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Fridays for Future
Zwischen Rebellion und Kooperation

Fridays for Future hat sich in den letzten Monaten professionalisiert. Das Verhältnis der Klimaschutz-Bewegung zu den etablierten Parteien ist jedoch immer noch schwierig. Dabei sind einige der bekannteren Köpfe der Bewegung in einer Partei aktiv - nämlich bei den Grünen.

Von Jens Rosbach |
11.10.2019, Berlin: Der Demonstrationszug von Fridays for Future zieht durch die Berliner Innenstadt. Ziel der Bewegung ist es auf klimapolitische Missstände aufmerksam zu machen. Foto: Fabian Sommer
Die Klimaschutz- und Umweltbewegung Fridays for Future gibt nicht auf (picture alliance / Fabian Sommer)
Marianne Siebeck: "Also ich denke, das sieht man wirklich ganz offensichtlich einfach an Fridays for Future, dass wirklich kleinste Kinder auf die Straße gehen und sagen: Ihr nehmt mich nicht ernst, nehmt meine Zukunft nicht ernst! Auch die wirklich großen Themen: Waffenexporte, Krieg, Atom, Kohle – also diese Themen, die wir am Ende ausbaden müssen. Dass sind alles Themen, die wirklich jugendrelevant sind und wozu die Jugend befragt und vor allem auch in Entscheidungspositionen gebracht werden muss!"
Luis von Randow: "Also, was wir ja jetzt gerade beobachten ist, dass es offensichtlich in diesem Wirtschaftssystem gerade schwierig wird. Das hat ja auch schon Greta Thunberg gesagt: Wenn Ihr uns sagt, dass es in diesem System nicht funktioniert, dann müssen wir vielleicht das System ändern."
Klaus Hurrelmann: "Fridays for Future muss sich immer wieder mit der Frage auseinandersetzen: Sind die gravierenden umweltpolitischen, klimapolitischen Entscheidungen, die notwendig sind, sind die mit der heutigen parlamentarischen und parteipolitisch organisierten Struktur überhaupt umzusetzen?"
Am Freitag streiken wieder bundesweit Tausende Teenager für eine andere Klimapolitik. Und für den 29. November ist, zum wiederholten Mal, ein globaler Aktionstag geplant. Die Schüler-Umweltbewegung Fridays for Future gibt nicht auf.
Luisa Neubauer, Umweltaktivistin und Mitorganisatorin der Fridays-for-future-Bewegung.
Luisa Neubauer, Klimaaktivistin - "Irritiert, dass sich wenig Ältere anschließen"
Klimaaktivistin Luisa Neubauer hat die Haltung von CDU/CSU und SPD in der Klimakrise kritisiert. "Wir sehen, dass es an allen Ecken und Enden am politischen Willen mangelt", sagte Neubauer im Dlf. Es sei höchste Zeit, dass nicht nur die junge Generation auf die Straße gehe, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren.
Sonne, Herbstlaub und klare, kalte Luft. Am vergangenen Freitag demonstrieren im Berliner Invalidenpark – zwischen Bundeswirtschafts- und Verkehrsministerium – rund dreihundertfünfzig Schüler, Eltern und umweltbewegte Bürger. Sie tragen Wollmützen, Schals und selbstgemalte Transparente wie: "Macht Ihr Eure Hausaufgaben, dann machen wir unsere!". Auf anderen Schildern prangt der Name der schwedischen Fridays-for-Future-Gründerin Greta Thunberg. Sprechgesänge, Schülerreden – schließlich greift die prominente deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer zum Mikrofon.
"Wir haben, als wir vor 46 Wochen angefangen haben zu streiken, niemals gedacht, dass wir 46 Wochen später immer noch hier stehen."
Demonstrant: "Also bei mir macht sich auch langsam so eine gewisse Wut breit, wie man uns eigentlich so ignorieren kann. Wie man sagen kann: Okay, da gehen jetzt Tausende Schüler und Schülerinnen auf die Straße und wir machen trotzdem nichts, oder sehr wenig."
