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Fremd und verloren
Im Sog der Einsamkeit

„Einsam ist, wer sich einsam fühlt“, so lautet die einfache Definition von Einsamkeit. Vernetzt und doch allein sind heute zunehmend auch junge Leute – fremd und verloren in der Menge. Einsamkeit ist aber kein Schicksal, es gibt viele Möglichkeiten, vorzubeugen und Wege hinaus zu finden.

Von Bettina von Clausewitz |
Rückansicht einer sich selbst umarmenden Frau.
Therapeuten sagen: Um Einsamkeit wirksam zu bekämpfen, müsse das Thema raus aus der Tabuzone. (imago stock&people / Gary Waters)
"Ich kann allein sein und auch bewusst allein sein und das kann gut sein – Me-Time. Aber einsam sein, darauf habe ich keinen Einfluss. Es schleicht sich halt so langsam an und es ist wie – morgens ganz früh unter der Dusche stehen und das Wasser ist noch nicht warm. Kalt duschen, das ist eklig! Nicht schön!", sagt Christine Pleye.
"Einsamkeit hat etwas Schicksalhaftes an sich. Das ist ein Seins-Modus. Eine Art in der Welt zu sein, an der man nicht so viel ändern kann, auch wenn man unter Leute geht. Du fühlst dich irgendwie in dieser Welt – wie ein Alien", sagt Anton Reese.
Einsamkeit, ein altes Menschheitsthema auch schon zu biblischen Zeiten. Aber jetzt, in der modernen, digitalen Gesellschaft, erscheint es im neuen Gewand – und in allen Altersgruppen.
Klara Butting: "Es ist ein großes Thema, weil es ein bedrohliches Thema ist. Und die Bibel geht da hinein und bietet Hilfe, dass man nicht in die Einsamkeit sich verliert, sondern selbst zurückfindet. Zumindest die Orientierung wiederfindet hin auf Gemeinschaft."
Heidi Stiewink: "Das muss man vorher schon im Blick haben, dass man alt wird und dass man nicht einsam sein möchte, muss man im Blick haben, wenn man dazu neigt! Das muss man dann schon selber in die Hand nehmen."
"Ich hab mit dir gemeinsam einsam rumgesessen und geschwiegen, ich erinnre mich am besten ans gemeinsam einsam Legen, jeden Morgen danach bei dir, du nackt im Bett und ich barfuß am Klavier. Und ich sitz schon wieder - barfuß am Klavier."
(AnnenMayKantereit: "Barfuß am Klavier")
"Barfuß am Klavier", dieser Song klingt schon fast wie eine romantisierende Variante der Einsamkeit. Herzschmerz, Weltschmerz, der sich in die Weite der Musik verliert. Irgendwie auch groß anfühlt. Ganz anders jedenfalls als eine kalte Dusche am frühen Morgen. Oder das Gefühl, als Alien durch die Welt zu gehen: fremd und verloren, egal wie sehr man sich nach echter Nähe sehnt. "Einsam ist, wer sich einsam fühlt", so die einfachste Definition. Dieses Gefühl ist weit verbreitet - oft im Verborgenen.
Immer mehr Einsamkeit?
"Wir müssen klarbekommen, dass Einsamkeit ein sehr schillerndes Thema ist und wir müssen unterscheiden lernen: Was verbirgt sich hinter dieser Überschrift Einsamkeit? Und da ist ein weites Feld", sagt Ulf Steidel.
Er ist einer, der es wissen muss und sich auskennt mit Tabuthemen. Denn der evangelische Pfarrer ist Leiter der Telefonseelsorge in Düsseldorf. Bei Tausenden von Telefonaten, Mails oder Online-Chats jedes Jahr, sind hier alle Facetten der Einsamkeit dabei.
Rundes Metallschild von der Studentischen Telefonseelsorge Hamburg mit der Aufschrift: "Einsam?" und der Telefonnummer.
