Peter Sawicki: Parallel zu diesen Klimagesprächen wollen heute zahlreiche Menschen auf der Straße weiter Druck machen – im Rahmen des Dritten Globalen Klimastreiks. Allein in Deutschland, nicht nur in Berlin, gehen in mehr als 500 Städten Menschen auf die Straße. Mit dabei ist die Organisation Fridays for Future. Mit einem ihrer Sprecher, mit Sebastian Grieme können wir jetzt reden. Er ist am Telefon. Schönen guten Morgen!
Sebastian Grieme: Guten Morgen!
Sawicki: Können Sie nach diesen Gesprächen rund um das Klima, wenn sie heute zu Ende gehen, aufhören zu demonstrieren?
Grieme: Nein, auf gar keinen Fall, weil das Klimaziel der Regierung, nach denen sich dieses Maßnahmenpaket richtet, das heißt alle Maßnahmen, die heute beschlossen werden, oder auch nicht - das wäre ja noch schlimmer -, richten sich an dem Klimaziel für 2030 aus, was 55 Prozent Reduktion entspricht. Aber dieses Ziel ist mittlerweile zehn Jahre alt und hat mit dem 1,5-Grad-Ziel überhaupt nichts zu tun. Deshalb können wir natürlich nicht aufhören.
Sawicki: Aber einen Schritt erst mal zu machen, um dann den zweiten folgen zu lassen, kann ja auch eine sinnvolle Maßnahme sein.
Grieme: Aber es sagt, egal was die Regierung heute beschließen wird: Solange sie an das 55-Prozent-Ziel nicht herangeht, wird es nicht ausreichen. Das heißt, wir müssen weitermachen.
Sawicki: Sie wissen schon, dass das zu wenig sein wird?
Grieme: Solange ans 55-Prozent-Ziel nicht herangegangen wird, ist es definitiv zu wenig.
Klimapaket bedeutet keine neue Ära der Klimapolitik
Sawicki: Das heißt, welche konkreten Maßnahmen stellen Sie sich vor?
Grieme: Wir fordern, dass sich Deutschland im Rahmen seiner Verpflichtungen im Pariser Abkommen und des 1,5-Grad-Ziels auf das Jahr 2035 festlegt. Das heißt, dass wir doppelt so schnell klimaneutral werden. Wir fordern, dass der Kohleausstieg auf 2030 vorgezogen wird. Aber vor allem fordern wir, dass jetzt endlich etwas passiert, dass Klimaschutz nicht weiter aufgeschoben wird. Deshalb wollen wir, dass eine CO2-Steuer eingeführt wird, die schnell auf die Klimafolgeschäden steigt, das heißt die Schäden, die uns durch den Klimawandel entstehen. Das sind 180 Euro pro Tonne. Wenn wir derzeit hören, dass im Klimakabinett von Preisen von 30 Euro pro Tonne geredet wird, ist das ein Sechstel von den Schadenskosten. Das ist ein Sechstel von den Kosten, die wir später tragen müssen. Das ist völlig inakzeptabel.
Sawicki: Es gibt aber auch andere Meinungen von Ökonomen, von Umweltexperten, die sagen, mit einem geringeren Preis könnte man erst mal anfangen und der sei auch politisch vor allem besser umsetzbar.
Grieme: Ja, aber das reicht dann nicht aus fürs 1,5-Grad-Ziel. Die Folgen von einer höheren Erwärmung sind wir nicht bereit zu tragen und vor denen warnt die Wissenschaft seit Jahrzehnten.
Sawicki: Dann blicken wir auf die Demos heute, die anstehen. Was ist Ihr Kernziel, das Ziel der Fridays for Future heute mit Blick auf den Tag?
Grieme: Wir wollen klarmachen, egal was die Regierung heute beschließen wird, dass es nicht ausreichen wird, dass wir weitermachen und dass ja niemand meint, dass jetzt dieses halbgare Paket, was wahrscheinlich vorgestellt wird, eine neue Ära für die Klimapolitik bedeuten würde, solange jetzt nicht endlich stärker gehandelt wird.
Sawicki: Gibt es eine Zahl von Teilnehmern, die Sie als Erfolg erachten würden?
Grieme: Wir rechnen mit vielen hunderttausend Teilnehmern in Deutschland.
