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Friedensaktivistin in Slawonien
"Frieden ist nicht nur die Abwesenheit von Krieg"

Als in den 1990er-Jahren der Krieg nach Kroatien kam, begann die Ärztin Katarina sich für Frieden und Verständigung zu engagieren. 20 Jahre nach Kriegsende bleibt ihr noch immer viel zu tun. Noch immer wird in ihrem Land stark entlang ethnischer Trennlinien gedacht.

Von Grit Eggerichs |
Die Ärztin Katarina Kruhonja, seit 27 Jahren Friedensaktivistin in Kroatien
Katarina Kruhonja sah den Krieg im zerfallenden Jugoslawien lange nicht kommen (Grit Eggerichs / Deutschlandradio)
Maša und Lucija vom Tierschutzverein Pobjeda bauen einen Beamer auf. Rund 20 Jugendliche machen es sich auf Sofas bequem. Sie sind für eine Woche in der slawonischen Provinzhauptstadt Osijek, im Osten Kroatiens. Hier gab es während des Unabhängigkeitskrieges eine aktive Friedensbewegung, die noch immer für Frieden und Menschenrechte eintritt.
Die Jugendlichen sind aus Zagreb und von der Adria angereist, um hier zu lernen, dass Frieden harte Arbeit ist. Sie haben Kriegsberichte gelesen, mit Friedensaktivisten gesprochen und die Stadt besichtigt. Gleich am ersten Tag hatten sie einen Kurs in gewaltfreier Kommunikation, erzählt Mihana, 19 Jahre alt.
"Und ich muss schon sagen, das war schwierig. Wir sagen normalerweise, was wir denken und achten nicht darauf, wie das ankommen könnte. Ich habe jetzt gelernt, mich ein bisschen anders ausdrücken oder auch mal was nicht zu sagen." Mihana trägt als einzige Frau hier Hijab.
Warum gewaltfreie Kommunikation?
Neben ihr sitzt Sanel. Die beiden machen dieses Jahr Abi – an einem muslimischen Gymnasium in Zagreb.
"Ich finde okay, wie wir kommunizieren. Aber die Leute aus dem Workshop haben gesagt, wir sollten vielleicht manchmal nicht ganz so direkt sein."
Ich-Botschaften senden statt Vorwürfe zu machen; Komplimente lieber mal nicht aussprechen, denn sie könnten falsch verstanden werden. Das sind Ansätze, die nicht jeder und jedem sofort einleuchten. Es war aber auch zu wenig Zeit für den Kurs, sagt Katarina Kruhonja, die Seminarleiterin – etwas zerknirscht.
"Es war mehr eine Präsentation als ein echter Workshop. Aber: Warum machen wir das? Ich glaube, dass gewaltfreies Agieren im Alltag notwendig ist. Von der persönlichen Beziehung bis hin zur Politik."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Slawonien in Kroatien - Nicht nur Hinterland".
Katarina Kruhonja hat vor 27 Jahren das Zentrum für Frieden, Gewaltfreiheit und Menschenrechte gegründet. Hier in Osijek, unter dem Schock des gerade ausgebrochenen Krieges: Kroatien hatte im Juni 1991 seine Unabhängigkeit erklärt. Die jugoslawische Zentralregierung in Belgrad war damit nicht einverstanden. Ihre Volksarmee griff mehrere Städte an. Auch Osijek.
"Frieden ist nicht nur die Abwesenheit von Krieg"
"Ich bin Ärztin, ich habe im Sozialismus gelebt, ein ganz privates Leben mit meinen zwei Kindern, und das war für mich völlig okay. Ich habe den Krieg nicht kommen sehen. Selbst als wir die ersten Artillerieschüsse gehört haben, dachte ich noch: Kann nicht sein! Als mir klar wurde, dass wirklich Krieg ist, merkte ich, dass ich dafür mitverantwortlich bin. Durch meine ganze Passivität in der Zeit vorher. Und dann wollte ich etwas tun."
