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Friedemann Schmidt: "Die neue Rechte und die Berliner Republik"

"Die neue Rechte und die Berliner Republik" . Gibt es wechselseitige Abhängigkeiten zwischen der neu-rechten Ideologieproduktion und den politisch-kulturellen Debatten in der Mehrheitsgesellschaft? Wie war es eigentlich, als vor gut einem Jahr die von Friedrich Merz und anderen Unions-Politikern geforderte "deutsche Leitkultur" die innenpolitische Diskussion bestimmte? Wollte die Neue Rechte da nicht sofort die "deutsche Leitkultur" als den kleinsten gemeinsamen Nenner in der Zuwanderungsdebatte festschreiben? Oder wie war es, als der bayerische Innenminister Günther Beckstein vor der "Preisgabe der Nation als Rechts- und Schicksalsgemeinschaft" warnte? Hört sich das wirklich anders an, wenn in den Reihen der Rechtsextremisten und ihrer ideologischen Vordenker von "Überfremdung" geredet wird, von der vermeintlichen Bedrohung durch Ausländer und von dem unbedingten Vorrang deutscher Interessen? Friedemann Schmidt ist diesen Fragen in seiner Doktorarbeit "Die neue Rechte und die Berliner Republik" nachgegangen.

Renate Faerber-Husemann | 11.02.2002
    Friedemann Schmidt, der Berliner Journalist, hat seiner Doktorarbeit über die intellektuellen Wegbereiter rechter Strömungen ein Zitat vorangestellt:

    "Nach der Lehre vom Generationenkonflikt steht zu erwarten, dass der Wunsch der Wähler nach einem Zurechtrücken des Ende der 60er Jahre erfolgten Linksrucks und damit nach einer Ablösung der pathogenen Generation, die ihre wesentliche Prägung in den frühen Nachkriegsjahren erhalten hat, parallel zur Normalisierung der politischen Situation Deutschlands in Zukunft deutlicher wird."

    Nur Wunschdenken des rechten "Criticón"-Schreibers Kaspar Schlich? Immerhin regiert diese Generation derzeit in Berlin und selbst gewalttätiges Rebellentum der einstigen 68er wird vom Wahlvolk - siehe Joschka Fischer - eher mit Gelassenheit registriert. Mehrere Jahre hat der Wissenschaftler und Autor Friedemann Schmidt sich mit der intellektuellen Neuen Rechten beschäftigt, besonders mit ihrem Vorzeigeblatt, der Münchner Zeitschrift "Criticón". Mit großer Beklommenheit liest man, wie stark die Autoren "Stichwortgeber" einer Debatte sind, die die Republik längst verändert hat. Man denke nur an den sogenannten Historikerstreit, an Martin Walsers Klagen über die" Moralkeule Auschwitz", an die Diskussionen zur deutschen Leitkultur oder zum Thema Staatsangehörigkeitsrecht und Zuwanderung. Wer aber ist die "Neue Rechte", die sich nicht nur durch feineren Zwirn und gewähltere Ausdrucksweise von den dumpfen Rechtsextremisten unterscheidet, und die im letzten Jahrzehnt anscheinend sehr viel mehr Zustimmung als früher gefunden haben. Schmidt definiert sie als

    "....eine Gruppe von politischen Publizisten und Intellektuellen, die in der Grauzone zwischen Rechtsextremismus und Konservatismus agiert und sich dem radikalen Kampf gegen den Liberalismus verschrieben hat - im Kern als Erbengemeinschaft des antidemokratischen, deutsch-nationalen Konservatismus, dessen ideologische Programmatik seit dem Kaiserreich weitgehend unverändert geblieben ist."

    Schon bald nach dem Fall der Mauer beobachten die rechten Intellektuellen ein "neu aufgeflammtes Nationalgefühl", sie deuten es als Aufbegehren der "schweigenden Mehrheit" gegen "Tabus" und "Denkverbote". Sie sehen die Chance für eine Rehabilitierung des deutschen Nationalismus und nennen das "Normalisierung". Die alte Bundesrepublik, die Bonner Republik, ist nun Stoßrichtung ihrer Kritik:

    "Die neu-rechten Vorstöße zielen auf ein neues Selbstverständnis der Berliner Republik, die aus der geschichtlichen Verantwortung für zwei Weltkriege und die nationalsozialistische Barbarei entlassen, ihre künftige Politik an den macht- und obrigkeitsstaatlichen Traditionen des deutschen Nationalismus ausrichten soll. Zur Legitimation des hierfür unabdingbaren Bruchs mit der politischen Kultur der Bundesrepublik wird die Nachkriegszeit als fremdbestimmtes Interim gezeichnet, welches um den Preis von Verrat und nationaler Selbstverleugnung erkauft worden sei."

