"Austauschprogramme. Wir hoffen auf die Jugend","
… so formulierte es fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs Andre François-Poncet, der französische Hohe Kommissar in Deutschland. Inzwischen hat sich viel getan im deutsch-französischen Verhältnis: 4000 Städtepartnerschaften; die Nachbarn besuchen einander. Die französische Jugend 2009 kennt das Feindbild Deutschland nicht mehr, weiß der Historiker Michael Werner. Er lebt in Paris und leitet das Interdisziplinäre Zentrum für Forschungen und Studien über Deutschland, kurz CIERA. Seit 35 Jahren ist er französischer Staatsbürger.
""Auf jeden Fall diese nationalen Zuschreibungen so in Schwarz-Weiß-Form, das akzeptieren die nicht mehr. Die sehen konkrete Probleme, die sie zusammen haben, von verschiedenen Standpunkten aus, welche Art von Musik sie hören, Literatur, Filme und so weiter. Und da spielen diese nationalen Souveränitätsgedanken, Gedanken Deutschland-Frankreich, das spielt zunehmend eine geringere Rolle."
Wie die europäischen Nachbarn über Deutschland denken, wollte das Hamburger Institut für Sozialforschung wissen.
"Warum nicht die beiden Jubiläen verbinden: 60 Jahre, 25 Jahre. Und dann kam die Idee auf, zu sagen: Wir sagen dazu gar nichts, sondern wir laden Gäste ein von außen - aus verschiedenen europäischen Ländern - und fragen die: Wie ist denn euer Blick auf dieses Land, auf die Geschichte der 60 Jahre, auf die Gegenwart, auf das Problemprofil dieses Landes, auf Zukunftserwartungen und Zukunftsrisiken, Chancen."
Jan Philipp Reemtsma ist der Leiter des Instituts, das sich vor allem mit der Forschung über Gewalt im 20. Jahrhundert einen Namen gemacht hat.
"Es wird ja immer davon gesprochen, dass die Bundesrepublik eine unwahrscheinliche Erscheinung ist. Unwahrscheinlich - geht aus einer Zivilisationskatastrophe hervor und wird das deutsche Gemeinwesen, dem es am besten in der deutschen Geschichte ergangen ist. Noch Ende der 40er-Jahre hat es eine Reihe von Leuten gegeben, die gesagt haben, so was kann gar nicht sein: Thomas Mann etwa, Theodor W. Adorno. Die haben gesagt, das geht nicht. Dieser Zivilisationszusammenbruch ist in keiner Weise heilbar. Und nun kann man auf die Geschichte der Bundesrepublik kucken und sagen, wie ist das gegangen."
Dass Deutschland seinen Nachbarn heute nicht mehr verhasst ist, ist einer völligen Veränderung zu danken. Janusz Reiter, von 1990 bis 1995 polnischer Botschafter in Deutschland, erinnert daran, dass der deutsche Reichswehrchef von Seeckt im Ersten Weltkrieg forderte, Polen müsse von der Landkarte verschwinden. 60 Jahre später hatte sich die deutsche Meinung glücklicherweise verändert. Janusz Reiter zitiert den damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher.
"Der gesagt hat, dass es Deutschland auf die Dauer nicht gut gehen könne, wenn es nicht auch Polen gut gehe. Ich glaube, das zeigt eben den radikalen Wandel des politischen Denkens in Deutschland. Und das war gerade das, was auch die pro europäische Denkweise in Polen ermutigte. Man konnte es nur wagen, europäisch zu denken, wenn man wusste, dass der wichtigste entscheidende Partner, Deutschland, dieses Denken honorierte."
Misstrauen und tiefe Abneigung, über Jahrhunderte durch Kriege, den Eisernen Vorhang und bis 1989 durch die offene Grenzfrage geschürt, wichen in den letzten Jahrzehnten Respekt und Zuneigung.
