Natürlich kann man Freud erst mal mit Getöse beerdigen, um ihn dann, in neuem Gewande, wiederauferstehen zu lassen. Der Psycholo-ge Tilman Habermas führte diese beliebte Strategie gleich zur Eröff-nung der Tagung mit einigen ziemlich steilen Thesen vor: "die Psy-choanalytiker brauchen Freud nicht mehr", behauptete er forsch, auch die analytische Theorie und Therapie könnten ihn gut entbehren. Freud sei nur noch Gründungsvater; seine Entwicklungspsychologie sei genauso überholt wie seine Triebtheorie und das Strukturmodell von Es-Ich-Überich; die Übertragung als wesentliches Arbeitsmittel der analytischen Kur sei von einer Zwei-Personen-Psychologie abge-löst worden.
Gelten ließ Habermas nur noch das Verstehen unbewusster Motive als Kern analytischer Arbeit, das therapeutische Setting und das bio-graphische Durcharbeiten, das zum Freilegen kreativen Potentials füh-ren könne. Allerdings seien auch diese Konzepte vielfach variiert und relativiert worden - der Rückzug der Psychoanalyse in die klinische Arbeit müsse revidiert werden zugunsten einer Öffnung für die empi-rischen Wissenschaften und für die "Cultural Studies".
Genau das aber hat das Freiburger Symposion schon zeit seines mitt-lerweile 30jährigen Bestehens im Sinn: die Psychoanalyse auch für andere Felder fruchtbar zu machen, für eine hermeneutisch arbeitende Literaturwissenschaft zum Beispiel. Der Basler Psychiater Joachim Küchenhoff, einer der wenigen vortragenden Kliniker, verteidigte die analytische Kur dann allerdings im Sinne von Julia Kristeva als "Re-fugium", das "ein Leben bewahren" könne, gab aber bereitwillig zu, dass neue Krankheiten - wie zum Beispiel Borderline-Störungen - auch neue Therapieformen verlangten. Die Spannung zu diesen neuen Theorien, aber auch zur Sprachlosigkeit mancher Patienten müsse man aushalten. Und: psychoanalytische Theorie sei von ihrem An-spruch her per se interdisziplinär, sagt Küchenhoff:
" Was die Tagung deutlich machen kann ist, dass die Psychoanalyse eine Querschnitts-Wissenschaft ist - die quer liegt zu der Einteilung der Wissenschaften, wie wir sie heute ha-ben, oder positiv gesagt: sie verbindet vieles miteinander. Sie erlaubt es den Psychiatern, Denkformen der Philosophie zu übernehmen, sie erlaubt den Ethnologen, etwas von der Psy-chologie zu lernen; also: sie vernetzt Wissenschaften miteinander, und das spiegelt sich hier sehr stark wider. "
Wie dankbar Psychoanalytiker sind, wenn jemand aus den sogenann-ten "harten" Wissenschaften ihnen zur Seite springt, zeigte sich dann beim Vortrag des Neurologen Joachim Bauer. Bauer wies unter Bezug auf einen 2004 in der Zeitschrift "Science" erschienenen Aufsatz von Tania Singer darauf hin, dass therapeutisches "Mitfühlen" ein neuro-biologisches Korrelat habe: bei denjenigen, die einen beobachteten oder vorgestellten Schmerz als "innere Erfahrung" wahrnehmen, wer-den genau dieselben Hirnareale enerviert wie bei denjenigen, die die-sen Schmerz real erleiden. Auch Phänomene wie Ekel oder Sprach-wahrnehmung funktionieren über diese "Spiegel-Zellen".
Der Wiener Ethnopsychoanalytiker Johannes Reichmayr sah die Ge-schichte der Psychoanalyse als eine der Fremdheit: Freud selbst sei - wie später viele exilierte Analytiker - ein Migrant gewesen; das Mit-gefühl mit den Bedrängten sei das Politische an seiner Theorie. Eine in den 1920iger Jahren und später von der APO versuchte Verbindung von historischem Materialismus und Analyse wurde von dem Autor und Freud-Biographen Hans-Martin Lohmann aber nachdrücklich ad acta gelegt: zwar seien Freuds strukturelle Denk-Modelle politischen Modellen verwandt, aber Freud habe den Ödipus eben nie als König wahrgenommen, sondern nur als Sohn.
Und wo blieben die Frauen auf diesem Symposion? Freuds Aussagen über Penisneid und vaginalen Orgasmus, seine maskuline Vorstel-lungswelt gehören ja zum meistkritisierten psychoanalytischen Inven-tar. Die Literaturwissenschaftlerin Astrid Lange-Kirchheim nahm un-ter Berufung auf Judith Butler Kurs auf eine patriarchats-kritische Freud-Rezeption, die das gleichgeschlechtliche Begehren wieder zu-lasse: entscheidend ist in Butlers Sicht ja nicht das biologische, son-dern das gesellschaftlich konstruierte Geschlecht. Es ist allerdings verwunderlich, dass solche voluntaristischen feministischen Überle-gungen mit der Konjunktur der biologischen Genom-Forschung paral-lellaufen - da beißt sich dann etwas.
