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Fridays for Future
"Wir sind dabei, deren Zukunft zu zerstören"

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hat die Schüler-Demonstrationen für den Klimaschutz gegen Kritik verteidigt. Die Debatte darüber, ob diese während der Schulzeit stattfinden dürften, zeige, dass man das Anliegen der Schüler nicht ernst nehme und von den wirklichen Problemen ablenken wolle, sagte er im Dlf.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Christoph Heinemann |
Der Fraktionsvorsitzende im Bundestag von Bündnis 90/Die Grünen, Anton Hofreiter, spricht am 30.09.2017 in Berlin beim Länderrat (Kleiner Parteitag)
Grünen-Co-Fraktionschef Anton Hofreiter fordert, die jungen Demonstranten ernst zu nehmen (dpa-Zentralbild)
Christoph Heinemann: Von wegen Politikverdrossenheit! Diejenigen Jugendlichen, die es ernst meinen mit ihrem Einsatz für das Klima, sie stellen ein bemerkenswertes Talent politischer Vernetzung unter Beweis. Über 1.600 Kundgebungen sollen heute in etwa 100 Ländern stattfinden, wenn junge Mitbürgerinnen und Mitbürger an diesem einen von vielen Fridays for Future für den Schutz des Klimas auf die Straße gehen. Luisa Neubauer, eine der Organisatorinnen, sagt:
"Wir werden weltweit, Hunderttausende werden, und in Deutschland sicher auch beeindruckende Zahlen von Menschen auf die Straße bringen. Der größte Streik, den wir in Deutschland hatten bisher, war, glaube ich, zwischen 30 und 40.000 Menschen. Es sind Streiks angemeldet in über 180 Orten in Deutschland. Ich wüsste nicht, wann in jüngerer Vergangenheit jemals an einem Tag an 180 Orten gleichzeitig in Deutschland Proteste in irgendeiner Form stattgefunden haben. Alleine das ist tatsächlich außergewöhnlich."
Heinemann: Kleiner Schönheitsfehler: Diese und die anderen Freitagsdemonstrationen finden während der Schulzeit statt, und in Deutschland gilt Schulpflicht. Am Telefon ist Anton Hofreiter, Co-Vorsitzender der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen!
Anton Hofreiter: Guten Morgen!
Heinemann: Herr Hofreiter, was bedeutet Schulpflicht?
Hofreiter: Ich glaube, dass das eine klassische Debatte ist, um abzulenken, um diese jungen Menschen klein zu machen, um ihr Anliegen nicht ernst zu nehmen. Es ist viel davon die Rede, dass 2050, was uns, die wir schon etwas älter sind, weit entfernt scheint, wir klimaneutral sein müssen. Wenn die Bundesregierung so weitermacht, sind wir davon ganz unendlich weit entfernt. Aber ein Großteil der Menschen, die jetzt protestieren, der jungen Menschen, sind dann jünger, als ich es bin. Wir sind dabei, deren Zukunft zu zerstören. Das haben die begriffen und das ist ein riesen Problem.
"Kanzlerin soll Bummelstreik im Klimaschutz beenden"
Heinemann: Herr Hofreiter, was bedeutet Schulpflicht?
Hofreiter: Wie gesagt! Ich sagte bereits: Das ist diese klassische Debatte, um diese jungen Menschen nicht ernst zu nehmen, um diese Menschen klein zu machen, um von den wirklichen Problemen abzulenken, um den Leuten ihre Zukunft wegzunehmen, um nicht darüber diskutieren zu müssen, dass wir deren Zukunft zerstören. Das ist ein klassisches Spiel, das man immer wieder mit ernsten Anliegen macht, und ich bin nicht bereit, dieses Spiel mitzumachen. Ich würde von der Kanzlerin erwarten, dass sie nicht diese jungen Menschen lobt, sondern endlich ihren Bummelstreik im Klimaschutz beendet.
Heinemann: Herr Hofreiter, wieso können Sie diese ganz einfache Frage nicht beantworten? Was bedeutet Schulpflicht?
