Zwar habe sich der russische Außenminister Lawrow am Mittwoch beim Treffen mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Berlin zum Frieden verpflichtet, dies seien aber offenbar leere Worte, so Wellmann. Russland betreibe eine "Gewaltpolitik des 19. Jahrhunderts" mit dem sich das Land in eine Sackgasse manövriert habe. Sollte es diese Politik weitertreiben, sei dies der Niedergang Russlands, warnt Wellmann. Der CDU-Politiker ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags.
Er bezeichnete den Vorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel für eine gemeinsame Freihandelszone mit Russland gleichwohl als "charmante" Idee. Da für den Westen in diesem Konflikt keine militärische Option bestehe, könnte die verstärkte wirtschaftliche Integration einen politischen Ausweg beschreiben. Doch dies setze eine ernst zu nehmende Bereitschaft Russlands zu konstruktiven Gesprächen voraus.
Die prorussischen Separatisten hatten gestern die Friedensvereinbarungen von Minsk für gescheitert erklärt und zugleich angekündigt, ihre Offensive auszuweiten. Die Ukraine und der Westen werfen Russland vor, die Aufständischen mit Waffen und Truppen zu unterstützen.
Thielko Grieß: Eine Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok, zwischen der europäischen und der Eurasischen Union, ein Vorschlag wieder aufgegriffen in Berlin, gerichtet in Russland. Das wirft Fragen auf.
Die Kämpfe in der Ostukraine dauern an, die Vereinten Nationen haben gestern bekannt gegeben, sie hätten seit Beginn des Konflikts etwa 5.000 Tote gezählt. Wie kann es gelingen, Frieden herbeizuführen, die Separatisten in der Ostukraine und Russland zur Kooperation zu bewegen? Dazu hat Angela Merkel in den vergangenen zwei Tagen zweimal öffentlich den Blick sehr weit voraus geworfen. Sie hat gesagt, sie halte eine Freihandelszone zwischen der Europäische Union und der Eurasischen Union, die von Russland dominiert wird, für denkbar und zumindest für diskutabel – unter einer Bedingung: wenn nämlich Frieden in der Ostukraine erreicht worden sei. Ähnlich hat sich auch der Vizekanzler geäußert, Sigmar Gabriel, SPD-Chef. Eine Debatte ist es, die hin- und hergewogen werden kann, und deshalb guten Morgen, Karl-Georg Wellmann!
Karl-Georg Wellmann: Guten Morgen aus Berlin!
Grieß: Sie sind Abgeordneter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Deutschen Bundestag und sitzen für diese Fraktion im Auswärtigen Ausschuss. Wie charmant ist die Idee von Freihandel bis zum Pazifik?
Wellmann: Das ist grundsätzlich sehr charmant, das ist eine Idee, die ja seit Jahren diskutiert wird und die sehr in deutschem Interesse läge. Wir sind Exportweltmeister, und Freihandel führt dazu, dass unsere Unternehmen noch leichter und noch besser Handel treiben können. Das schafft viele Millionen Arbeitsplätze in Deutschland, und deshalb ist der Vorschlag sehr sinnvoll.
Grieß: Unterläuft Deutschland damit seine eigene Sanktionspolitik?
Wellmann: Nein, überhaupt nicht. Die Bedingung, die die Bundeskanzlerin ja sehr zu Recht gesagt hat, ist Frieden in der Ukraine. Wir müssen ja eine Lösung finden, bei der keiner der drei Parteien – Russland, die Ukraine und der Westen – als Verlierer vom Platz geht. Und das Angebot an Russland, dass man dann über eine Freihandelszone reden kann, ist sinnvoll. Nur: Wir sehen im Moment überhaupt keine Bewegung in Russland, im Gegenteil, die Separatisten betreiben Kriegstreiberei, sie sind wieder in die Offensive gegangen, und der Eindruck ist entstanden, dass man Russland nicht vertrauen kann. Sie haben ja vor wenigen Tagen hier in Berlin, die Außenminister, zusammengesessen, und auch der russische Außenminister Lawrow hat unterschrieben, dass man sich um Frieden bemüht. Das scheinen nur leere Worte gewesen zu sein. Die Bedingung für weiteres Entgegenkommen ist Frieden in der Ukraine, sonst bleiben die Sanktionen.
"Militärisch kommen wir dort nicht weiter"
Grieß: Ist denn dieser Vorschlag, der die Freihandelszone betrifft, ein Eingeständnis, dass die bisherige Sanktionspolitik nicht weiterführt?
Wellmann: Überhaupt nicht. Es ist die Perspektive einer politischen Lösung. Militärisch kommen wir dort nicht weiter. Militärisch gibt es für uns keine Option, und das Militärische wird für Russland auch eine Sackgasse sein. Es wird der Niedergang Russlands sein, wenn es diese Politik weiterbetreiben sollte. Es ist 19.-Jahrhundert-Gewaltpolitik. Und wenn man, wie die Bundeskanzlerin das tut, einen politischen Ausweg beschreibt, dann ist das nur richtig, aber setzt voraus, dass Russland an den Tisch kommt und es zu konstruktiven politischen Gesprächen kommt, die man auch ernst nehmen kann und denen man vertrauen kann.
Grieß: Können Sie sich vorstellen, dass dieser Vorschlag in Moskau allenfalls belächelt wird, denn die Europäische Union ist ja auf einem sehr holprigen Weg ohnehin, Freihandelsabkommen zum Beispiel mit sehr viel einfacheren Partnern abzuschließen, etwa Kanada und den USA. Wie soll das dann mit Russland möglich sein?
