Fremdgehen ist eine der Hauptursachen von Scheidungen. Wer untreu wird, ist oft unzufrieden mit seiner bisherigen Beziehung. Und wer betrogen wird, erleidet einen tiefen Schmerz. Doch Zahlen sind schwer zu erheben – schließlich ist Untreue ein Tabuthema. Auch betrachten Menschen Fremdgehen ganz unterschiedlich. Nicht immer ist Sex das Kriterium. Seitensprünge sind zudem längst nicht nur ein menschliches Phänomen.
Ist Flirten schon Fremdgehen?
Es gibt keine verbindliche Definition, ab wann man von Fremdgehen spricht. Für die einen ist Flirten noch akzeptabel, für andere nicht. Die meisten dürften der Ansicht zustimmen: Wer in einer Beziehung lebt und mit einer anderen Person schläft, geht fremd.
In Studien gaben Befragte an, sich von ihrem Partner oder ihrer Partnerin betrogen zu fühlen, sobald Gefühle im Spiel sind, also auch, wenn man zum Beispiel mit einer anderen Person nur ein Restaurant besucht. Eine Untersuchung von 1999 beschreibt Untreue als Interaktion mit einer dritten Person, wobei die bestehenden Partnerschaftsnormen verletzt werden – und das Gefühl von Eifersucht und Rivalität aufkommt.
Die Soziologin Claudia Schmiedeberg, die zu diesem Thema im Rahmen des Beziehungs- und Familienpanels pairfam geforscht hat, sagt: Für rund 60 Prozent der Befragten fängt Fremdgehen beim Küssen an. Und beim Sex sei „eindeutig die rote Linie überschritten“.
Das Internet-Zeitalter wirft noch einmal spezielle Fragen der Untreue auf: Wenn Männer ihre sexuellen Wünsche vor dem Bildschirm befriedigen, dann werde das von Partnerinnen bereits als Treuebruch gewertet, so der Beziehungstherapeut Hans Jellouschek.
Der Psychologieprofessor und Psychotherapeut Christian Roesler berichtet von einem Klienten, der bei einem Online-Spiel eine virtuelle Affäre mit einer Elfe eingegangen war. Den Mann beschäftigte wochenlang die Frage: War er seiner Partnerin mit einem Avatar untreu geworden?
Warum gehen Menschen fremd?
Menschen gehen fremd, wenn sie mit der Qualität ihrer Beziehung nicht mehr zufrieden sind, sagen Psychologen. Wenn sich etwa Bedürfnisse und Wünsche im jahrelangen Zusammenleben verändert haben und vom Gegenüber nicht beachtet werden. Ausschlaggebend ist: Sie fühlen sich in der neuen Beziehung bestätigt und begehrt. Sie finden etwas, was sie vermisst haben: einfühlsame Gespräche, in der Regel auch besseren Sex.
In langdauernden Paarbeziehungen gebe es ein „Strukturproblem“, sagt Christian Roesler, Professor für klinische Psychologie in Freiburg. Erotische Anziehung sei „maßgeblich“ für das Zustandekommen einer Beziehung. „Aber wenn wir uns dann über einige Jahre immer näher kennenlernen, immer vertrauter werden, dann entsteht eine andere Art von emotionaler Energie“, so Roesler. „Man sagt auch, dass die Bindung dadurch entsteht und immer weiter gefestigt wird.“
Je vertrauter, desto attraktiver das Fremde
Das Problem: Wir sind im Bereich der Sexualität besonders von dem Fremden angezogen. Je vertrauter man sich wird, desto attraktiver wird das Fremde – auch das also ein möglicher Grund für Untreue.
Doch Fehler, die in der vorherigen Beziehung gemacht wurden, wiederholen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer neuen. Oft weicht die anfängliche Euphorie wieder der Gewohnheit.
Und: Wer denkt, durch Fremdgehen würde die alte, kriselnde Partnerschaft wieder aufleben, irrt. Die meisten Beziehungen verschlechtern sich, wenn einer der Partner untreu geworden ist, so die Soziologin Claudia Schmiedeberg.
Wie untreu sind Tiere?
Nach Angaben des Verhaltensbiologen Peter Kappeler leben 15 Prozent der Säugetiere und Primaten in Paaren. Bei Vögeln sind es sogar mehr als 90 Prozent der Arten. Hier gehen vor allem Weibchen fremd: Untreue sorgt für mehr genetische Vielfalt im Nest. Vor einer Verpaarung bringen Männchen oft auch sogenannte Brautgeschenke mit, zum Beispiel Futter. Je mehr „Geschenke“, desto mehr Eier. Im Vordergrund steht der maximale Fortpflanzungserfolg.