Hofreiter: Ich könnte Ihnen diese Frage beantworten. Aber es geht diesen jungen Menschen nicht um die Schulpflicht, sondern es geht diesen jungen Menschen um die Problematik, dass wir, wir, die wir in Verantwortung stehen, und die Bundesregierung, ihnen ihre Zukunft wegnehmen. Und ich bin mir sicher, dass diese jungen Menschen gemeinsam mit ihren Eltern und mit den Schulleitern eine gute Regelung dafür finden werden.
Heinemann: Sie können die Frage offenbar nicht beantworten. Wie sollen Schulen reagieren, wenn Schülerinnen und Schüler freitags demonstrieren?
Hofreiter: Ich finde das wunderbar, dass diese jungen Menschen über die Klimakrise sprechen wollen, sie allerdings erkennbar auch keine Lust haben, über diese Klimakrise zu sprechen, auch keine Lust haben, über die Zukunft dieser jungen Menschen zu sprechen, sondern diese Infantilisierungsmuster mitmachen. Ich finde das hoch problematisch. Ich finde diese Art der Debatte hoch problematisch, weil nämlich das andeutet, man nimmt diese Menschen nicht ernst.
"Den jungen Menschen geht es um die Klimakrise"
Heinemann: Wieso können sich Lehrerinnen und Lehrer, die die Schulordnung aufrecht erhalten wollen, nicht auf die Grünen verlassen?
Hofreiter: Wie gesagt, Sie machen es jetzt zum vierten Mal. Den jungen Menschen geht es um die Klimakrise. Ihnen geht es nicht um die Klimakrise. Ihnen geht es darum, diese jungen Menschen mit zu infantilisieren, und Sie unterstellen mir hier einfach schlichtweg Sachen. Die Lehrerinnen und Lehrer – und davon habe ich viele erlebt – haben die Position, und das ist eine ganz individuelle Position, wie die Lehrerinnen und Lehrer damit umgehen. Jetzt bin ich persönlich der Meinung, dass das bis jetzt in den meisten Bundesländern, nicht in allen Bundesländern, absolut vernünftig gelöst worden ist in den Schulen.
Heinemann: Herr Hofreiter, Sie haben jetzt auch diese Frage nicht beantwortet. Wie sollen Lehrerinnen und Lehrer denn reagieren, wenn Schülerinnen und Schüler heute unentschuldigt fehlen? Ich drücke es noch mal etwas einfacher aus.
Hofreiter: Wie gesagt, wir werden da nicht zusammenkommen. Nämlich ich möchte über die Klimakrise sprechen. Sie möchten diese jungen Menschen darauf reduzieren, ob sie in die Schule gehen oder nicht. Kluge Schüler haben mal gesagt, die Lokführer streiken ja auch nicht während ihrer Freizeit.
Heinemann: Herr Hofreiter, entschuldigen Sie bitte! Ich hatte Sie nach Lehrerinnen und Lehrern gefragt. Wie sollen die reagieren, wenn Schülerinnen und Schüler heute oder an Fridays for Future nicht zum Unterricht erscheinen?
Hofreiter: Lehrerinnen und Lehrer sollen schlichtweg vernünftig mit ihren Schülerinnen und Schülern darüber reden, was sie unternehmen können, damit die jetzt herrschenden Menschen nicht ihre Zukunft zerstören.
Heinemann: Wieso kann man nicht samstags für die Zukunft demonstrieren?
Hofreiter: Das haben die Schülerinnen und Schüler selbstbewusst so entschieden, dass sie am Freitag auf die Straße gehen. Offensichtlich ist die Aufmerksamkeit dafür deutlich größer. Was allerdings problematisch ist, dass es viele zu viele Menschen gibt, die das Anliegen dieser jungen Menschen nicht ernst nehmen, sondern diese jungen Menschen einfach infantilisieren wollen, auf nur die Frage der Schulpflicht reduzieren wollen und erkennbar nicht über das Riesenproblem diskutieren wollen, dass wenn wir so weitermachen durch das jahrelange nicht ausreichende Handeln wir diesen Menschen ihre Zukunft nehmen. Das ist hier gerade auch wieder ein schönes Beispiel dafür.