Wellmann: Alle Gespräche, die wir mit Leuten in Russland führen, die von Ökonomie etwas verstehen, deuten in die ganz andere Richtung. Russland ist in einem dramatischen Abstieg begriffen, ökonomisch. Die Währung ist in freiem Fall, die Ölpreise sind in freiem Fall, und Russland steht in diesem Jahr nach eigenem Eingeständnis eine dramatische Rezession bevor. Das kann uns nicht zufriedenstellen und schon gar keine Schadenfreude hervorrufen, aber das sind die Folgen von jahrzehntelangen Versäumnissen und von dieser Politik, die nicht auf Kooperation und Handel und Wandel, sondern auf Gewalt setzt. Das führt in eine Sackgasse, und Russland schadet sich vor allem selbst. Russland müsste selbst das größte Interesse haben, in vernünftige working terms wieder mit dem Westen zu kommen und seine eigene Wirtschaft aufzubauen.
"Russland muss seine irrationale Politik überdenken"
Grieß: Jetzt haben Sie gerade Ihre Kanzlerin unterstützt, gesagt, vorher muss ein Frieden in der Ostukraine erreicht sein. Was eigentlich ist mit zum Beispiel den von Russland annektierten Gebieten Georgiens?
Wellmann: Ja, wir reden zunächst über die Ukraine, aber die russische Politik, diese Entitäten zu schaffen, diese eingefrorenen Konflikte in Georgien, in Armenien, in Moldawien zu schaffen, ist eine destruktive Politik, das führt zu nichts. Das ist die Politik, den Fuß in der Tür zu haben, Konflikte jederzeit provozieren zu können, und das Russland insgesamt in diese Sackgasse geführt. Russland muss diese Politik überdenken, diese irrationale Politik, dann kommt man weiter, vorher nicht.
Grieß: Also muss Russland auch zum Beispiel Abchasien und Südossetien – das sind die beiden Regionen Georgiens – verlassen haben, die Truppen dort verlassen haben, damit ein Freihandel überhaupt denkbar ist?
Wellmann: Ich würde das jetzt nicht überfrachten. Der heiße Konflikt spielt sich in der Ukraine ab. Sie haben es eben selbst gesagt, 5.000 Tote, das ist eine schreckliche Bilanz. Ich will nicht an Syrien denken, aber 5.000 Tote können wir nicht kühl hinnehmen und sagen, das ist eben so. Wir müssen uns in jeder Richtung bemühen, den Konflikt zu entschärfen und zu einer politischen Lösung zu kommen. Zu der muss es am Ende sowieso kommen, aber die gewaltsame Annexion fremden Landes können und werden wir nicht akzeptieren.
Grieß: Wie gehen wir denn jetzt Ende Januar 2015 vor, Herr Wellmann? Sie haben es gesagt, es gibt Gespräche auf hoher Ebene zwischen den Außenministern, und in der Ostukraine spielt sich das Gegenteil ab, nämlich Krieg statt Frieden.
Wellmann: Wir haben ja nur die ökonomischen politischen Mittel, das Militärische ist keine Option, das haben wir vernünftigerweise immer wieder gesagt. Russland ist weltweit isoliert, Russland ist in einem dramatischen wirtschaftlichen Niedergang. Und wenn Russland seine eigenen Interessen wahrnehmen will, dann muss es diese Politik ändern. Wir sprechen ja mit vielen, nicht nur auf höchster Ebene, sondern auch auf diskreter Ebene, und dort hören wir ein zunehmendes Unverständnis von russischen wichtigen Leuten, von Entscheidungsträgern, mit der Politik ihres Staatschefs. Das muss sich ändern, wenn Russland seine eigenen Interessen wahrnehmen will.
"Ukraine muss Reformprozess in Gang bringen"
Grieß: Sie rufen zur Mäßigung auf, rufen Sie auch die ukrainische Seite zur Mäßigung auf, die ja mehrere Zehntausend zusätzliche Soldaten mobilisieren will?
Wellmann: Das beobachten wir mit einer gewissen Sorge. Zunächst mal muss man jedem Land das Recht der Selbstverteidigung zugestehen. Wenn fremde Truppen in einem Land einmarschieren, muss sich das betroffene Land verteidigen können. Aber auch die Ukraine muss zwei Sachen tun: erstens endlich den unbedingt notwendigen Reformprozess in Gang bringen – das, was bisher passiert ist, kann uns noch nicht wirklich zufriedenstellen –, und zweitens selbst nicht Öl ins Feuer zu gießen. Aber ich habe ein gewisses Verständnis für die ukrainische Seite. Sie sind überfallen, die Separatisten haben erklärt, es wird keinen Frieden geben, wir wollen den gesamten Donezk einnehmen, und das ist eine Gratwanderung, auf der wir gehen, auf der die Ukrainer gehen. Wir müssen alles daran setzen, zu einem politischen Prozess zu kommen, den Konflikt und das Morden und Sterben in der Ukraine zu beenden.
Grieß: Sagt Karl-Georg Wellmann, Außenpolitiker der CDU im Bundestag. Herr Wellmann, danke für das Gespräch!
Wellmann: Danke Ihnen, auf Wiederhören!
Grieß: Auf Wiederhören!
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