Telefonseelsorge wird auch extra für Studierende angeboten, etwa bei der Studentischen Telefonseelsorge Hamburg (Deutschlandradio/Axel Schröder)
Einige Medien berichten aktuell von einer "Einsamkeits-Epidemie", Studien dagegen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Einsamkeitsforscherin Maike Luhmann von der Ruhr-Universität Bochum etwa geht von 10 bis 15 Prozent Betroffenen aus, je nach Altersgruppe, bei über 85-Jährigen deutlich mehr.
Andere Forscher dagegen sagen, dass es noch viel mehr Einsame gibt – und dass es auch immer mehr werden. Aber wie verlässlich sind die Daten? Einsamkeit ist nicht objektiv messbar, oft nicht von Dauer, sondern eine Phase. Unabhängig von den Zahlen jedoch ist das Leid der Betroffenen in jedem Einzelfall groß, sagt Ulf Steidel von der Telefonseelsorge. Hier werden die Zahlen zu Lebensgeschichten.
Gut eingebunden und trotzdem einsam
"Das betrifft erst mal die Leute, die sozial sehr zurückgezogen leben, die auch faktisch einsam sind. Die melden sich, weil sie einmal am Tag jemanden atmen hören wollen oder ein Wort wechseln wollen mit einem lebendigen Menschen. Wegkommen von der Berieselung vielleicht durch den Fernseher und das Radio. Neben den tatsächlich zurückgezogen lebenden Menschen sind es Menschen, die gut eingebunden sind, und die dennoch ein Thema haben, wo sie sagen: Ich möchte es nicht wieder in der Familie besprechen, im Freundeskreis besprechen, ich brauche mal eine Stellungnahme von außen. Diese Facette nennt die Einsamkeitsforschung ‚Alone in the Crowd‘"
"Allein in der Menge", das bedeutet: Gut eingebunden zu sein und sich trotzdem einsam zu fühlen, niemanden zu haben, der einen im Tiefsten versteht und trägt.
Diese Facette der Einsamkeit ist unter Jüngeren und in der mittleren Generation zumeist gut versteckt. Oder verrät sich in der Beliebtheit von melancholischen Songs wie "Barfuß am Klavier" der Kölner Gruppe AnnenMayKantereit. Wer will in der Familie, im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz schon gerne Problemfall oder Spaßbremse sein? Ein Tabuthema, mit immer mehr Risikofaktoren, meint Ulf Steidel:
"Häufiger die Stelle wechseln, häufiger umziehen, vielleicht sogar auch Arbeit vor Familiengründung, wie auch immer - das sind natürlich Risikofaktoren, nicht wirklich irgendwo anzukommen und Beziehungen kleinschrittig aufzubauen. Ich glaube in der Tat, dass moderne und postmoderne Gesellschaft mehr Risikofaktoren hat, auch für Einsamkeit."
Allein in der neuen Stadt
"Das erste Mal, dass ich tatsächlich Einsamkeit erlebt habe, war im Studium", sagt Stephan Orth. "Man ist erst mal auf sich alleine gestellt: Erste eigene Wohnung, wenn man nicht gerade in der WG wohnt, ist es das erste Mal, dass man völlig alleine abends in einer Wohnung einschläft. Und man weiß: Hier bin nur ich! Hier ist nicht im Nebenzimmer noch jemand, der hier auch liegt. Das ist eine neue Situation, da kann man auch Einsamkeit verspüren. Wenn man denkt: Da ist jetzt nicht jemand, der morgens mit dir am Küchentisch sitzt."
Studentenleben mal anders erzählt. So ging es Stephan Orth, heute 26, als er anfing zu studieren: weg aus dem vertrauten Umfeld am Niederrhein, neu und unerfahren in Münster. Als der Vater plötzlich starb, fühlte er sich noch verlorener.
Chrsitine Pleye
Chrsitine Pleye von der Jugendkirche „Effata“ in Münster (Deutschlandradio / Bettina von Clausewitz)
Es dauerte einfach, bis neue Beziehungen und Freundschaften entstanden waren. Zum Beispiel zu Christine Pleye, die ebenfalls Theologie studierte. Auch sie kommt aus der relativen Geborgenheit einer dörflichen Umgebung. Das Alleinsein war anfangs wie eine kalte Dusche für sie.