"Hier hat sich ein Epochenwechsel vollzogen. Und das soll nun nicht bedeuten, dass wir heute in einer harmonischen, spannungsfreien Welt leben. Auch wenn wir uns streiten. Die Freiheit, sich über für beide Seiten wichtige Themen zu streiten, aber im Vertrauen, auch das gehört zu guter Nachbarschaft. Etwas, wovon wir vor mehr als 20 Jahren noch gar nicht richtig träumen konnten."
Dass in Polen die europäische Vereinigung inzwischen kritischer gesehen wird, ändert nichts an guter Nachbarschaft, glaubt Januzs Reiter. Deutschland kennt man heute besser und es ist für die Polen immer noch ein besonderes Land.
"An Deutschland misst sich Polen. So wie sich Frankreich in der Vergangenheit an Deutschland gemessen hat. An Deutschland reibt sich Polen. Das führt dazu, dass man manchmal vielleicht zu obsessiv nach Deutschland blickt. Ich wünschte mir manchmal etwas mehr Distanz, etwas mehr Gelassenheit im Umgang mit Deutschland."
Ein besonderes Verhältnis zu Deutschland hat auch der einstige Erzfeind Frankreich. Der Historiker Michael Werner vom CIERA in Paris erinnert sich.
"Das war ein befreundeter Historikerkollege, der dann 1989 so in einem Nebensatz sagte: Jetzt verlieren wir den vierten Krieg auch noch. Und damit meinte er, erst den Krieg verloren 1870/71, das traumatische Erlebnis; dann der Erste Weltkrieg im Grunde auch verloren, wenn die Amerikaner nicht da gewesen wären; dann - sehr traumatisch - 1940 und 1989. Jetzt als nicht mehr militärischer Krieg sondern als ökonomischer Krieg, der noch viel größere Folgen hat als ein politisch-militärischer Krieg."
Ein hingeworfener Satz, der den Kern des Deutschlandbildes trifft, befindet Michael Werner. Bis heute wird in der französischen Presse deutlich, dass die Franzosen Deutschland gleichzeitig als Vorbild und als Rivalen betrachten. Deutsche Kontakte in Richtung Osten sind in Paris nicht gern gesehen.
"Und das war eben eine der Befürchtungen Frankreichs 1989, dass die Zeiten der deutsch-französischen Idylle, dass die vorbei sind - und dass Deutschland jetzt wieder zu seinen eigenen geopolitischen Funktionen in Mittelosteuropa zurückkehren würde. Wirtschaftsbeziehungen werden einerseits konstatiert, weil das eben Tatsachen sind, und auf der anderen Seite doch mit etwas Herzkneifen oder Besorgnis gesehen. Weil man sieht, solange man eben in diesem traditionellen Rivalitätsschema verbleibt, dass man damit ins Hintertreffen gerät."
Allerdings haben die Franzosen inzwischen begriffen, dass man im gleichen Boot sitze, dass gemeinsame Probleme gemeinsam gelöst werden müssen und dass Deutschland und Frankreich Partner seien. Das zeige sich auch daran, dass die meisten deutsche Wissenschaftler, die im Ausland arbeiten, in Frankreich tätig sind, konstatiert Michael Werner.
"Das heißt, Wirtschaftskontakte und so weiter. Wo gibt es einen interessanten Arbeitsmarkt? Heute nach wie vor, das sind in der deutsch-französischen Wirtschaftskooperation. Deutsch-französische Unternehmen, die händeringend Leute suchen, die eben mit diesen nationalen Bildern und Kompetenzen, auch mit den Sprachen umgehen können. Das heißt, ich bin zuversichtlich, dass es zu einer anderen Art von Integration kommt, als man sich das früher vorgestellt hat, so als nationalstaatliche Vereinigung, sondern tatsächlich zu einem Zusammenwachsen der Gesellschaft."
Ein problematisches Verhältnis zu den deutschen Nachbarn haben auch die Österreicher. Das weiß Anton Pelinka. Er ist Politikwissenschaftler an der zentralen Europäischen Universität in Budapest. Dass der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 sein Volk nachhaltig traumatisiert habe, sei nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Nach 1945 hätten die Österreicher alles getan, um sich von Deutschland abzugrenzen, weil es dafür internationale Pluspunkte gab, sagt Anton Pelinka.