Ansonsten eröffnete dieses Symposion schöne Einblicke in den Zir-kus innerwissenschaftlicher Selbstdarstellung: auch nach den Film-, Kunst- und Literaturanalysen, nach philosophischen und pädagogi-schen Vorträgen meldeten sich stets dieselben Kombattanten zu Wort, die unbedingt gesehen werden wollten. Jeder zeige, was er kann, sonst zeigt es der Nebenmann - Freud hätte es Narzissmus genannt.
Gelten ließ Habermas nur noch das Verstehen unbewusster Motive als Kern analytischer Arbeit, das therapeutische Setting und das bio-graphische Durcharbeiten, das zum Freilegen kreativen Potentials füh-ren könne. Allerdings seien auch diese Konzepte vielfach variiert und relativiert worden - der Rückzug der Psychoanalyse in die klinische Arbeit müsse revidiert werden zugunsten einer Öffnung für die empi-rischen Wissenschaften und für die "Cultural Studies".
Genau das aber hat das Freiburger Symposion schon zeit seines mitt-lerweile 30jährigen Bestehens im Sinn: die Psychoanalyse auch für andere Felder fruchtbar zu machen, für eine hermeneutisch arbeitende Literaturwissenschaft zum Beispiel. Der Basler Psychiater Joachim Küchenhoff, einer der wenigen vortragenden Kliniker, verteidigte die analytische Kur dann allerdings im Sinne von Julia Kristeva als "Re-fugium", das "ein Leben bewahren" könne, gab aber bereitwillig zu, dass neue Krankheiten - wie zum Beispiel Borderline-Störungen - auch neue Therapieformen verlangten. Die Spannung zu diesen neuen Theorien, aber auch zur Sprachlosigkeit mancher Patienten müsse man aushalten. Und: psychoanalytische Theorie sei von ihrem An-spruch her per se interdisziplinär, sagt Küchenhoff:
" Was die Tagung deutlich machen kann ist, dass die Psychoanalyse eine Querschnitts-Wissenschaft ist - die quer liegt zu der Einteilung der Wissenschaften, wie wir sie heute ha-ben, oder positiv gesagt: sie verbindet vieles miteinander. Sie erlaubt es den Psychiatern, Denkformen der Philosophie zu übernehmen, sie erlaubt den Ethnologen, etwas von der Psy-chologie zu lernen; also: sie vernetzt Wissenschaften miteinander, und das spiegelt sich hier sehr stark wider. "
Wie dankbar Psychoanalytiker sind, wenn jemand aus den sogenann-ten "harten" Wissenschaften ihnen zur Seite springt, zeigte sich dann beim Vortrag des Neurologen Joachim Bauer. Bauer wies unter Bezug auf einen 2004 in der Zeitschrift "Science" erschienenen Aufsatz von Tania Singer darauf hin, dass therapeutisches "Mitfühlen" ein neuro-biologisches Korrelat habe: bei denjenigen, die einen beobachteten oder vorgestellten Schmerz als "innere Erfahrung" wahrnehmen, wer-den genau dieselben Hirnareale enerviert wie bei denjenigen, die die-sen Schmerz real erleiden. Auch Phänomene wie Ekel oder Sprach-wahrnehmung funktionieren über diese "Spiegel-Zellen".
Der Wiener Ethnopsychoanalytiker Johannes Reichmayr sah die Ge-schichte der Psychoanalyse als eine der Fremdheit: Freud selbst sei - wie später viele exilierte Analytiker - ein Migrant gewesen; das Mit-gefühl mit den Bedrängten sei das Politische an seiner Theorie. Eine in den 1920iger Jahren und später von der APO versuchte Verbindung von historischem Materialismus und Analyse wurde von dem Autor und Freud-Biographen Hans-Martin Lohmann aber nachdrücklich ad acta gelegt: zwar seien Freuds strukturelle Denk-Modelle politischen Modellen verwandt, aber Freud habe den Ödipus eben nie als König wahrgenommen, sondern nur als Sohn.
Und wo blieben die Frauen auf diesem Symposion? Freuds Aussagen über Penisneid und vaginalen Orgasmus, seine maskuline Vorstel-lungswelt gehören ja zum meistkritisierten psychoanalytischen Inven-tar. Die Literaturwissenschaftlerin Astrid Lange-Kirchheim nahm un-ter Berufung auf Judith Butler Kurs auf eine patriarchats-kritische Freud-Rezeption, die das gleichgeschlechtliche Begehren wieder zu-lasse: entscheidend ist in Butlers Sicht ja nicht das biologische, son-dern das gesellschaftlich konstruierte Geschlecht. Es ist allerdings verwunderlich, dass solche voluntaristischen feministischen Überle-gungen mit der Konjunktur der biologischen Genom-Forschung paral-lellaufen - da beißt sich dann etwas.
Ansonsten eröffnete dieses Symposion schöne Einblicke in den Zir-kus innerwissenschaftlicher Selbstdarstellung: auch nach den Film-, Kunst- und Literaturanalysen, nach philosophischen und pädagogi-schen Vorträgen meldeten sich stets dieselben Kombattanten zu Wort, die unbedingt gesehen werden wollten. Jeder zeige, was er kann, sonst zeigt es der Nebenmann - Freud hätte es Narzissmus genannt.