Klimaschutz Top-eins-Thema der Politik
Sawicki: Was wäre ein Erfolg für Sie?
Grieme: Das ist schwierig zu sagen. Ich denke, ein Erfolg wäre es, wenn wir die Teilnehmerzahlen vom letzten Streik am 24. 05. übersteigen. Das waren über 350.000.
Sawicki: Insgesamt in Deutschland?
Grieme: Genau.
Sawicki: Was für Aktionen sind insgesamt geplant?
Grieme: Es wird in 575 Städten in Deutschland Klimastreiks geben. Ich glaube, so eine weite Mobilisierung ist ziemlich beispiellos in letzter Zeit. Und vor allem zeigt es, wie breit das Thema in der Bevölkerung angekommen ist - nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land - und wie wichtig dieses Thema ist und welche entscheidende Bedeutung das Thema derzeit hat.
Sawicki: Auf das Stichwort Unterstützung und Einfluss können wir direkt zu sprechen kommen, denn gerade heute kann man lesen, laut einer Umfrage von Infratest-Dimap für den ARD-Deutschlandtrend, dass die Hälfte der Befragten anzweifelt, dass Organisationen wie Fridays for Future wirklich direkten Einfluss auf die Politik in Deutschland haben. Wie groß ist Ihre Unterstützung tatsächlich?
Grieme: Wir sehen in derselben Umfrage auch, dass Klimaschutz derzeit weit höher gewichtet wird als Wirtschaftswachstum. Das heißt, dass Klimaschutz zum Top-eins-Thema der Politik geworden ist.
Sawicki: Aber Klimastreiks werden zumindest angezweifelt als legitimes, als wirksames Mittel.
Grieme: Solange wir trotzdem dafür sorgen, dass die Klimapolitik sich voranbewegt, und solange wir trotzdem dafür sorgen, dass Emissionen reduziert werden und dass das Thema in der Gesellschaft ankommt, ist es für uns erst mal zweitrangig, was wir persönlich für einen Einfluss haben.
Sawicki: Aber Sie wollen ja was erreichen.
Grieme: Genau! Aber anscheinend haben wir das ja schon, wenn 40 Prozent der Befragten meinen, dass Klimaschutz wichtiger als Wirtschaftswachstum sei und nur 24 Prozent das Gegenteil behaupten.
Das 1,5-Grad-Ziel ist unverhandelbar
Sawicki: Eine andere Kritik, die immer wieder geäußert wird, auch Richtung Fridays for Future, ist die mangelnde Diskursfähigkeit mit Blick auf die Klimaziele und auch den Wandel, was den Lebensstil anbelangt in der Gesellschaft. Wie gehen Sie damit um?
Grieme: Na ja, wir müssen erst mal sagen, dass Klimawandel Physik ist. Es ist einfach nur kühle Physik. Mit Physik kann man nicht verhandeln. Das heißt selbstverständlich nicht, dass wir nicht gesprächsbereit sind. Wir reden mit allen. Wir haben mit Konzernchefs gesprochen, selbst mit Konzernen wie Thyssen-Krupp zum Beispiel. Wir stellen uns Diskussionen mit allen Parteien. Das heißt, wir müssen einen Unterschied machen zwischen Gesprächsbereit und bereit, über Ziele zu verhandeln. Denn das 1,5-Grad-Ziel ist unverhandelbar.
Eine weitere Erwärmung würde zum Beispiel bedeuten, dass wir alle Korallenriffe der Welt verlieren, die derzeit die Lebensgrundlage von einer halben Milliarde Menschen sind. Sie müssen sich mal vorstellen, was das für politischen und sozialen Sprengstoff birgt, wenn wir auf einmal einer halben Milliarde Menschen die Lebensgrundlage entziehen.
Das heißt, wir können über das 1,5-Grad-Ziel nicht verhandeln. Die Regierung kann gerne darüber verhandeln, wie sie dort hinkommt, aber auf ein Ziel hinzuarbeiten, was dem 1,5-Grad-Ziel völlig widerspricht, kann nicht ausreichend sein. Wir stellen uns den Diskussionen mit allen Akteuren, um zu schauen, wie man am besten dort hinkommt zum 1,5-Grad-Ziel, aber das 1,5-Grad-Ziel an sich ist unverhandelbar.