"Das hat eine Art opportunistische Zusatzmotivation gegeben, die Involvierung eines guten Teils der österreichischen Gesellschaft in die Nationalsozialistische Verbrechen möglichst zuzudecken. Das ist die österreichische Schlitzohrigkeit, die zu dem berühmten Ausspruch führt, Österreich ist das Land, das der Welt einreden will, Hitler wäre Deutscher und Beethoven Österreicher gewesen."
Die Ressentiments gegen Deutschland würden sich unter anderem auch von der gemeinsamen Sprache herleiten, glaubt Anton Pelinka. Und da sieht er Parallelen zu den Anglokanadiern, die großen Wert darauf legen, keine US-Amerikaner zu sein. Oder zu den Iren, die bitte sehr nicht für Briten gehalten werden wollen.
"Zum Beispiel, als vor ziemlich genau einem Jahr in Wien das Endspiel um die Fußballeuropameisterschaft stattfand, da waren fast alle Wiener Fans des spanischen Teams. Das heißt, es gibt so eine Abgrenzungsbedürftigkeit, die gar nichts konkret mit 1938 zu tun hat, sondern die einfach damit zu tun hat, dass man Wert darauf legt, trotz der deutschen Sprache nicht für deutsch gehalten zu werden."
Allerdings erklärt das nicht die tiefe Abneigung, die Teile der österreichischen Gesellschaft gegen den deutschen Nachbarn hegen. Anton Pelinka schont seine Landsleute nicht.
"Das gibt das böse Wort vom Piefke. Das ist nur negativ gemeint. Und die Steigerung des Piefkes ist der Ostdeutsche. Es wird in Österreich wahrgenommen, dass jetzt auch im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung, dass Arbeitsplätze in Österreich unter Nutzung der Freiheit des europäischen Binnenmarktes zunehmend von Deutschen, die aus den neuen Bundesländern kommen, wahrgenommen werden. Das erweckt den klassischen Komplex des Neides und erzwingt auch die übliche Vorurteilsstruktur gegen diejenigen, die als Konkurrenten wahrgenommen werden. Es gibt die Steigerung: Deutsche - und noch negativer in dieser Vorurteilsstruktur ist dann der Ostdeutsche."
Die Tatsache, dass Österreichs Tourismuswirtschaft von den deutschen Gästen abhängig ist, fördere die Feindseligkeit noch. Denn wer würde schon gerne zugeben, dass er von jemandem abhängig ist, den er nicht wirklich leiden kann, meint Anton Pelinka. Hinzu komme, dass die Zustimmung zur Europäischen Union in Österreich auf dem Rückzug sei. Seit der Erweiterung der EU machten sich Ängste breit.
"Nämlich die Ängste, dass es hier eine quasi Überfremdung gibt, dass es Migration gibt, das wird mit Kriminalität und Sicherheitsaspekten noch verbunden. Das heißt, es gibt eine Abgrenzungsbedürftigkeit jetzt nicht gegenüber Deutschland, sondern gegenüber allem, was als Resultat der europäischen Integration auch in Österreich sichtbar ist."
In dem Zusammenhang gebe es allerdings auch schräge Blicke in Richtung Deutschland. Denn die Bundesrepublik sei als Gründungsstaat der Europäischen Gemeinschaft sozusagen das Europamusterland. Wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit würden sich die Deutschen europäischer verhalten als andere: ein europäisches Musterland.
"Diesem Druck ist Österreich entgangen durch die Schlitzohrigkeit des Landes, sich als Opfer des Nationalsozialismus zu sehen und nach außen hin darzustellen. Und Österreich leistet sich daher auch eher offene Verstöße gegen das, was man europäische Korrektheit nennen könnte. Zum Beispiel hat Österreich die erfolgreichsten antieuropäischen, latent rassistischen, fremdenfeindlichen Parteien, die Freiheitliche Partei Österreichs. Das ist nach vielen Benchmarks die erfolgreichste Rechtsaußenpartei Europas. Das ist ein Beispiel für ein Fehlen europäischer Korrektheit. Deutschland leistet sich das nicht."
