"Jeder, der nicht hurra schreit, wenn Flüchtlinge aufgenommen werden, wird als Rassist beschimpft," so Schroeder. Das dürfe nicht sein. Bedenkenträgern müsse man sachlich und nüchtern begegnen. Den Sorgen in der Bevölkerung müsse Rechnung getragen werden.
Schroeder hält Fremdenfeindlichkeit für kein rein ostdeutsches Problem. Extremisten gebe es überall. Was in Tröglitz geschehen sei, hätte auch in Westdeutschland passieren können.
Die Zunahme von Übergriffen auf Flüchtlinge sei zwar besorgniserregend, Schroeder hält Deutschland dennoch nicht für überfordert. Es müsse jedoch klarer kommuniziert werden, wie mit Flüchtligen umgegangen werden solle. Es gebe bei der Integrationsfrage viele Themen, die nicht offen angesprochen würden, das fördere Unzufriedenheit in der Bevölkerung. "Wir müssen Konzepte der schnellen Integration finden," so Schroeder.
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Erst tritt der ehrenamtliche Bürgermeister von Tröglitz zurück, weil er sich vor rechtsextremen Anfeindungen gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft nicht geschützt sieht, dann brennt in dem Ort in Sachsen-Anhalt das Haus, in dem die Flüchtlinge untergebracht werden sollten. Tröglitz ist zum Synonym für Ausländerfeindlichkeit und rechte Hetze geworden. Aufgeben wollen die zuständigen Politiker ihre Pläne nicht. Der Innenminister von Sachsen-Anhalt Holger Stahlknecht von der CDU meint, als Folge des Anschlags auf die Unterbringung der Flüchtlinge zu verzichten, wäre eine Kapitulation des Rechtsstaats.
Darüber sprechen möchte ich jetzt mit dem Zeithistoriker Klaus Schröder. Er ist Professor an der Freien Universität Berlin und Experte für Rechtsextremismus. Guten Morgen!
Klaus Schroeder: Guten Morgen, Frau Kaess!
"Die Politik hat sich vorbildlich verhalten"
Kaess: Herr Schroeder, es gibt eine Leipziger Untersuchung, die sagt: Die Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland in den Ostbundeländern und in Bayern, dort ist sie am stärksten, und an der Spitze steht Sachsen-Anhalt mit 42 Prozent. Haben wir es also mit einem typischen Ostproblem zu tun?
Schroeder: Nein. Extremisten, die sich so verhalten wie in Tröglitz, gibt es überall, aber sie sind die kleine Ausnahme, nicht die Regel. Das, was die Studie erfragt hat, trifft nicht den Kern des Problems, nämlich, wie wir mit Flüchtlingen umgehen. In Tröglitz kam viel zusammen, aber die Politik hat sich jetzt vorbildlich verhalten: Sie sind vor Ort gewesen, der Ministerpräsident, der Innenminister, sie weichen nicht zurück, sie setzen Signale. Und auch in der Bevölkerung vor Ort scheint mir ein Umdenken stattzufinden, dass man sich nicht nur schweigend verhält gegenüber den Rechten, den NPD-Funktionären, sondern dass man Flagge zeigen will. Insofern ist das auch ermutigend nach den verabscheuungswürdigen Vorgängen der letzten Tage.
Kaess: Würden Sie sagen, in Tröglitz hat es eine gezielte Strategie der Rechten beziehungsweise der NPD gegeben?
Schroeder: Ja, überall, so solche Konflikte hochkommen, versucht die NPD oder andere Neonazis versuchen, das zu schüren, versuchen, die Bevölkerung aufzuhetzen, und dann ist eine sachliche Diskussion nicht mehr möglich. Andererseits – diejenigen, die das kritisieren, die pauschalisieren gleich: Jeder, der nicht "Hurra!" schreit, wenn Flüchtlinge untergebracht werden sollen im Ort, der wird als Rassist beschimpft. Also es mangelt an einer sachlichen, nüchternen und differenzierten Diskussion über die Problematik, und das sieht vor Ort dann immer anders aus als in Berlin oder in der jeweiligen Landeshauptstadt. Hier sollten wir sachlicher mit umgehen und sollten auch den Bedenken der Bevölkerung, wo sie vorhanden sind, Rechnung tragen.
"NPD ist im Verschwinden begriffen"
Kaess: Dennoch mal ganz kurz speziell zu diesem Fall Tröglitz: Ist die NPD dort besser organisiert, straffer organisiert als an anderen Orten?
Schroeder: Na, sie ist in Ostdeutschland sowieso besser organisiert. Aber sie ist auch verschwindend gering inzwischen. Selbst in Sachsen ist sie zurückgegangen. Also die NPD mag lokal noch eine gewisse Stärke haben, aber in der Breite, bezogen auf Deutschland, auch auf Ostdeutschland, ist sie im Verschwinden begriffen, was nichts an der Problematik ändert, dass es eben Leute gibt, die eine rechtsextreme Gesinnung haben.
Kaess: Und kann man sagen, speziell in Tröglitz sind die Rechten so stark, weil die Gegenseite so schwach ist?
Schroeder: Die Gegenseite ist nicht schwach, sondern sie ist zurückhaltend gewesen, wenn man den Berichten Glauben schenken darf. Sie haben sich sehr zurückgehalten. Der Bürgermeister hat ein wichtiges Signal gesetzt mit seinem Rücktritt. Aber jetzt ist eine Diskussion im Gange, die diese Defizite kompensieren möchte, und das sollten wir den Leuten dort vor Ort auch zugestehen.