Demonstrantin: "Ich bin wütend wegen des Klimapakets, da gibt es die Klimaziele, und die werden mit diesem Paket nicht eingehalten!"
Demonstrant: "Es ist eine gewissen Frustration und Wut auch dahinter, die das Ganze antreibt. Und die mich immer wieder motiviert, auch hierher zu kommen, auch wenn es jetzt ziemlich kalt ist. Weil es keine andere Möglichkeit so gibt."
Deutschlands Jugend ist stark politisiert: Drei bis fünf Prozent der Schüler, Azubis und Studenten engagieren sich für den Klimaschutz. Weitere 20 bis 25 Prozent lassen sich von den Protesten mitreißen. Auch wenn ein weiteres Drittel eher passiv und konsumorientiert ist und der Rest aus bildungsfernen Schichten kommt und von Zukunftsängsten geplagt ist: Die Fridays-for-Future-Bewegung bestimmt das Bild der gesamten Generation. Professor Klaus Hurrelmann hat dies in der jüngsten Shell-Jugendstudie analysiert.
Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg spricht auf einer Bühne in ein Mikrofon. Im Hintergrund stehen viele demonstrierende Menschen und halten Banner in die Luft. 
Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg bei der Fridays for Future Demonstration in Hamburg am 1. März 2019 (imago / Chris Emil Janßen)
"Diese junge Generation, und wir hätten eine Parallele zu der 1968er-Studentenbewegung, das sind beides Generationen, die sind politisch, weil es ihnen wirtschaftlich und berufsperspektivisch gut geht. Also aus einer gewissen Zufriedenheit heraus - damals Wirtschaftswunder, heute gute konjunkturelle Lage - das macht den Rücken frei. Und das führt eben dazu, dass diese junge Generation einen ganz klaren Blick hat auf die Bedrohungen, die sie im Umweltbereich sieht."
Für den Berliner Sozialwissenschaftler gibt es eine weitere Übereinstimmung von Klimabewegung und 68ern: Fridays for Future ist außerparlamentarisch; die Kinder und Jugendlichen halten bewusst Distanz zu den politischen Parteien.
"Die Parteien sind ihnen zu sehr bürokratische Großorganisationen, und sie scheuen davor zurück, hier wie ein kleines Rädchen im Getriebe zu arbeiten, um dann vielleicht in einem langen Zeitprozess mal irgendwas zu erreichen. Sie machen die Erfahrung, wenn sie bei der Bewegung Fridays for Future sind, dass sie innerhalb von Monaten die politische Agenda beeinflussen können, dass ihre Positionen Wahlen beeinflusst – die letzte Europawahl war sehr deutlich geprägt dadurch. Sie haben also das Gefühl der Selbstwirksamkeit. So dass im Moment die Distanz zu den Parteien eher wächst als dass sie kleiner wird."
Die "deutsche Greta Thunberg"?
"Wehrt Euch, leistet Widerstand! / Gegen die Braunkohle hier im Land/Auf die Barrikaden, auf die Barrikaden!"
"Also Politiker dürfen reden als Privatpersonen hier, aber sie dürfen nicht reden als Politiker."
Karl Beecken ist 14 Jahre alt, blond und trägt einen ordentlichen Seitenscheitel. Seit Februar streikt der Gymnasiast fast jeden Freitag und organisiert die Berliner Fridays-for-Future-Demos mit.
"Wir wollen uns von den Parteien distanzieren, wir wollen nicht, dass wir in einem Satz genannt werden mit den Parteien, wir wollen nicht, dass Politiker in ihrer Funktion als Vertreter ihrer Partei hier sprechen."
Zwar gibt es bundesweit vereinzelt Treffen und öffentliche Diskussionsrunden mit Parteienvertretern. Doch insgesamt halte Fridays for Future Abstand zum etablierten Politikbetrieb, resümiert der Berliner Soziologe Dieter Rucht.