… so formulierte es fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs Andre François-Poncet, der französische Hohe Kommissar in Deutschland. Inzwischen hat sich viel getan im deutsch-französischen Verhältnis: 4000 Städtepartnerschaften; die Nachbarn besuchen einander. Die französische Jugend 2009 kennt das Feindbild Deutschland nicht mehr, weiß der Historiker Michael Werner. Er lebt in Paris und leitet das Interdisziplinäre Zentrum für Forschungen und Studien über Deutschland, kurz CIERA. Seit 35 Jahren ist er französischer Staatsbürger.
""Auf jeden Fall diese nationalen Zuschreibungen so in Schwarz-Weiß-Form, das akzeptieren die nicht mehr. Die sehen konkrete Probleme, die sie zusammen haben, von verschiedenen Standpunkten aus, welche Art von Musik sie hören, Literatur, Filme und so weiter. Und da spielen diese nationalen Souveränitätsgedanken, Gedanken Deutschland-Frankreich, das spielt zunehmend eine geringere Rolle."
Wie die europäischen Nachbarn über Deutschland denken, wollte das Hamburger Institut für Sozialforschung wissen.
"Warum nicht die beiden Jubiläen verbinden: 60 Jahre, 25 Jahre. Und dann kam die Idee auf, zu sagen: Wir sagen dazu gar nichts, sondern wir laden Gäste ein von außen - aus verschiedenen europäischen Ländern - und fragen die: Wie ist denn euer Blick auf dieses Land, auf die Geschichte der 60 Jahre, auf die Gegenwart, auf das Problemprofil dieses Landes, auf Zukunftserwartungen und Zukunftsrisiken, Chancen."
Jan Philipp Reemtsma ist der Leiter des Instituts, das sich vor allem mit der Forschung über Gewalt im 20. Jahrhundert einen Namen gemacht hat.
"Es wird ja immer davon gesprochen, dass die Bundesrepublik eine unwahrscheinliche Erscheinung ist. Unwahrscheinlich - geht aus einer Zivilisationskatastrophe hervor und wird das deutsche Gemeinwesen, dem es am besten in der deutschen Geschichte ergangen ist. Noch Ende der 40er-Jahre hat es eine Reihe von Leuten gegeben, die gesagt haben, so was kann gar nicht sein: Thomas Mann etwa, Theodor W. Adorno. Die haben gesagt, das geht nicht. Dieser Zivilisationszusammenbruch ist in keiner Weise heilbar. Und nun kann man auf die Geschichte der Bundesrepublik kucken und sagen, wie ist das gegangen."
Dass Deutschland seinen Nachbarn heute nicht mehr verhasst ist, ist einer völligen Veränderung zu danken. Janusz Reiter, von 1990 bis 1995 polnischer Botschafter in Deutschland, erinnert daran, dass der deutsche Reichswehrchef von Seeckt im Ersten Weltkrieg forderte, Polen müsse von der Landkarte verschwinden. 60 Jahre später hatte sich die deutsche Meinung glücklicherweise verändert. Janusz Reiter zitiert den damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher.
"Der gesagt hat, dass es Deutschland auf die Dauer nicht gut gehen könne, wenn es nicht auch Polen gut gehe. Ich glaube, das zeigt eben den radikalen Wandel des politischen Denkens in Deutschland. Und das war gerade das, was auch die pro europäische Denkweise in Polen ermutigte. Man konnte es nur wagen, europäisch zu denken, wenn man wusste, dass der wichtigste entscheidende Partner, Deutschland, dieses Denken honorierte."
Misstrauen und tiefe Abneigung, über Jahrhunderte durch Kriege, den Eisernen Vorhang und bis 1989 durch die offene Grenzfrage geschürt, wichen in den letzten Jahrzehnten Respekt und Zuneigung.
"Hier hat sich ein Epochenwechsel vollzogen. Und das soll nun nicht bedeuten, dass wir heute in einer harmonischen, spannungsfreien Welt leben. Auch wenn wir uns streiten. Die Freiheit, sich über für beide Seiten wichtige Themen zu streiten, aber im Vertrauen, auch das gehört zu guter Nachbarschaft. Etwas, wovon wir vor mehr als 20 Jahren noch gar nicht richtig träumen konnten."