"Politik muss endlich Stellung beziehen"
Kaess: Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, der hat etwas Ähnliches gesagt, wie Sie jetzt auch gerade schon angedeutet haben, nämlich, dass die Zahl solcher Übergriffe im ganzen Bundesgebiet deutlich ansteige. Ist Deutschland überfordert mit den Flüchtlingen, die hierherkommen?
Schroeder: Nein, Deutschland ist nicht überfordert. Deutschland hat Hunderttausende in den letzten Jahren aufgenommen. Da sind 160 Anschläge auf Asylheime, -einrichtungen zwar besorgniserregend, aber sie sind nicht so, dass man sagen muss, Deutschland will nicht. Und vor allen Dingen: Die Diskussion geht ja durcheinander. Selbst bei denen, die einige Flüchtlinge ablehnen, ist es ja nicht so, dass sie Kriegsflüchtlinge ablehnen, dass sie Einwanderer ablehnen, sondern die Problematik sind die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge. Und hier muss die Politik endlich sagen: Wie wollen wir damit umgehen? Wollen wir sie aufnehmen, wollen wir sie versuchen, zu integrieren? Wollen wir die Asylgesetze ändern, sie großzügiger gestalten?
Das alles sind Themen, die nicht offen ausgesprochen werden, und dann gibt es eben latent die Unzufriedenheit, nicht nur in Tröglitz, sondern auch anderswo, dass man sagt: Hier kommen Leute ins Land, die dann doch wieder nach Monaten gehen müssen – was soll das eigentlich? Also hier muss einfach offen gespielt werden und muss den Leuten gesagt werden: Ja, wir wollen auch diese aufnehmen, ja, wir wollen auch vielen von denen eine Chance zur Integration geben.
"Eine sehr breite Mehrheit der Deutschen heißt die Willkommenskultur gut"
Kaess: Und Sie glauben, das würde tatsächlich das Problem, das ja offenbar auch die Angst vor dem Fremden ist, das würde dieses Problem mildern?
Schroeder: Kurzfristig nicht. Aber wir sehen: Da, wo die Leute mit den Fremden in Kontakt kommen, da geht das sehr schnell zurück, die Abneigung oder die Ablehnung oder die Skepsis. Andererseits gibt es ja auch tatsächlich Probleme mit bestimmten Flüchtlingsgruppen. Also das lässt sich nicht pauschal sagen. Wir werden uns für dieses und nächstes Jahr wohl darauf einstellen müssen, dass Hunderttausende kommen. Damit muss man erst mal klarkommen. Aber man darf nicht gleich Leuten, die Bedenken äußern, in die rechte oder Rechtsaußen-Ecke stellen, sondern muss ihren Bedenken Rechnung tragen und muss ganz sachlich und nüchtern antworten, darauf begegnen. Dann haben wir vielleicht eine Kultur, die anders mit Flüchtlingen umgeht.
Und ich möchte noch auf Umfragen hinweisen: Es gibt mehrere Umfragen in letzter Zeit, die zeigen, dass die Ausländerfeindlichkeit zurückgeht, die zeigen, dass eine sehr breite Mehrheit der Deutschen die Willkommenskultur gutheißt. Also wir sollen Ausnahmefälle, Einzelfälle nicht immer hochschreiben fürs Ganze. Tröglitz ist nicht überall, Tröglitz ist Gott sei Dank die Ausnahme. Aber Tröglitz kann auch woanders geschehen, kann auch im Westen geschehen.
"Wir müssen Rezepte der schnellen Integration finden"
Kaess: Ja. Das, was Sie gerade schon kurz angedeutet haben, das hat auch die Leipziger Untersuchung, über die wir gerade schon gesprochen haben, belegt, nämlich: Die Erklärung für Fremdenfeindlichkeit im Osten hat auch damit zu tun, dass in Ostdeutschland wenige Ausländer leben und die Akzeptanz, so glaubt diese Untersuchung, steigt meist mit einer höheren Ausländerquote in der Bevölkerung. Das ist ja eigentlich ein Kuriosum. Woher kommt denn diese Angst vor Fremden, die gar nicht da sind?
Schroeder: Ja, weil man nicht weiß: Wer sind die Fremden, wie verhalten sich die Fremden? Und in der ostdeutschen Provinz ist es ja so: Da gab es auch zu DDR-Zeiten keine Ausländer oder nur ganz wenige, und wenn, lebten sie isoliert als Vertragsarbeiter. Also das ist wie mit dem Antisemitismus ohne Juden, da wird etwas hochgekocht, was man sich gar nicht vorstellen kann, da steigen Ängste und Vorurteile auf. Also man darf auch nicht vergessen: Ostdeutschland ist dörflicher als Westdeutschland, und je weiter Sie aufs Land kommen, wo Gemeinschaften existieren noch, da hat jeder Fremde, nicht nur ein ausländischer Fremder, einen schweren Stand. Das müssen wir erst mal so akzeptieren und müssen sehen, dass wir den Leuten die Ängste nehmen, und das geht nur, wenn wir auch, ja, Integrationsprogramme für die Ausländer haben, wenn wir ihnen schneller Arbeit anbieten. Wenn die dann da rumlungern den ganzen Tag, dann kommt wieder das hoch: Was wollen die eigentlich hier? Also wir müssen Rezepte finden der Integration, der schnellen Integration.
Kaess: Sagt der Politikwissenschaftler Klaus Schröder von der Freien Universität Berlin. Danke für das Gespräch!
Schroeder: Ja, bitte!
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