"Dieser Politikbetrieb wird vor allem von Jugendlichen so wahrgenommen, dass er so ein Stück weit selbstbezüglich ist, dass es um Machterwerb und Machterhalt geht, um Posten. Und dass inhaltliche Probleme, vor allem dann, wenn sie wahlpolitisch erstmal nichts einbringen und sie weit in die Zukunft reichen, vernachlässigt werden."
Rucht ist emeritierter Professor und Mitbegründer des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung, eines bundesweiten Netzwerks von rund 150 Sozialwissenschaftlern, die auch Fridays for Future unter die Lupe nehmen.
"Mir scheint sehr klar, dass diese Fragen, die jetzt aufgeworfen werden, sich nicht nur auf Klimapolitik beschränken werden, sondern dass zunehmend andere und tieferliegende Bereiche gesellschaftlicher Ordnung thematisiert und kritisiert werden."
"Der Jugend ihr Recht! Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Wir stehen heute hier, weil Kinder und Jugendliche endlich gleichwertiger Teil dieser Demokratie werden möchten!"
Rückblick, März 2019. Eine Gruppe von Teenagern besetzt die Kuppel des Reichstages, kettet sich an, entrollt Transparente und fordert nicht nur Unterstützung für Fridays for Future – sondern auch ein Kinderwahlrecht, einen bundesweiten Jugendrat sowie ein Vetorecht der Jugend für zentrale Zukunftsfragen. Die Stuttgarter Abiturientin Marianne Siebeck ist bei der Aktion dabei - als Privatperson, wie sie betont.
"Wir sind einfach durch den Haupteingang rein und sind dann hochgegangen und dann, also wir waren acht Menschen, die sich angekettet haben, haben eben die Ketten angelegt, die Vorhängeschlösser, haben die Banner geworfen und dann standen wir da und haben Sprüche gerufen, haben eine Rede gehalten, die es auch auf Youtube zu sehen gibt. Und dann kam irgendwann eben die Bundestagspolizei und dann kamen sie irgendwann mit dem Bolzenschneider und haben uns losgemacht und in Gewahrsam genommen, es war eine sehr spannende Aktion."
Siebeck, 20 Jahre alt, lebt inzwischen in Berlin. Sie engagiert sich im Verein "Demokratische Stimme der Jugend", der vor allem das Mindestwahlalter abschaffen will. Die nach eigenen Angaben rund 25 Aktivisten und 1.000 Unterstützer wollen bei allen großen Themen mitreden.
"Waffenexporte, Krieg, Atom, Kohle – also diese Themen, die wir am Ende ausbaden müssen. Das sind alles Themen, die wirklich jugendrelevant sind und wozu die Jugend befragt und vor allem auch in Entscheidungspositionen gebracht werden muss, dass sie wirklich ein Teil der politischen Gesellschaft werden."
Mehrheit der Klima-Demonstranten derzeit gegen zivilen Ungehorsam
Marianne Siebeck erzählt, sie habe im September einen Brief von der Polizei erhalten, dass gegen sie ermittelt werde – wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Für Strafverfolgungsbehörden erfüllt ein Anketten oft diesen Tatbestand.
"Also wenn ich sozusagen schuldig gesprochen werde, dann bin ich vorbestraft. Das heißt, ich bin aus bestimmten Berufsgruppen auf einmal ausgeschlossen. Und das nehme ich in Kauf, nur um die Zukunft zu ändern, und das finde ich total schön, da sind ganz viele mittlerweile bereit für solche Sachen."