"In dem Ort, aus dem ich komme, ist es tatsächlich so – gefühlt: Jeder kennt jeden. Egal, ob man zum Einkaufen geht, zur Schule geht, man kennt sich halt. Auf der Straße sind Leute, von denen hat man irgendwie eine Idee, es ist klein dort", sagt Christine Pleye. "Und dann bin ich hier nach Münster gekommen, Münster war ´ne große Stadt für mich, auch wenn sich manche Leute in anderen Städten das gar nicht vorstellen können, und auf einmal war alles so neu. Ich kannte niemanden erstmal."
"Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe"
Beide sind mittlerweile neu beheimatet. Christine Pleye arbeitet bei einer Jugendkirche in Münster und Stephan Orth ist neben dem Studium Sprecher der Grünen in der Universitätsstadt. Aber die schwierige Anfangszeit in einer neuen Stadt, wie sie Tausende junge Leute bundesweit jedes Jahr erleben, ist unvergessen. Ein Widerhall davon auch in einem ihrer Lieblingssongs:
"Und ich sitz schon wieder - barfuß am Klavier, ich träume Liebeslieder, und sing dabei von dir."
(AnnenMayKantereit: "Barfuß am Klavier")
"Es ist total wichtig, dass dieses Thema nicht immer ausgegrenzt wird", sagt Stephan Orth, "und man die Leute, die sich als einsam empfinden, als Menschen mit einer Schwäche betrachtet, sondern dass man sagt: Das ist jeden Tag Realität und total wichtig, dass wir alle das als Gemeinschaftsaufgabe begreifen. Und zwar nicht nur im Blick auf Menschen, die alt sind, sondern als Gesamtthema der Gesellschaft. Und das kann jeden durch ganz viele Momente irgendwann mal treffen."
Stephan Orth, Theologiestudent in Münster
Stephan Orth, Theologiestudent in Münster (Deutschlandradio / Bettina von Clausewitz)
2018 hat Stephan Orth mit seiner Kirchengemeinde St. Lamberti die Initiative "Blickpunkt Menschen" initiiert: Wer mitmachte, trug einen orangefarbenen Button an der Kleidung und signalisierte damit: "Ich bin ansprechbar". Derzeit ist ein neues Projekt in Planung. Denn "Alone in the Crowd", davon sind auch junge Leute betroffen, gut vernetzt und doch allein. Das erlebt Stephan Orth in der Unibibliothek ebenso wie beim Cappuccino.
Ministerium für Einsamkeit in Großbritannien
"Also die sozialen Medien führen ja zu einer ganz anderen Form von Kommunikation", sagt Stephan Orth. "Dass beispielsweise Leute im Café sitzen und nur an ihrem Gerät sind – das Gerät ist nicht nur ein technisches Ding, sondern ist mittlerweile auch ein Beziehungs-Gegenüber - das wird metaphorisch zu meinem Gegenüber! Das macht‘s auch schwerer, Leute, die neue Leute kennenlernen wollen, auch anzusprechen. Ich glaube, soziale Netzwerke, Smartphones etc.: Fluch und Segen! Aber nicht nur Fluch. Und nicht nur Segen. Es ist beides. Es ist immer eine Frage der Balance."
Handlungsbedarf, mittlerweile reagiert auch die Politik: Großbritannien hat 2018 die erste Einsamkeitsministerin in Europa berufen; und die Bundesregierung hat das Thema als gemeinsame Aufgabe formuliert. Denn internationale Studien belegen: Einsamkeit bedeutet Stress und macht krank.