    Nun ist nichts, was in "Criticón" und dem publizistischen Umfeld gedacht und geschrieben wird, eine Sache für den Staatsanwalt oder auch nur für den Verfassungsschutz. Auschwitz wird nicht geleugnet, aber als eine zu vernachlässigende Größe behandelt. Die Angriffe gegen das Grundrecht auf Asyl werden zwar massiv, aber das passiert ab 1990 auch in anderen politischen Kreisen. Der bundesdeutsche Verfassungspatriotismus wird verspottet, man sehnt sich nach einem neuen Bismarck, also nach dem 19. Jahrhundert. Doch die wirkliche Zielrichtung ist die Schlußstrich-Debatte, Der Criticón-Herausgeber schreibt dazu bereits Ende 1990 triumphierend:

    "Der braune Farbtopf, der noch vor kurzem mit Weizsäckers 8.-Mai-Rede, dem Historikerstreit, der Jenninger-Affäre unerschöpflich zu sein schien, ist im Zuge der deutschen Wiedervereinigung , gegen die die Bewältigungsmoralisten mit ihrem Standard-Argument angesichts unserer Vergangenheit obstinaten Widerstand leisteten, umgekippt."

    Ist das nun tatsächlich gefährlich für die deutsche politische Kultur, wenn der Tugendterror jener angeprangert wird, die sich weiterhin mit der Nazizeit auseinandersetzen? Wenn gejammert wird, allein die Erwähnung des Namens Auschwitz diene in diesem System dazu, jede freie Denkbewegung zum sofortigen Stillstand zu bringen. Kreisen diese rechten ewig gestrig wirkenden Intellektuellen nicht nur um sich selbst in einem kleinen Biotop, in dem sie miteinander über die westdeutsche Dekadenz klagen? Oder zeigt doch schleichende Wirkung, was dort vorgedacht wird? Immerhin hatten wir im letzten Jahr lächerlich anmutende Debatten darüber, ob man stolz darauf sein dürfe, ein Deutscher zu sein. Und ein deutscher Dichter wie Martin Waiser konnte 1998 in seiner Paulskirchenrede von der "Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken" reden. Und gerade kürzlich erst hat Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, festgestellt, dass rassistische und antisemitische Einstellungen zunehmend auch bei gesellschaftlichen Eliten anzutreffen seien. Vermutlich gab es die immer. Der Tabubruch aber ist, dass heute öffentlich ausgesprochen und geschrieben wird, was früher höchstens flüsternd in bestimmten Kreisen verbreitet wurde. Die Neue Rechte scheint also Erfolge verbuchen zu können. Die Frage nach der direkten und indirekten Wirkung beantwortet Friedemann Schmidt in seiner spannenden und meinungsfreudigen Promotionsschrift so:

    "Wichtigstes Ziel der Neuen Rechten und ihrer Verbündeten bleibt das Bedürfnis nach der Befreiung vom durch Auschwitz gesetzten Nationalismus-Tabu. Dass das Bekenntnis zur nationalstaatlichen 'Normalisierung' in den 90er Jahren über den Konservatismus hinaus von weiten Teilen der politischen Klasse übernommen wird und schließlich auch zum rhetorischen Repertoire des Kanzlers einer sozialdemokratisch geführten rot-grünen Koalition zählt, ist keine Ironie der Geschichte , sondern Ausdruck der fundamentalen Veränderungen in der politischen Kultur auf dem Weg in die 'Berliner Republik ', für die die Neue Rechte weniger als Stichwortgeber denn als zuverlässiger Indikator fungiert."

    Friedemann Schmidt: "Die neue Rechte und die Berliner Republik". Westdeutscher Verlag. Wiesbaden. 400 Seiten. 39 Euro.