Die Kroatin Katarina Kruhonja am 7.10.1998 in Ilok, nachdem sie erfahren hat, daß ihr und Vesna Terselic wegen ihres "bedeutenden Engagements für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung auf dem Balkan" der Alternative Nobelpreis 1998 veliehen worden ist. Kruhonja ist Direktorin des Zentrums für Frieden, Gewaltfreiheit und Menschenrechte in Osijek. Die Alternativen Nobelpreise wurden 1980 vom deutsch-schwedischen Millionär Jakob von Üxkull gestiftet und seitdem jährlich für "praktische und beispielhafte Antworten auf die entscheidenden Probleme für die Menschheit" vergeben. Die Alternativen Nobelpreise werden am 9.Dezember, einen Tag vor der Verleihung der traditionellen Nobelpreise, in Stockholm überreicht. |
Katarina Kruhonja erhielt bereits 1998 den Alternativen Nobelpreis für ihr "bedeutendes Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung auf dem Balkan" (Petric/EPA / picture alliance)
Sie, die ethnische Kroatin, wollte in die umliegenden Dörfer mit serbischer Bevölkerungsmehrheit fahren und reden. Verbündete finden. Den Krieg noch verhindern. Aber es war zu spät. "Gestern waren wir noch Kollegen, heute sind die Serben und wir Kroaten. Die Stimmung war extrem feindselig."
Katarina fand andere Osijeker, die dem etwas entgegensetzen wollten. Zusammen setzten sie sich in die Wohnungen serbischer Nachbarn, um zu verhindern, dass die kroatische Polizei sie vertreibt. Sie suchten den Kontakt zu serbischen Freunden und Verwandten – über die Frontlinien hinweg. Sie lernten, wie man gewaltfrei miteinander sprechen kann.
"Frieden ist für uns nicht nur die Abwesenheit von Krieg. Frieden ist: Beziehungen aufbauen zwischen Menschen, Gruppen, Staaten auf allen Ebenen. Und das schließt Menschen ein, aber auch Tiere und den gesamten Planeten."
Schweigen und Abgrenzung statt Arbeit am Frieden
Und deshalb hat sie Maša und Lucija eingeladen, von ihrem Projekt zu erzählen. Sie kümmern sich um Vierbeiner. Eine Initiative von Jugendlichen – die entdeckten in einem Osijeker Vorort 300 dahinvegetierende Hunde in einem stinkenden Hundeasyl. Sie begannen, die Tiere zu versorgen und die verwahrlosten Anlagen zu renovieren.
"Es hat klein angefangen. Wir haben Spenden gesammelt, und die schrecklichen Bilder aus dem Tierheim gezeigt. Nach und nach haben sich immer mehr Leute engagiert, die etwas ändern wollten."
Inzwischen ist die Initiative Teil der städtischen Tierschutzorganisation. 60 Freiwillige arbeiten regelmäßig im Tierheim. Seit über 20 Jahren herrscht offiziell Frieden zwischen Serbien und Kroatien. Wirkliche Versöhnung ist aber schwierig, wenn Politiker dafür keine Worte finden. Die serbische Minderheit wird von den gewählten kroatischen Volksvertretern selten auch nur erwähnt.
Im April etwa wurde ein serbischer Lokalpolitiker in Rijeka brutal zusammengeschlagen. Premierminister Andrej Plenković reagierte erst, als der Angegriffene Wochen später seinen Verletzungen erlag. Dann erst verurteilte der Premier die "Gewalt gegen das Mitglied einer nationalen Minderheit".
"Sie helfen lieber ihresgleichen als uns"
Schweigen und Abgrenzung statt aktiver Arbeit am gesellschaftlichen Frieden. Sanel aus Zagreb merkt das auch im Alltag.
"Ich wohne in einer Straße, in der fast nur Kroaten aus Herzegowina wohnen, und die sind wirkliche Hardcore-Patrioten. Wir sind die einzigen bosnischen Muslime dort. Und es ist schon so, dass sie lieber ihresgleichen helfen als uns. Und das ist ein Problem! Ich würde nicht sagen, dass es in Kroatien besonders viel Hass gibt – es ist dieses Gefühl von Zugehörigkeit: Ein Kroate würde eben eher einem anderen Kroaten helfen als jemandem, der einer ethnischen Minderheit angehört. Dabei müssten doch die Vielen den Wenigen helfen!"
Friedensarbeit ist Sanel wichtig. Er findet überhaupt, es müsse mehr gesprochen werden in Kroatien – auch über unangenehme Wahrheiten. Ob gewaltfreie Kommunikation das richtige Mittel ist – da sind Sahel und Mihana nicht sicher. "Daran müssen wir noch arbeiten, das wird lange dauern, denn es ist wirklich kompliziert."
Die beiden können mit dem Tierheimprojekt fürs Erste mehr anfangen als mit Methodenlehre. Gutes tun ist konkreter als gewaltfrei reden.