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Fremdenfeindlichkeit
"Einstiegsdroge für den Rechtsextremismus"

Die neue "Mitte-Studie" der Universität Leipzig zeigt, wo Fremdenfeindlichkeit in Deutschland auf fruchtbaren Boden fällt. Elmar Brähler ist Ko-Autor der Studie und glaubt, dass es kein Zufall ist, dass beispielsweise der NSU vor allem in Thüringen und Sachsen agiert habe. Er plädierte im DLF dafür, Bewegungen wie Pegida deutlicher entgegenzutreten.

Elmar Brähler im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    Sie wollen "das Volk" sein: Pegida-Demonstranten am 22. Dezember 2014 in Dresden
    Sie wollen "das Volk" sein: Pegida-Demonstranten am 22. Dezember 2014 in Dresden (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)
    Stefan Koldehoff: Geschichte vollzieht sich angeblich in Zyklen. Irgendwann wiederholen sich bestimmte Muster, sagen manche Historiker, und deshalb ist es für sie auch keine Überraschung, wenn sie sich zurzeit wieder an den Beginn der 1990er-Jahre erinnert fühlen, als Flüchtlingswohnheime brannten und es Mahnwachen und Bürgerinitiativen geben musste, die jene Menschen schützten, die vor Krieg und Leid und Elend und fehlenden Perspektiven nach Deutschland geflohen waren. Nun hat in Deutschland wieder eine Flüchtlingsunterkunft gebrannt, und es mehren sich Nachrichten von weiteren Anschlägen und ausländerfeindlichen Protesten. Seit 2002 veröffentlicht die Uni Leipzig alle zwei Jahre ihre "Mitte-Studie". Die neue ist gerade erschienen. Aus ihr geht hervor, in den westlichen Bundesländern liegt die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen im Durchschnitt bei 20 Prozent, in Bayern bei 33,1 Prozent, in Sachsen-Anhalt gar bei 42,2 Prozent. Professor Elmar Brähler ist Ko-Autor dieser Studie. Ihn habe ich zunächst einmal gefragt, warum eigentlich "Mitte-Studie"?
    Elmar Brähler: Wir haben 2002 begonnen, rechtsextreme Einstellungen in Deutschland zu erfragen nach einem Fragebogen, den deutsche Politologen damals auf der Konsensus-Konferenz vereinbart hatten, um die Ergebnisse vergleichbar zu machen. Wir hatten dann festgestellt, dass sich rechtsextreme Einstellungen, dass sie nicht nur bei den Anhängern der Republikaner damals oder der NPD vorhanden sind, sondern auch bei vielen Anhängern, also Wählern, der Volksparteien. Das hat uns auch dazu gebracht, die rechtsextremen Einstellungen jetzt nicht so als ein Problem von ewiggestrigen NPD-lern zu betrachten, sondern dass sie mitten in der Gesellschaft vorkommen, vor allem auch bei Angehörigen der Konfessionen, auch bei Gewerkschaftsmitgliedern.
    "Die Ausgrenzung bestimmter Ausländer hat zugenommen"
    Koldehoff: Anfang der 90er-Jahre - heute wird in vielen Beiträgen darauf verwiesen – haben schon mal Flüchtlingswohnheime gebrannt, nun wieder, in Tröglitz. War das für Sie überraschend, oder lassen sich aus den Erhebungen, die Sie nun seit vielen Jahren machen, solche Entwicklungen herauslesen? Konnte man sagen, so etwas wird irgendwann aus Einstellungen auch Taten machen?
    Brähler: Die Einstellung Ausländerfeindlichkeit ist vorhanden. Ich hab die immer so als Einstiegsdroge für den Rechtsextremismus bezeichnet. Ausländerfeindlichkeit wird an Stammtischen geäußert, aber nicht nur dort, sondern auch an den Kaffeetafeln. Wir hatten ja festgestellt, dass die Ausländerfeindlichkeit sogar in den letzten Jahren, von 2002 bis 2014, sogar zurückgegangen ist. Aber die Ausgrenzung bestimmter Ausländer hat zugenommen.