Dass in Polen die europäische Vereinigung inzwischen kritischer gesehen wird, ändert nichts an guter Nachbarschaft, glaubt Januzs Reiter. Deutschland kennt man heute besser und es ist für die Polen immer noch ein besonderes Land.
"An Deutschland misst sich Polen. So wie sich Frankreich in der Vergangenheit an Deutschland gemessen hat. An Deutschland reibt sich Polen. Das führt dazu, dass man manchmal vielleicht zu obsessiv nach Deutschland blickt. Ich wünschte mir manchmal etwas mehr Distanz, etwas mehr Gelassenheit im Umgang mit Deutschland."
Ein besonderes Verhältnis zu Deutschland hat auch der einstige Erzfeind Frankreich. Der Historiker Michael Werner vom CIERA in Paris erinnert sich.
"Das war ein befreundeter Historikerkollege, der dann 1989 so in einem Nebensatz sagte: Jetzt verlieren wir den vierten Krieg auch noch. Und damit meinte er, erst den Krieg verloren 1870/71, das traumatische Erlebnis; dann der Erste Weltkrieg im Grunde auch verloren, wenn die Amerikaner nicht da gewesen wären; dann - sehr traumatisch - 1940 und 1989. Jetzt als nicht mehr militärischer Krieg sondern als ökonomischer Krieg, der noch viel größere Folgen hat als ein politisch-militärischer Krieg."
Ein hingeworfener Satz, der den Kern des Deutschlandbildes trifft, befindet Michael Werner. Bis heute wird in der französischen Presse deutlich, dass die Franzosen Deutschland gleichzeitig als Vorbild und als Rivalen betrachten. Deutsche Kontakte in Richtung Osten sind in Paris nicht gern gesehen.
"Und das war eben eine der Befürchtungen Frankreichs 1989, dass die Zeiten der deutsch-französischen Idylle, dass die vorbei sind - und dass Deutschland jetzt wieder zu seinen eigenen geopolitischen Funktionen in Mittelosteuropa zurückkehren würde. Wirtschaftsbeziehungen werden einerseits konstatiert, weil das eben Tatsachen sind, und auf der anderen Seite doch mit etwas Herzkneifen oder Besorgnis gesehen. Weil man sieht, solange man eben in diesem traditionellen Rivalitätsschema verbleibt, dass man damit ins Hintertreffen gerät."
Allerdings haben die Franzosen inzwischen begriffen, dass man im gleichen Boot sitze, dass gemeinsame Probleme gemeinsam gelöst werden müssen und dass Deutschland und Frankreich Partner seien. Das zeige sich auch daran, dass die meisten deutsche Wissenschaftler, die im Ausland arbeiten, in Frankreich tätig sind, konstatiert Michael Werner.
"Das heißt, Wirtschaftskontakte und so weiter. Wo gibt es einen interessanten Arbeitsmarkt? Heute nach wie vor, das sind in der deutsch-französischen Wirtschaftskooperation. Deutsch-französische Unternehmen, die händeringend Leute suchen, die eben mit diesen nationalen Bildern und Kompetenzen, auch mit den Sprachen umgehen können. Das heißt, ich bin zuversichtlich, dass es zu einer anderen Art von Integration kommt, als man sich das früher vorgestellt hat, so als nationalstaatliche Vereinigung, sondern tatsächlich zu einem Zusammenwachsen der Gesellschaft."
Ein problematisches Verhältnis zu den deutschen Nachbarn haben auch die Österreicher. Das weiß Anton Pelinka. Er ist Politikwissenschaftler an der zentralen Europäischen Universität in Budapest. Dass der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 sein Volk nachhaltig traumatisiert habe, sei nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Nach 1945 hätten die Österreicher alles getan, um sich von Deutschland abzugrenzen, weil es dafür internationale Pluspunkte gab, sagt Anton Pelinka.