Depressionen, Bluthochdruck, Demenz und früher Tod etwa können die Folge sein. Bei über 60-Jährigen soll Einsamkeit sogar so gefährlich wie 15 Zigaretten pro Tag sein. Eine Situation, die auch volkswirtschaftlich relevant ist. Im Koalitionsvertrag heißt es deshalb:
"Angesichts einer zunehmend individualisierten, mobilen und digitalen Gesellschaft werden wir Strategien und Konzepte entwickeln, die Einsamkeit in allen Altersgruppen vorbeugen und Vereinsamung bekämpfen." (Koalitionsvertrag)
"Ich kenne das gar nicht anders"
"Ein bisschen Wehmut bleibt uns immer,
denn sonst wär‘ der Mensch so leer,
sie blockiert das Gästezimmer und sie macht das Herz so schwer.
Ein bisschen Wehmut darf nie fehlen, schließlich wird man sie nicht los,
man vertreibt sie aus den Seelen, aber sie wird stark und groß."
(Anton Reese: "Wehmut")
Eine Verlorenheit, die sich nicht abschütteln lässt – so die Erfahrung dieses Liedermachers aus dem Ruhrgebiet, nennen wir ihn Anton Reese. Wer studiert, einen neuen Job anfängt oder in eine fremde Stadt zieht, hat sich meistens nach einiger Zeit wieder eingelebt. Für Reese dagegen ist die Einsamkeit eine ungeliebte Gefährtin von Kindheit an, auch jetzt mit Anfang 50 noch.
"Ich bin sozusagen schon hineingeboren, ich kenne das gar nicht anders", sagt Anton Reese. "Seit ich überhaupt denken kann, nehme ich mich als fremd in der Welt wahr. Das kann ich jetzt auch nicht weiter erklären, wo das herkommt, aber genauso ist es. Das hat was Schicksalhaftes und alle Bemühungen, das zu ändern, scheitern. Es ist einerseits ein Schmerz, weil man merkt, irgendwie ist man anders als die anderen. Man merkt: Die Leute gehen auf Abstand, die finden einen komisch, man selbst findet das aber auch genauso. Man versteht die Welt nicht und die anderen Menschen nicht. Das ist das, was einen einsam macht."
"Es ist wie ein Makel"
Wie ein Alien von einem anderen Stern. Dabei hat Anton Reese in vielen Berufen und Milieus versucht, sich zu beheimaten, fast immer mit Abschlüssen. Anfangs als Bankkaufmann, später als Maurer und auf einem Bio-Hof, dann als Altenpfleger und lange als Busfahrer. In dieser Zeit absolvierte er nebenher auch noch ein Magisterstudium in Philosophie und Germanistik.
Aber dann verließ ihn die Kraft, wie er selbst sagt. Eine schwere Depression brach aus und mit ihr unentrinnbar die Erinnerung an sexuellen Missbrauch und eine lieblose Kindheit. Anders als früher aber versteckt Anton Reese seine Einsamkeit heute nicht mehr.
"Es ist wie ein Makel, man will ja dazugehören, man will ja geliebt sein vor allem. Da ich aber gemerkt habe: Selbst wenn du nicht dazu stehst, liebt dich ja auch keiner - das bringt überhaupt nix zu lügen, das bringt gar nichts! Sondern wichtiger ist es, zu sich zu stehen, das zu benennen und darauf zu hoffen, dass es mal einen Menschen gibt, der das versteht."
Oder einen Gott, der den Schmerz lindert. Auch wenn die Antwort für Anton Reese noch aussteht.
"Ich glaube, seit ich denken kann, ich kenne es gar nicht anders, ist Gott ist für mich immer irgendwie existent. Aber ich hab es noch nie erlebt, dass er mich erfüllt hätte. Ich habe Gott bestimmt 100.000-mal darum gebeten, ich habe es aber nie erlebt."
"Du weißt den rechten Weg für mich"
Von Einsamkeit überwältigt war auch - 1943 im Gefängnis der Nationalsozialisten - der später ermordete Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer:
"Gott, zu dir rufe ich am frühen Morgen,
hilf mir beten und meine Gedanken sammeln;
ich kann es nicht allein
In mir ist es finster, aber bei dir ist Licht
ich bin einsam, aber du verläßt mich nicht
ich bin kleinmütig, aber bei dir ist Hilfe
ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden
in mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist Geduld
ich verstehe deine Wege nicht,
aber du weißt den rechten Weg für mich.
(Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung)
Ein Morgengebet Bonhoeffers, voller Zweifel und doch im Vertrauen: "Ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht." Ähnlich klingen viele biblische Psalmen im Alten Testament. Psalm 102 etwa:
"Ich bin wie die Eule in der Einöde, wie das Käuzchen in den Trümmern.
Ich wache und klage wie ein einsamer Vogel auf dem Dache."
(Lutherbibel, Psalm 102, Vers 8)
Oder Psalm drei, als der spätere König David auf der Flucht ist:
"Ach Herr, wie sind meiner Feinde so viel
und erheben sich so viele gegen mich!
Viele sagen von mir: Er hat keine Hilfe bei Gott.
Aber du, Herr, bist der Schild für mich.
Du bist meine Ehre und hebst mein Haupt empor.
Ich rufe an mit meiner Stimme zum Herrn,
so erhört er mich von seinem heiligen Berge.
Ich liege und schlafe und erwache; denn der Herr hält mich.
Ich fürchte mich nicht vor vielen Tausenden, die sich ringsum wider mich legen.
Auf, Herr, und hilf mir, mein Gott!"
(Lutherbibel, Psalm 3)
Trost aus Psalmen
"Die Psalmen adressieren Menschen, die völlig isoliert sind, in einer Situation der Globalisierung oder mit ökonomischem Fortschritt wie heute", sagt Klara Butting. "Und es gibt Menschen, die kommen unter die Räder. Das erste Gebet, Psalm drei, spricht das gleich an: Viele sind es, die mich bedrängen, viele sagen: Der hat keine Chance mehr! Dieses: Ich bin da und alle sind gegen mich – ich würde das Psalm-Buch als einen Weg beschreiben, der in dieser Situation interveniert, dass ich nicht der Einsamkeit verfalle. Und mich innerlich verhärte und die Welt abschreibe."
Prof. Klara Butting, Leiterin des Zentrums für biblische Spiritualität und politische Verantwortung Wolterburger Mühle bei Uelzen (Niedersachsen)
Prof. Klara Butting, Leiterin des Zentrums für biblische Spiritualität und politische Verantwortung Wolterburger Mühle (Deutschlandradio / Bettina von Clausewitz)
Theologieprofessorin Klara Butting forscht über die mehr als 2.000 Jahre alten Psalmen, Einsamkeit ist für sie ein altes Menschheitsthema in neuem Gewand. In vielen Bibeltexten findet sie Antworten auf die Fragen des 21. Jahrhunderts.
Jesus etwa hat in traditionellen Gesten und Ritualen Trost gefunden, als Judas ihn verriet. Beim Abendmahl kurz vor seiner Verhaftung teilte er Brot und Wein aus wie schon von den Vorfahren in den Psalmen beschrieben. Und auch später am Kreuz fasste er seine Klage in Psalm-Worte:
"Mein Gott, warum hast du mich verlassen?"
Eingebunden durch Rituale
Für Klara Butting ein Schlüssel zum Umgang mit der Einsamkeit, der heute noch passt.
"Das ist für mich unglaublich wichtig, dieses Wissen: Ich bin nicht nur ich und ich muss auch nicht nur ich sein – entweder indem man Lieder singt oder Worte spricht, die Leute vor mir gesprochen haben. Dass man selber so kleine Rituale hat, in denen ich mir deutlich mache: Ich gehöre zu einer großen Geschichte von Menschen, die geträumt und gehofft haben, und die Humanität auf dieser Erde wollten, und die lassen mich nicht und ich lasse sie nicht - und das sprengt die Einsamkeit!"
