Jürgen Zurheide: Über dieses Thema wollen wir weiter reden, weil es sicherlich vertieft werden muss, und wir wollen fragen: Wie sieht denn die Lage in Ostdeutschland am Ende wirklich aus? Darüber wollen wir reden mit Eric Wallis vom Regionalzentrum für demokratische Kultur in Vorpommern-Greifswald mit Sitz in Anklam. Er arbeitet dort mit den Menschen und kann uns sicherlich aus erster Hand sagen, wie die Lage ist. Zunächst einmal guten Abend, Herr Wallis.
Eric Wallis: Hallo, Herr Zurheide. Guten Abend.
"Frage nach dem Warum wird nicht so richtig beantwortet"
Zurheide: In Berlin scheint ja nun aufgefallen zu sein, dass es da vielleicht ein Problem in Ostdeutschland mit den Rechten gibt. Wie überraschend kommt das für Sie, dass so eine Erkenntnis jetzt auch in Berlin angekommen ist? Oder ist die Erkenntnis falsch?
Wallis: Ich muss dann immer ein bisschen schmunzeln. Die Erkenntnisse kommen ja alle Tage über uns hier herein. Die Erkenntnis ist erst mal richtig, dass es diese Probleme hier gibt. Was mich immer ein bisschen stört ist die Frage nach dem Warum, dass die nicht so richtig beantwortet wird und dass auch nicht gesagt wird, wo man denn jetzt eigentlich hin will. Was diesen ganzen Veröffentlichungen fehlt, das ist irgendwie eine Aussicht: Wie kann man das ändern, wo kann man hin, was müsste man mal machen.
Zurheide: Genau deshalb reden wir beide miteinander. Da gehe ich direkt dazwischen und unterbreche Sie. Erstens: Was beobachten Sie und seit wann? Können wir das abschichten?
Wallis: Wir beobachten eine Vielzahl an Sachen. Es gibt ganz unterschiedliche Ursachen, dass sich der Rechtspopulismus jetzt hier in der Gegend so verbreitet. Das kommt nicht von Ungefähr. Da gibt es zum Beispiel hier in den ländlichen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns unterschiedlichste Ursachen. Da kann man Politikwissenschaftler lange mit beschäftigen.
"Es sind viele hier geblieben, die sich als Wendeverlierer auffassen"
Die wichtigsten beiden Dinge sind eigentlich einfach eine Historie, die wir hier haben. Die Leibeigenschaft ist hier Anfang des 19. Jahrhunderts abgeschafft worden, also relativ spät, das Junkerland sozusagen, und die Bauern gehörten irgendwie dazu. Es waren aber keine selbstständigen Bürger, so ein richtiges Bürgertum hat sich hier nicht durchsetzen können, hat sich hier nicht ausprägen können.
Das ist auch in der DDR nicht so gewesen. Die LPGs haben letztendlich auch nicht dazu beigetragen, dass der Bauer mit seinen Leuten für seine Bedürfnisse irgendwo auf die Straße geht oder sich zusammentut und sagt, wir wollen das aber nicht so, wir wollen das so, und die Gesellschaft gestaltet. Das ist damals auch nicht so gewesen. Diese Chance haben wir hier eigentlich erst nach der Wende gekriegt.
Die andere große Ursache, die auch immer wieder benannt wird, ist ganz einfach, dass es hier weitaus weniger Wohlstand gibt, weniger Wohlstand aufgebaut worden ist. Wir haben eine höhere Arbeitslosigkeit, die Menschen sind frustriert. Es sind viele hier geblieben, die sich als Wendeverlierer auffassen und sich so auch benennen, und da ist eine ganze Menge Frust. - Das sind zwei ziemlich …
"Der mächtigste Topos aller rechten Strömungen: die da oben und wir hier unten"
Zurheide: Das sind die Ursachen. - Ich würde gerne noch mal darauf kommen: Wie äußert sich das? In Wahlergebnissen, die NPD war recht stark. Jetzt ist es die AfD mit zum Teil ähnlichen Parolen. Wie äußert sich das?
Wallis: Es äußert sich darin, dass die Menschen vor allem auch diesen einen wichtigen Topos, den alle Rechten, Rechtsextreme wie Rechtspopulisten nutzen: Die da oben und ihr da unten, die Bonzen dort oben und wir hier unten, die nichts zu sagen haben, die den Hass auf Menschen schüren, die Politik machen die dort oben. Das findet Anschluss in der Region, weil das auf Frustration stößt. Man fühlt sich abgeschnitten und das ist auch eigentlich der wichtigste Topos und der mächtigste Topos aller rechten Strömungen: die da oben und wir hier unten. Letztendlich liegt darin schon die Entmündigung des Bürgers.
Zurheide: Die aber, wie Sie beschreiben, eigentlich selbst herbeigeführt ist, oder die nie eine Chance hatte, sich anders zu entwickeln. So schildern Sie uns das.
Wallis: Genau! Und auch, wie wir falsch reagieren. Wenn ich jetzt zum Beispiel heute wieder höre, für mich hört sich ja manchmal wie so eine indirekte Drohung an, dass man dann sagt, auch die Wirtschaft wird jetzt abwandern aus dem Osten.
"Rassismus und Nationalismus ist für die Menschen selbst schädlich"
Zurheide: Das ist doch längst passiert!