Derzeit ist die Mehrheit der Klima-Demonstranten allerdings nicht für Aktionen zivilen Ungehorsams zu haben. Zwar solidarisiert sich Fridays for Future etwa mit der Gruppe Extinction Rebellion, die zum Beispiel das Londoner Finanzministerium mit Kunstblut bespritzt hat und auch in Deutschland, etwa mit Straßenblockaden, für eine andere Umweltpolitik kämpft. Fridays for Future selbst wolle aber moderat bleiben – erklärt Luis von Randow, der mit seinen 13 Jahren bereits Pressesprecher der Berliner Ortsgruppe ist.
"Warum wir gerade so erfolgreich sind, ist natürlich auch die Akzeptanz in der Bevölkerung und in der breiten Masse. Viele bei uns sind ja auch Teil dieser gemäßigten Masse, sage ich mal. Wir würden sozusagen nicht mehr so viele erreichen können, und deswegen wollen und können wir uns auch gar nicht radikalisieren."
Dennoch hinterfragen viele Schüler-Demonstranten das politische System: Sie halten nicht nur Abstand zu den Volksparteien. Auf zahlreichen Kundgebungen wird auch eine generelle Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre gefordert. Zur Disposition steht ebenfalls das Wirtschaftssystem, das auf Wachstum und Umweltausbeutung basiere und nicht auf Nachhaltigkeit.
CDU-Abgeordneter: Das Thema drängt
"Das hat ja auch schon Greta Thunberg gesagt: Wenn Ihr uns sagt, dass es in diesem System nicht funktioniert, dann müssen wir vielleicht das System ändern."
Gegenüber vom Reichstag, im Jakob-Kaiser-Haus, sitzt ein 54-Jähriger mit grauen Haaren, randloser Brille und blau-weiß gestreiftem Hemd in seinem Bundestagsbüro: Mathias Middelberg, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion.
"Ich sag ganz ehrlich für mich selber: Ich habe das Thema Klima schon seit langem im Fokus gehabt. Aber was mir durch die Demonstrationen von Fridays for Future oder durch das Engagement von Greta Thunberg sehr viel deutlicher geworden ist, ist wie stark das Thema drängt. Also das Tempo der Klimaveränderung habe ich, ehrlich gesagt, nicht so drastisch gesehen, wie mir das jetzt deutlich geworden ist."
Klimaschutz-Aktivistin Luisa Neubauer.
Klimaschutz-Aktivistin Luisa Neubauer. (dpa / Soeren Stache)
Der CDU-Politiker räumt ebenfalls ein, dass seine Partei kopflos reagiert habe auf den Videoblogger Rezo, der im Mai – kurz vor der Europawahl – den Christdemokraten ein Versagen in der Klimapolitik vorgeworfen hat. Die Regierungspartei antwortete verspätet auf die Youtube-Häme – mit einem trockenen, 11-seitigen Papier.
"Die Reaktion war richtig scheiße. Die Reaktion war saublöd."
Der Politiker gesteht außerdem, die Christdemokraten hätten den "Weckruf" der Europawahl gehört, bei der die konkurrierenden Grünen ein Rekordergebnis verbuchten von über 20 Prozent.
"Das ist der CDU auch richtig in die Knochen gefahren." Trotz öffentlicher Zerknirschtheit: Middelberg sieht keinen Grund, politische Strukturen zu ändern. So lehnt er eine Senkung des Wahlalters für Bundes- oder Europawahlen ab. Der Parlamentarier erklärt, man müsse erst einmal prüfen, ab wann jemand die "Reife" besitze für einen Gang zur Wahlurne.
"Das zeigt ja gerade jetzt die Entwicklung zum Klimapaket, dass eigentlich alles funktioniert, auch der ganze Diskussionsprozess. Es kann sich jeder einbringen: Fridays for Future kann sich einbringen, die Klimawissenschaftler können sich einbringen, wir werden Fachanhörungen machen mit Experten – also es sind alle Möglichkeiten gegeben, sich einzubringen. Politische Teilhabe ist nicht nur Ausübung von Wahlrecht."
