Der Sänger der ungarischen Rechtsrock-Band Kárpátia begrüßt "Großungarn" auf dem "Magyar Sziget"-Festival am Donau-Knie. Das Rockfestival ist die rechtsextreme Alternativ-Veranstaltung zum Budapester Multikulti-Spektakel "Sziget"-Festival. Die Band Kárpátia macht in ihren Liedern den Friedensvertrag von Trianon zum Thema – 1920 verlor Ungarn zwei Drittel seines Territoriums an die Anrainerstaaten. Sänger János Petrás:
"An das Friedensdiktat von Trianon müssen wir erinnern. Denn es ist das Symbol der Zerrissenheit des Landes. Wir hoffen, Trianon verschwindet, dafür kämpfen wir."
"Nem, Nem, Soha" – Nein, Nein, Niemals – singt Petrás. Das war das Motto der Horthy-Ära, der Zwischenkriegszeit. Der autoritäre Herrscher hatte sich mit Hitler verbündet, um die verlorenen Gebiete zurück zu bekommen. Kárpátia und andere Rockbands in Ungarn stehen für eine nationalistische Subkultur, die auf Aufklebern, T-Shirts und mit Liedern immer wieder fordert: Weg mit Trianon - und das heute, im Jahr 2014. Trianon – das ist das ungarische Trauma. Diesem Kárpátia-Fan gefällt die Botschaft der "nationalen" Rockband.
"Die Musik geht ins Ohr. Und was sie zu sagen haben, ist ernst. Es tut gut, mit ihnen zu singen. Großungarn, Heimatliebe, ich bin Stolz ein Ungar zu sein. Und das kommt von der Bühne."
Kein Einzelfall: Rechtsrock-Bands sind sehr beliebt bei ungarischen Jugendlichen, bestätigt Sándor Pápai. Der 51-Jährige betreibt in Budapest einen gut sortierten kleinen Plattenladen.
"Die gehen tierisch gut. Da spielt Qualität keine Rolle. Es reicht die ideologische Zugehörigkeit. Es ist so einfach, mit einem Kárpátia-Konzert – egal wo – den Saal zu füllen. Man muss nur die ungarische Flagge auf die Plakate drucken, ein, zwei Symbole, und alle gehen hin. Weil die Ideologie stimmt. Und selbst dann, wenn man Rockmusik nicht mag, oder die einfach Mist ist."
Orbán bedient die Sehnsüchte der ungarischen Rechten
In Reden, in Symbolen beschwört auch Ministerpräsident Viktor Orbán den Nationalismus. Das Zusammenstehen gegen äußere wie innere Feinde. Multinationale werden zu Feindbildern. Brüssel. Ungarische Kritiker. Linke. Er bedient damit die Sehnsüchte der ungarischen Rechten. Schriftsteller Rudolf Ungváry nennt diese Leute "archaisch".
"Sie sehnen sich nach einer Führerpersönlichkeit. Sie sehnen sich nach nationaler Großmäulerei. In Ungarn und in ganz Osteuropa gab es nach 1945 keine freie Öffentlichkeit und die ungarischen Rechten blieben dort, wo sie mit 1945 aufgehört haben zu existieren - ich meine die kulturellen Wurzeln. Und nachdem wir jetzt endlich frei wurden mit 1989, entfaltet sich dieses Vermächtnis der ungarischen Rechten."
Viktor Orbán betreibt gezielte Geschichtspolitik: Der Platz vor dem Parlament wurde zurückgebaut – sieht jetzt aus wie 1944. Ein umstrittenes Besatzungsdenkmal in Budapest zeigt den unschuldigen Erzengel Gabriel – Symbol für Ungarn, bedrängt vom deutschen Adler. Ein Persil-Schein für Ungarn, die bei der Deportation und Ermordung einer halben Million Juden mithalfen. Auch Horthy-Statuen und Plaketten werden allenthalben enthüllt in Ungarn.
Und Viktor Orbán kümmert sich um die Auslands-Ungarn – etwa zweieinhalb Millionen in den Anrainerstaaten. Er gab ihnen Doppelpass und Wahlrecht, auch um sich ein neues Wählerpotenzial zu erschließen. Er begründete das mit der niedrigen Geburtenrate:
"Wir sind eine bedrohte Art. Es gibt mehr Beerdigungen als Taufen."
Die Auslands-Ungarn sollen helfen. Ein Franziskaner-Mönch ist der 500.000 Auslands-Ungar, der die doppelte Staatsbürgerschaft erhält. Für ihn und die anderen Ungarn außerhalb der Landesgrenzen ist Zsolt Semjén zuständig.
"Unsere Aufgabe ist, dass wir die ganze EU wieder auf den Kurs des christlichen Kulturerbes bringen und innerhalb der EU knallhart die nationalen Interessen vertreten. Nicht nur bezogen auf Ungarn selbst, sondern auf die gesamte Nation: Das schließt die Auslands-Ungarn in Siebenbürgen, Slowakei, Vojvodina und Karpato-Ukraine ein.
Revisionismus light
Ist das Revisionismus light? Der Budapester Historiker András Gerö meint:
"Man kann das für Revisionismus light halten, wenn der ungarische Staat seine Hoheit auf diese Gebiete ausdehnt. Die Verfassung suggeriert dies, denn da steht: Jeder Ungar ist für jeden Ungarn verantwortlich. Das ist eine Losung, die man nicht erfüllen kann."
2010 führte die ungarische Regierung einen nationalen Gedenktag ein: Der 4. Juni, der Jahrestag der Unterzeichnung des Trianon-Vertrages, gilt künftig als Tag des Zusammenhalts. Im entsprechenden Gesetz ist von "Friedensdiktat" und von nationaler Tragödie die Rede. Sogar ein kitschiges Lied gab die Regierung in Auftrag, um den Zusammenhalt der Ungarn zu fördern: "Über die Grenzen hinweg".
Zusammenhalt täte Not, aber man kann ihn nicht verordnen. Trotz aller Beteuerungen: Ungarn ist politisch extrem gespalten - in zwei Lager: rechts und links. Trianon taugt nicht als Kitt, denn die Linke hat das Thema schlicht verschlafen, glaubt Historiker Gerö:
"Die Linke ist in dieser Frage total unfähig. Sie haben nichts zu sagen: Weder zu Trianon, noch zu dem, was Ungarn in dem Zusammenhang erlitten haben. Das ist eine Art Flucht. Und das ist nicht gut. Denn damit überlassen sie das Terrain denen, die ein traditionelles, revisionistisches Denken vertreten."