    Koldehoff: Es gibt im Gegenzug ganz viele Initiativen, die versuchen, dagegen anzugehen. "Füreinander miteinander", es gibt Mahnwachen, es gibt Nachbarschaftshilfen und so weiter. Was können die denn an diesen grundsätzlichen Einstellungen ändern? Ist das mehr eine praktische Hilfe vor Ort? Müssen wir eigentlich damit leben, dass es dieses Potenzial, das Sie in Ihrer Studie beschreiben, gibt, oder lässt sich da irgendwie noch was dran ändern?
    Brähler: Ich glaube, Bildung ist ein wichtiger Punkt und natürlich nicht nur die formale Bildung, auch politische Bildung, auch lebenslang. Und das andere ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt, der vor allem die neuen Länder auch betrifft, irgendwie die Unzufriedenheit mit der Demokratie, wie sie stattfindet. Also, für Demokratie sind ja fast alle, aber die Demokratie, wie sie stattfindet, da wird eine politische Entfremdung geäußert in der Richtung, dass man glaubt, man hat eben nichts zu sagen. Und ich glaube, in unserer Gesellschaft wäre eine größere Diskursfreudigkeit wünschenswert. Viele unserer Institutionen sind ja noch ziemlich autoritär strukturiert, nicht nur das Militär, sondern die Kirchen, die Parteien, die Gewerkschaften, die Schulen. Wir haben schon lange nichts mehr von Mitbestimmung in Betrieben gehört, das Wort gibt es gar nicht mehr. Also da könnte man doch ein bisschen mehr Diskursfreudigkeit wieder an den Tag legen.
    Koldehoff: Das sind keine Ad-hoc-Maßnahmen, die Sie da vorschlagen.
    Brähler: Nein, natürlich nicht, nein.
    "Im Umfeld von Pegida wächst nichts Gedeihliches"
    Koldehoff: Welcher Zeitraum könnte das sein, den so etwas umfasst?
    Brähler: Ich glaube, für den Zeitraum kann ich hier keinen Fünfjahresplan machen. Das ist eine sehr langfristige Aufgabe. Ich glaube, es ist auch kein Zufall, dass die NSU sich in Thüringen und Sachsen überwiegend aufgehalten hat. Ich glaube, die NSU-Geschichte und die Vorbedingungen sind auch nicht ausreichend aufgeklärt und die Konsequenzen daraus zu ziehen, da ist auch viel nachzuholen. Und wenn das jetzt wieder anfängt mit Heime-Anstecken, das ist schon ein sehr bedenkliches Zeichen.
    Koldehoff: Sie haben heute viel mit Journalisten gesprochen. Auch mit Politikern? Haben die sich bei Ihnen auch gemeldet?
    Brähler: Nein. Politiker haben sich nicht gemeldet. Politiker nehmen - das erwarte ich auch gar nicht. Viele Politiker, die die Situation wahrnehmen, wie sie ist, dass viele ein Gespür dafür haben. Gefährlich ist allerdings, finde ich gefährlich, wenn so Stimmen laut werden, so, wenn die Pegida-Versteher jetzt aufstehen, also das finde ich - da fehlen die Abgrenzungen, und deutlich zu sagen, dass es so nicht geht. Denn im Umfeld von Pegida wächst nichts Gedeihliches und von Pegida-Ablegern, sondern diese Versammlung, wo einer der Organisatoren von "Gelumpe" redet, wenn es um Flüchtlinge geht, dass das das beiseite gewischt wird und alle behaupten, sie hätten keine rechtsextremen Ansichten, sie seien nicht ausländerfeindlich - ich glaube, da muss man doch schon deutlicher entgegentreten.
    Koldehoff: Elmar Brähler, Ko-Autor der "Mitte-Studie" über die Ursachen für den neuen alten Rechtsextremismus in Deutschland.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.