Auch neue Institutionen, wie einen bundesweiten Jugendrat, sind nach Ansicht von Middelberg nicht nötig, um Schüler und Studenten mehr in die Politik einzubinden. Die Jugendlichen sollten lieber in die Parteien eintreten, so der konservative Abgeordnete.
"Also ich fände das eine gute Sache, wenn man sich in dem durchaus bestehenden parteipolitischen System engagiert, dass wir einen demokratischen Prozess haben, der irgendwie strukturiert und geordnet sein muss.
"Jede Regierung, die im Jahr 2019 in den gewählten Ämtern sitzt, die hat die Klimakrise auf der To-do-Liste. Und wenn sie darauf keinen Bock hat, dann soll sie es bleiben lassen. Aber dann soll sie Platz machen für andere Leute."
Wenn Luisa Neubauer, die "deutsche Greta Thunberg", wie sie von manchen Medien genannt wird, bei den Klima-Demonstrationen auftritt, kann sie mit viel Applaus rechnen. Allerdings ist in der Anhängerschaft eine Frage umstritten: Muss ausgerechnet Luisa, das Aushängeschild unserer Bewegung, Mitglied einer Partei sein – nämlich bei den Grünen?
Keine Angst, von der Politik instrumentalisiert zu werden
In der mecklenburg-vorpommerschen Landeshauptstadt Schwerin ist Luise Steinbach eine der Hauptorganisatoren von Fridays for Future. Die 16-Jährige kennt die Partei-Debatte – denn sie ist ebenfalls Grünen-Mitglied.
"Das ist überhaupt kein Widerspruch. Also ich denke eher, dass ich dadurch facettenreicher meine Meinung vertreten kann. Und sich nur auf den Aktivismus zu beschränken, hilft glaube ich auch keinem, denn wir müssen doch dort mithelfen, wo die Entscheidungen getroffen werden. Und das ist nun mal in den Parteien, und dann sollte man doch lieber eine Plattform nutzen und sie zu seinen Gunsten verändern."
Steinbach – halblange braune Haare, Zahnspange und an den Handgelenken bunte Festivalbändchen – betont: Sie habe positive Erfahrungen gemacht mit der Partei. In ihrer Schweriner Ortsgruppe interessierten sich die älteren Mitglieder sehr für die Vorschläge der jüngeren. Kürzlich habe sie selbst sogar einen Klima-Antrag der Grünen für das Schweriner Stadtparlament mit überarbeiten dürfen.
"Ich meine, das ist der Nachwuchs. Wenn man sich da nicht auch ein bisschen anbiedert, dann hat man auch ein bisschen was falschgemacht."
Radikale Forderungen, aber moderate Methoden - für diesen Kurs steht Fridays for Future in Schwerin auf besondere Weise: Nachdem Tausende Schüler auch in Mecklenburg-Vorpommern auf die Straße gingen, bot die rot-schwarze Landesregierung den Demonstranten im Mai an, einen Jugendrat ins Leben zu rufen: den Rat für Umwelt und Nachhaltigkeit, kurz RUN, den es bisher nur hier gibt.
Er ermöglicht es den Klimaaktivisten, Fragenkataloge bei der Regierung einzureichen, Umweltdaten anzufordern und sich persönlich mit Ministern zu treffen.
"Ja, wir haben eine neue Institution geschaffen, aber in einem System, das bereits existiert. Wir haben uns mit der Landesregierung verkoppelt und müssen uns dadurch auch den Systemen, die dort existieren, unterordnen, zum Beispiel durch Finanzanträge. Ich halte das für eine Institution, die neu ist, aber in einem alten System."
Der Jugendumweltrat erhält 50.000 Euro von der Landesregierung, für zwei Jahre. Luise und ihre Schweriner Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben jedoch keine Angst, von der Politik instrumentalisiert zu werden.