Wallis: Ja! Was mich nur daran stört ist, dass man den Menschen das hier so darstellt, als wäre es am Ende dann auch noch ihre Schuld, dass die Wirtschaft jetzt abwandert. Ich finde, es hat damit gar nichts zu tun. Die Menschen, für die ist es erst mal wichtig zu erkennen, dass Rassismus und Nationalismus eigentlich zu nichts führen, und zwar nicht deshalb, damit die Wirtschaft nicht abwandert, sondern weil es für sie selbst schädlich ist, weil es eine Gemeinschaft generiert, in der kein Vertrauen mehr da sein kann.
Zurheide: Jetzt helfen Sie uns, was Sie zum Beispiel in Ihren Regionalzentren für demokratische Kultur machen können. Sie machen es ja offensichtlich anders als die Bundesregierung, die das immer noch nicht so richtig verstanden hat. Was machen Sie ganz konkret und wo sagen Sie, wenn man es so macht, hat man Chancen, dagegen anzukommen?
Wallis: Was wir machen, was wir vor allem im letzten Jahr gemacht haben, als die ganzen Flüchtlinge gekommen sind: Wir haben die Gemeinden unterstützt, indem wir sie bei Bürgerversammlungen unterstütz haben, sie auch dazu motiviert haben, das zu machen. Es gibt ja die unterschiedlichsten Typen von Bürgermeistern.
Der eine sagt, jetzt kommt ein Haufen Flüchtlinge, der erkennt das als Problem und sagt, okay, da kümmre ich mich drum, Du machst das, Du machst das, wir müssen mal zusammenkommen. Der gibt Orientierung an die Leute und stellt es aber auch als ein Problem dar, das man bearbeiten kann und bearbeiten muss.
Da gibt es aber auch einen Haufen Bürgermeister im ländlichen Raum, die sagen, oh Gott, jetzt haben wir wieder Probleme, jetzt kommen auch Flüchtlinge, dann haben wir noch weniger Ressourcen, und die wollen sich mit dem Thema erst mal nicht auseinandersetzen.
"Es ist unsere Verantwortung, die Flüchtlinge zu integrieren"
Zurheide: Stellen Sie denn fest, dass die, die das so offensiv angehen, wie Sie es gerade schildern, dass bei denen möglicherweise die politischen Probleme und diese politische Desintegration nicht so stattfindet?
Wallis: Ja, das ist festzustellen. Wo die Menschen mitgenommen werden, passiert so was gar nicht. Aber wir sind jetzt zum Beispiel in Gemeinden tätig, wo der Bürgermeister zu mir sagt, der Staat macht ja nichts. Und dann sage ich zu ihm, Sie sind doch hier der Staat. Wo der gleiche Topos letztendlich angewandt wird, den AfD und Rechte benutzen, die da oben, und dann sollen die Menschen in den Gemeinden am Ende Verantwortung zeigen und verantwortlich für das Gemeinwesen sein, ohne sofort danach zu fragen, ob sie Geld kriegen, das funktioniert so nicht.
Zurheide: Was erwarten Sie von der Bundesregierung?
Wallis: Zuerst einmal kann man nicht nur sagen, die Bundesregierung ist ja an allem schuld und die Bundesregierung, von der muss man in allererster Linie was erwarten. Letztendlich ist das schon wieder der gleiche Topos. Ich benutze den Begriff relativ häufig. Es ist immer, die da oben sollen was machen, und dann können wir hier unten auch was tun. So funktioniert unsere Gesellschaft nicht und das müssen wir vermitteln. Das sollen die Leute lernen.
Und damit muss man auch sich einfach befassen, dass wir, wenn zum Beispiel Flüchtlinge hier herkommen, dass es unsere Verantwortung ist, auch die zu integrieren. Natürlich: Der Staat kümmert sich um Unterkunft und Versorgung, um Geld, um Essen für die Flüchtlinge, aber die Integration vor Ort, das ist unsere Aufgabe, wie wir in unseren Gemeinden leben.
Wenn ich meine Tür zuschlage in dem Dorf mit 100 Leuten, wo dann 20 Flüchtlinge kommen, dann brauche ich mich nicht wundern, dass diese Situation entsteht, vor der die AfD mir Angst macht. Das sind selbstenthüllende Prophezeiungen. Menschen, die Integration verhindern wollen, die schaffen am Ende eine Gesellschaft, vor der wir eigentlich alle Angst haben, die wir gar nicht wollen. Darum muss unsere Tür auf bleiben.
"Wir müssen den Diskurs stärken"
Zurheide: Und Sie sagen, das kann funktionieren?
Wallis: Ja, das funktioniert. Wenn wir bei Bürgerversammlungen sind: Wir stellen Räume her, wo Menschen miteinander reden. Es kommt eine Bürgerversammlung, da kommen die ganzen skeptischen genauso wie die anderen, die es anders sehen. Und ich habe Sachen da erlebt, wo ich wirklich gemerkt haben, okay, da kippt die Stimmung in eine tätige Stimmung.
Da sagen Menschen meinetwegen am Anfang, ja jetzt kommen die Flüchtlinge, jetzt kriegen die hier einen Kühlschrank, die kriegen jetzt eine Wohnung, was habe ich jemals gekriegt. Dann steht aber irgendwo hinten einer auf und sagt, Du hast doch damals, als Du arbeitslos warst, auch was gekriegt. Es entwickelt sich ein Diskurs, die Menschen finden wieder zusammen, und das müssen wir stärken. Wir müssen auch in der Kommunalpolitik solche Räume schaffen, wo Menschen wieder miteinander reden können.
Zurheide: Danke schön! - Das war Eric Wallis vom Regionalzentrum für demokratische Kultur in Anklam zu den Problemen in Ostdeutschland. Das Gespräch haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.