"Das hat eine Art opportunistische Zusatzmotivation gegeben, die Involvierung eines guten Teils der österreichischen Gesellschaft in die Nationalsozialistische Verbrechen möglichst zuzudecken. Das ist die österreichische Schlitzohrigkeit, die zu dem berühmten Ausspruch führt, Österreich ist das Land, das der Welt einreden will, Hitler wäre Deutscher und Beethoven Österreicher gewesen."
Die Ressentiments gegen Deutschland würden sich unter anderem auch von der gemeinsamen Sprache herleiten, glaubt Anton Pelinka. Und da sieht er Parallelen zu den Anglokanadiern, die großen Wert darauf legen, keine US-Amerikaner zu sein. Oder zu den Iren, die bitte sehr nicht für Briten gehalten werden wollen.
"Zum Beispiel, als vor ziemlich genau einem Jahr in Wien das Endspiel um die Fußballeuropameisterschaft stattfand, da waren fast alle Wiener Fans des spanischen Teams. Das heißt, es gibt so eine Abgrenzungsbedürftigkeit, die gar nichts konkret mit 1938 zu tun hat, sondern die einfach damit zu tun hat, dass man Wert darauf legt, trotz der deutschen Sprache nicht für deutsch gehalten zu werden."
Allerdings erklärt das nicht die tiefe Abneigung, die Teile der österreichischen Gesellschaft gegen den deutschen Nachbarn hegen. Anton Pelinka schont seine Landsleute nicht.
"Das gibt das böse Wort vom Piefke. Das ist nur negativ gemeint. Und die Steigerung des Piefkes ist der Ostdeutsche. Es wird in Österreich wahrgenommen, dass jetzt auch im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung, dass Arbeitsplätze in Österreich unter Nutzung der Freiheit des europäischen Binnenmarktes zunehmend von Deutschen, die aus den neuen Bundesländern kommen, wahrgenommen werden. Das erweckt den klassischen Komplex des Neides und erzwingt auch die übliche Vorurteilsstruktur gegen diejenigen, die als Konkurrenten wahrgenommen werden. Es gibt die Steigerung: Deutsche - und noch negativer in dieser Vorurteilsstruktur ist dann der Ostdeutsche."
Die Tatsache, dass Österreichs Tourismuswirtschaft von den deutschen Gästen abhängig ist, fördere die Feindseligkeit noch. Denn wer würde schon gerne zugeben, dass er von jemandem abhängig ist, den er nicht wirklich leiden kann, meint Anton Pelinka. Hinzu komme, dass die Zustimmung zur Europäischen Union in Österreich auf dem Rückzug sei. Seit der Erweiterung der EU machten sich Ängste breit.
"Nämlich die Ängste, dass es hier eine quasi Überfremdung gibt, dass es Migration gibt, das wird mit Kriminalität und Sicherheitsaspekten noch verbunden. Das heißt, es gibt eine Abgrenzungsbedürftigkeit jetzt nicht gegenüber Deutschland, sondern gegenüber allem, was als Resultat der europäischen Integration auch in Österreich sichtbar ist."
In dem Zusammenhang gebe es allerdings auch schräge Blicke in Richtung Deutschland. Denn die Bundesrepublik sei als Gründungsstaat der Europäischen Gemeinschaft sozusagen das Europamusterland. Wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit würden sich die Deutschen europäischer verhalten als andere: ein europäisches Musterland.
"Diesem Druck ist Österreich entgangen durch die Schlitzohrigkeit des Landes, sich als Opfer des Nationalsozialismus zu sehen und nach außen hin darzustellen. Und Österreich leistet sich daher auch eher offene Verstöße gegen das, was man europäische Korrektheit nennen könnte. Zum Beispiel hat Österreich die erfolgreichsten antieuropäischen, latent rassistischen, fremdenfeindlichen Parteien, die Freiheitliche Partei Österreichs. Das ist nach vielen Benchmarks die erfolgreichste Rechtsaußenpartei Europas. Das ist ein Beispiel für ein Fehlen europäischer Korrektheit. Deutschland leistet sich das nicht."