"Wir haben unterschiedliche Medienkontakte, die uns helfen würden, den Druck zu erhöhen. Aber im Augenblick sehe ich dafür überhaupt keine Notwendigkeit, weil wir gerade sehr konstruktiv arbeiten können und die Landesregierung sich wahnsinnig viel Arbeit damit macht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das freiwillig tun würde, wenn sie nicht gewillt wäre, unseren Forderungen nachzukommen."
"Fridays for Future ist nach wie vor sehr konstruktiv und ließe sich unter Garantie für die Ausarbeitung von politischen Plänen gewinnen."
Der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann
Der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann (dpa / picture alliance / Miguel Villagran)
Der Berliner Jugendforscher Klaus Hurrelmann plädiert dafür, der jungen Generation mehr politische Mitsprache zu ermöglichen: durch eine Senkung des Wahlalters, durch Jugendquoten in den Parteien oder durch neue Institutionen, wie Umwelträte.
"Auch die Bundesregierung könnte sie einladen zu debattieren, wie das Klimapaket verbessert werden kann. Das wäre ein hochinteressantes politisches Experiment."
Anders sieht das sein Kollege Dieter Rucht. Der Soziologe warnt, dass neue Räte von den Politikern als Alibi-Gremien benutzt werden könnten.
"Wenn man Probleme nicht lösen kann, was macht man dann? Man gründet eine Kommission, dann hat man erstmal drei Jahre Luft. Also es kann auch ein Mittel sein, um Probleme abzuwürgen oder auch beiseite zu räumen."
Berufspolitikerin? Eher nicht
Für die Protestforscher sieht es nicht so aus, als wenn sich Fridays for Future insgesamt schlucken ließe vom etablierten Politikbetrieb. Selbst das Schweriner Grünen-Mitglied Luise Steinbach kann sich nicht vorstellen, später einmal Berufspolitikerin zu werden.
"Ich denke, dass wenn man sich von der Politik abhängig macht, dass man natürlich auch immer um seine Wiederwahl kämpft, und ich möchte nicht, dass ich finanziell von meiner Politik abhängig bin, dass ich in die Not gerate, meine Politik so zu verändern, dass ich finanziell auf eigenen Beinen stehen kann. Und weil ich meine Politik nicht so verändern will, werde ich auf jeden Fall immer in der Opposition von außen sein, deswegen werde ich auch nicht in die Politik gehen."
"Diese Proteste, das ist die größte Liebeserklärung an die Demokratie, die es jemals gegeben hat. Eben weil wir vor dem Bundestag stehen. Eben weil wir vor den Landtagen stehen. Was Schöneres gibt es nicht, was Lebhafteres in der Demokratie gibt es nicht! Aber: Es wirkt nur, solange wir auch gehört werden!"
Klimaaktivistin Luisa Neubauer ist wütend über das bislang Erreichte: das "Klima-"Päckchen, wie es unter Jugendlichen genannt wird. Zwar verspricht sich Fridays for Future vom nächsten globalen Klimastreik am 29. November einen neuen Impuls. Doch noch ist unklar, was passiert, falls sich die junge Generation – trotz politischer Zugeständnisse – weiterhin nicht gehört fühlt.
"So dass sich Fridays for Future immer wieder fragen muss: Muss das politische Entscheidungssystem geändert werden? Ist es vielleicht unmöglich, mit den heutigen parteipolitischen und regierungspolitischen Konstellationen so weitreichende politische Schritte zu beschließen, wie sie notwendig sind?"
Professor Klaus Hurrelmann sieht die Schüler – zumindest in Deutschland – auf einen Wendepunkt zu marschieren. Bald schon werde sich zeigen, so der Jugendforscher, ob die Protestgeneration standhaft bleibt – bis zu einem neuen, konsequenteren Klimapaket. Sollte dies allerdings nicht kommen, könnte sich die Umweltbewegung verschleißen – oder doch noch radikalisieren, frustriert vom demokratischen System.
"Ja, die Bewegung kratzt tatsächlich an der Systemfrage in diesem Sinne mit entlang."