"Klimapolitik muss mit Sozialpolitik einhergehen"
Sawicki: Stichwort sozialer Sprengstoff - der ist ja auch drin bei der Frage, wie man sein Leben hier gestalten will, wenn beispielsweise Heizkosten demnächst höher sind, wenn man mehr für Diesel oder für Treibstoff bezahlen muss, oder wenn Gebäudesanierungen auf Verbraucher zurückfallen. Wie gehen Sie damit um?
Grieme: Erst mal ist es super wichtig, dass wir alle Menschen bei dieser Transformation mitnehmen. Auf der anderen Seite haben wir aber auch die Möglichkeit, zum Beispiel über eine Pro-Kopf-Zurückzahlung, oder zum Beispiel über eine Senkung der Stromsteuer Menschen zu entlasten und dafür zu sorgen, dass unterm Strich die Leute, die derzeit schon wenig haben, mehr raus haben werden. Denn Klimapolitik muss auf jeden Fall auch mit Sozialpolitik einhergehen. Aber dafür gibt es die Möglichkeiten und da wollen wir dafür sorgen, dass die Wissenschaft gehört wird, die seit Jahrzehnten aufzeigt, wie so etwas gestaltet werden kann.
Sawicki: Die Wissenschaft sagt zum Beispiel auch, dass Kreuzfahrten zu besonders klimaschädlichen Urlaubszielen gehören. Nun hat vor kurzem eine geplante Abitur-Abschlussfahrt einer Schulklasse in Frankfurt für Aufsehen gesorgt, die nach Oslo und Kopenhagen per Kreuzfahrt reisen wollen. Haben Sie sich eigentlich darüber geärgert?
Grieme: Natürlich finde ich es nicht gut, wenn Leute viele Kreuzfahrten machen, weil für uns auch immer klar ist, dass die Politik da etwas hart ist. Das heißt, die Politik muss etwas verändern, und wir können nicht alle Maßnahmen, die wir für Klimaschutz brauchen, auf den Einzelnen abschieben. Wir können nicht erwarten, dass jeder Einzelne jeden Tag genau die richtigen Klimaentscheidungen treffen kann. Dafür braucht es die Politikanreize.
Noch mal auf die Kreuzfahrt zurückzukommen: Wir haben wie gesagt über 350.000 Fridays-for-Future-Aktive in Deutschland. Ich glaube, zu erwarten, dass sich jede einzelne Person von 350.000 Menschen unbedingt zu 100 Prozent vorbildmäßig verhält, ist eine Erwartungshaltung, die man nirgendwo anders bringen würde. Von daher finde ich die Frage ein bisschen absurd.
Es geht um nichts weniger als die Zukunft
Sawicki: Eine Kreuzfahrt ist trotzdem etwas anderes, als wenn man beispielsweise mit der Bahn irgendwo hinfährt, und das ist ja auch ein Vorwurf mit Blick auf die Doppelmoral, der in Ihre Richtung immer wieder erhoben wird.
Grieme: Na ja, aber wenn Sie sich mal anschauen: Parteien haben 300.000 Mitglieder zum Teil oder teilweise sogar weniger. Wenn ein einziges Parteimitglied etwas macht, was gegen die aktuellen Vorschläge geht, dann landet das auch nicht groß in den Nachrichten und dann wird das auch nicht im Deutschlandfunk als Frage gestellt. Von daher finde ich die Fragestellung sehr komisch.
Sawicki: Wie lange wollen Sie insgesamt noch weiter demonstrieren?
Grieme: Wir werden so lange weiter demonstrieren, bis die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels sichergestellt ist. Alles andere ist wie gesagt keine Alternative.
Sawicki: Ist die Organisation stabil genug dafür?
Grieme: Definitiv! Wir werden heute aller Voraussicht nach den größten Klimastreik haben, den die Welt je gesehen hat. Die Vorbereitungen für die nächsten Streiks laufen schon. Wir haben über 600 Ortsgruppen in Deutschland, die weiterhin aktiv sind und die nächsten Aktionen planen, die hoch motiviert sind, dass wir uns eine Zukunft sichern, denn um nichts weniger geht es.
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