Ob es im Tierreich aber auch Eifersucht gibt, ist nicht ganz sicher. Bei einem Experiment mit Lachtauben in den 1970er-Jahren wurden Weibchen in einem Käfig neben ein anderes Männchen gesetzt. Beim Zurücksetzen zeigte jeweils der ursprüngliche Partner mehr Aggressionen und weniger Balzverhalten gegenüber dem zurückgekehrten Weibchen. Wie diese Verhaltensänderung zu erklären ist, bleibt nach Kappelers Meinung für Interpretationen offen.
Es gibt aber auch lebenslange Treue bei Tieren. Albatrosse bleiben mit ihrem Partner ein Leben lang zusammen. Wenn einer stirbt, verpaart sich ein „verwitweter“ Albatros offenbar nicht mehr neu.
Gehen Männer öfter eine Affäre ein als Frauen?
In einer repräsentativen Befragung unter Erwachsenen von 2017 gaben 15 Prozent der Frauen und 21 Prozent der Männer an, während einer Partnerschaft schon einmal sexuellen Verkehr mit einer anderen Person gehabt zu haben.
Etwa jede zweite Person ist in ihrem Leben mindestens einmal untreu, schätzt dagegen die Psychologin Jane Hergert. Sie geht auch davon aus, dass es beim Fremdgehen eine Emanzipation gegeben hat: In Fragebogenstudien hätten in der Vergangenheit tendenziell Männer höhere Raten an Untreue angegeben als Frauen.
In den vergangenen 20 bis 30 Jahren hätten die Frauen zumindest „nachgezogen“, so Hegert. Eine Erklärung dafür: Frauen in heterosexuellen Beziehungen seien wirtschaftlich nicht mehr so abhängig von Männern wie früher und würden auch nicht mehr nur zu Hause bleiben und den Nachwuchs großziehen.
Haben Frauen tatsächlich „aufgeholt“? Der Psychologie-Professor Christian Roesler bezweifelt das. Fremdgehen sei früher moralisch geächtet und geheim gehalten worden: „Von daher ist es schwer zu sagen.“
Offene Beziehung statt Monogamie?
Heutzutage ist häufiger von offenen Beziehungsmodellen die Rede. Allerdings wollen die meisten Menschen Exklusivität in der intimen Beziehung. Dafür sprechen einige Studien – auch unter jungen Menschen, wie zum Beispiel die Shell Jugendstudie. Darin hat Treue bei der Mehrheit der Jugendlichen einen besonders hohen Stellenwert.
Angesichts vieler aktueller Stressoren und Belastungen gebe es eine breite gesellschaftliche Tendenz für mehr Sicherheit in Beziehungen, sagt Christian Roesler, der an der Katholischen Hochschule Freiburg lehrt.
Er widerspricht auch der Kölner Paartherapeutin Elena Rüden, die Polyamorie als eine „ursprüngliche Variante“ unserer Beziehungen betrachtet. Demnach wurden Menschen erst durch Gesetze und religiöse Gebote zur Treue erzogen. Nun sei alles im Wandel, und die Menschen könnten ihre Beziehungen individuell gestalten.
Diese „Ideologie“, wie Roesler es nennt, stehe den anthropologischen Erkenntnissen „komplett“ entgegen: „Heirat, Ehe, Monogamie, lebenslange Beziehung ist eine anthropologische Grundkonstante.“
Das habe zum einen mit der Kooperation zwischen den Geschlechtern bei der Kindererziehung zu tun. Und zum anderen mit einem „enormen Zerstörungspotenzial für Gesellschaften“, wenn dort keine Regeln gelten. Was allerdings nicht heiße, dass für „manche Menschen, die darüber bewusst reflektieren, auch Anderes möglich“ sei.
Sollte man von einem Seitensprung erzählen?
Es gibt kaum etwas Schmerzhafteres als die Erfahrung, betrogen worden zu sein. Betroffene zeigen mitunter Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung. Viele haben das Gefühl, ihnen werde der Boden unter den Füßen weggezogen. Es geht schließlich um einen Verrat.
Wenn eine Beziehung an sich gut ist, rät deshalb die Paartherapeutin Elena Rüden dazu, einen Seitensprung für sich zu behalten und nicht „unnötigerweise“ eine Krise herbeizuführen. Vertrauen wiederherzustellen und die Gefühle zu bewältigen, sei schwierig.
Auch Rüdens Kollege Christian Roesler sieht das so. Die Kunst bei einer langfristigen Beziehung sei es, diese als „Wesen für sich“ im Blick zu behalten. Man müsse sich immer nach dem potenziellen Schaden für eine Beziehung fragen.
Doch auch wenn Klarheit über die Untreue besteht, wägen laut der Soziologin Claudia Schmiedeberg vor allem ältere Paare ab: Was bekomme ich, wenn ich mich trenne? Was verliere ich? Kinder seien ein wichtiger Faktor, aber auch gemeinsame Urlaube und Erinnerungen ebenso wie Hobbys oder die gewohnte Arbeitsteilung.
bth