"Jugendliche werden nicht ernst genommen"
Heinemann: Was würde sich denn ändern, wenn Samstags fürs Klima demonstriert würde?
Hofreiter: Wahrscheinlich wäre die Aufmerksamkeit etwas geringer, wenn samstags für das Klima diskutiert werden würde.
Heinemann: Warum?
Hofreiter: Weil nämlich die Aufmerksamkeit unter anderem auch deshalb so groß ist, weil die Schüler während ihrer Schulzeit gehen und sagen, wenn ihr so weitermacht, macht es wenig Sinn, dass ich in die Schule gehe, weil nämlich die nächsten 20, 30 Jahre die Ökosysteme in so große Probleme kommen, dass meine Zukunft kaputt geht. Und man merkt ja an der ganzen Debatte, dass viel zu viele, in Verantwortung stehende Politikerinnen und Politiker und andere Menschen in der Gesellschaft offensichtlich die Erkenntnisse der Klimawissenschaft nicht ernst nehmen und sich nicht vorstellen können, dass es tatsächlich darum geht, dass wenn so weiter gehandelt wird deren Zukunft kaputt gemacht wird.
Heinemann: Herr Hofreiter, sollten Jugendliche nur dann die Schule besuchen, wenn sie gerade nichts Besseres zu tun haben?
Hofreiter: Das ist, wie gesagt, auch diese klassische Argumentation, an der man erkennen kann, dass man die Jugendlichen nicht ernst nimmt. Nämlich die streiken für etwas, wo es um was Existenzielles geht, nämlich deren Chance, überhaupt ein vernünftiges Leben zu haben. Das ist der entscheidende Punkt.
Heinemann: Würden Sie das denn auch für andere Zwecke genehmigen? Das heißt, wenn jetzt Jugendliche sagen würden, wir wollen gegen Zuwanderung oder gegen die Europäische Union auf die Straße gehen?
Hofreiter: Ich habe das nicht genehmigt.
"Die Schülerinnen und Schüler entscheiden selbst"
Heinemann: Heiligt der Zweck auch dieses Mittel?
Hofreiter: Ich habe das nicht genehmigt. Ich habe gesagt, dass die Schülerinnen und Schüler, die Eltern und die Schulleiter eine vernünftige Regelung miteinander finden werden. Was ich gesagt habe ist, dass nicht der entscheidende Punkt hier die Schulpflicht ist, sondern der entscheidende Punkt ist, dass diese jungen Menschen darauf aufmerksam machen, dass die momentan herrschende Politik ihnen ihre Zukunft kaputt machen wollen. Und anstatt diese ganz zentrale Frage zu diskutieren, wollen möglichst viele eine Ablenkungsdiskussion führen über die Schulpflicht ja oder nein, um sich nicht dieser unangenehmen Wahrheit, die diese jungen Menschen aussprechen, zu stellen.
Heinemann: Herr Hofreiter, würden Sie denn auch Demonstrationen von Schülerinnen und Schülern während der Schulzeit befürworten, die ganz andere Ziele zum Inhalt hätten, zum Beispiel gegen Zuwanderung oder gegen die Europäische Union?
Hofreiter: Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich das nicht befürworte. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich der Meinung bin, dass diese Schülerinnen und Schüler in ihrem Anliegen ernst genommen werden müssen und nicht eine Hauptablenkungsdebatte geführt wird, die Sie auch ganz offensiv hier führen.
Heinemann: Sie befürworten die Demonstrationen Fridays for Future nicht? Habe ich das jetzt richtig verstanden?
Hofreiter: Ich befürworte die Demonstrationen.
Heinemann: Ja was denn jetzt?
Hofreiter: Es ist ja wirklich amüsant, wie wir uns hier im Kreis drehen. Ich habe nur gesagt, dass das die Schülerinnen und Schüler selbst entscheiden müssen und dass man ihr Anliegen ernst nehmen muss.
Heinemann: Gut! – Anton Hofreiter von Bündnis 90/Die Grünen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.