Ich bin nicht nur ich – für die einen bedeutet das, eine Kerze anzuzünden, andere suchen im Internet nach Seelenverwandten. Allen gemeinsame Rituale jedoch, Lieder oder gar Gebete wie noch im letzten Jahrhundert, gibt es immer weniger. Denn jede Subkultur hat ihre eigenen Rituale. Und wer zu keiner gehört, bleibt sich selbst überlassen. Oder meldet sich vielleicht bei einer der mehr als 100 Telefonseelsorge-Stellen bundesweit. Was dort angeboten wird, könnten andere auch, meint Pfarrer Ulf Steidel.
"Wir als Telefonseelsorge sind grundsätzlich daran interessiert, dass das, was wir in diesem geschützten Setting Telefonseelsorge bieten, nämlich ein gutes, angemessenes, aktives Zuhören, dass wir diese Haltung auch multiplizieren. Ich glaube, wir müssen überall in der Gesellschaft, wo wir leben, wo wir arbeiten, so eine Kultur des guten Zuhörens wieder etablieren, das verringert die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen sich einsam fühlen", sagt Steidel.
Zuhören als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Aber auch neue Wohnkonzepte, bürgerfreundliche Stadtteile und Treffpunkte können eine wichtige Rolle spielen. Denn jeder fünfte Deutsche lebt in einem Single-Haushalt, Tendenz steigend.
"Das muss man schon selber in die Hand nehmen"
Für die frühere Journalistin Heidi Janina Stiewink geht es aber auch darum, selbst aktiv zu werden. Einsamkeit ist für die 75-Jährige aus Wetzlar kein Schicksal und Alter kein Synonym für Einsamkeit, ganz im Gegenteil.
"Das muss man vorher schon im Blick haben, dass man alt wird und dass man nicht einsam sein möchte, muss man im Blick haben, wenn man dazu neigt. - Ich kam ja gar nicht auf die Idee, weil ich immer in einem Umfeld mich bewegt habe von sozialem Engagement in einer mittelgroßen Stadt und das habe ich eben einfach weiter gemacht", sagt Heidi Stiewink. "Für mich hat die Frage sich nicht gestellt. - Ich hab‘ ja auch mein Auto und verreise dann ja auch, wohin ich möchte. Aber das muss man dann schon selber in die Hand nehmen."
Heidi Stiewink
Selbst aktiv zu werden, hält Heidi Janina Stiewink für besonders wichtig (Deutschlandradio / Bettina von Clausewitz)
Obwohl Heidi Stiewink alleine lebt und gesundheitlich eingeschränkt ist: Durch ihr kirchliches Engagement, die langjährige Entwicklungszusammenarbeit mit Menschen im westafrikanischen Burkina Faso, Reisen dorthin und viele Kontakte ist sie weiter mitten im Leben. Eine Entscheidung gegen die Einsamkeit.
"Ich habe ja immer noch Hoffnung!"
Eigeninitiative und Menschen zu finden, die zuhören oder einfach da sind, das hat auch das Leben des Busfahrer-Philosophen Anton Reese aus dem Ruhrgebiet ein wenig verändert. Mittlerweile hat er einen Teilzeitjob als Hausmeister in einer Kirchengemeinde angenommen.
"Die meisten Leute, mit denen ich zu tun habe, geben einem nicht das Gefühl, dass man ein Alien ist. Das reicht dann in der Regel schon, das muss gar nichts Großes sein", so Reese.
Einsamkeit light – zumindest zeitweilig ist sie abgemildert. Gute Ratschläge an andere mag Anton Reese jedoch nicht verteilen.
"Ich habe mich sozusagen in diesem Keller eingerichtet, deswegen kann ich über den Ausweg relativ wenig sagen. Aber ich habe ja immer noch Hoffnung! Dann bete ich halt noch ein hunderttausenderstes Mal oder auch noch ein hunderttausendzweites Mal, weil: Ich sehe nicht, wie man sich da an seinem eigenen Schopf rausziehen kann. Von der Logik der Sache ist man da schon auf andere angewiesen. Und wenn es Gott ist!"
www.telefonseelsorge.de
Kostenloser Anruf: 0800 - 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222.