vater auf der Alm, Käse machen. Und dann zeigt er auf das kleine Skigebiet vor seiner Haustüre, wo er früher am Lift für Freifahrten den Schnee glattgetrampelt hat. Jetzt laufen die Schneekanonen wegen der Plustemperaturen fast jeden zweiten Tag.
"Und wenn diese Zahlen mal extrem kippen, dann ist es vorbei. Des is tragisch, weil ganz viele Menschen dranhängen, und das ist letztendlich unser Lebensraum geworden, aus dem man natürlich auch sehr viel rausgezogen hat. Aber es ist menschgemacht, und die ganzen Temperaturen, die sich da ändern. Und so viele behaupten, stolz zu sein ein Tiroler zu sein – und warum führt man sich dann so auf, und Menschen, die selber Kinder in die Welt setzen, verändern diese Welt zum Nachteil ihrer Nachfolger. Und des verletzt mich zutiefst."
(*) Hier wurde auf Wunsch von Lois Hechenblaikner ein Satz gestrichen. Dabei ging es um die Frage, ob er in den touristischen Orten Tirols Vorträge halten bzw. seine Fotografien ausstellen darf. Nach seiner Auskunft ist das möglich, anders als im Beitrag geschildert.