Stefanie Rohde: "Nicht mit uns!" Unter diesem Motto wollen Muslime aus ganz Deutschland heute in Köln ein Zeichen setzen, mit einem Friedensmarsch gegen jede Form von Terrorismus. Allerdings hatte die DITIB, also einer der größten Islam-Verbände, schon vorab ein etwas anderes "Nicht mit uns!" gesagt: Ihre Anhänger wollen nämlich nicht an der Demonstration teilnehmen, weil die Forderungen nach muslimischen Anti-Terror-Demos Muslime stigmatisierten, so die Argumentation. Die Bundesregierung hat darauf auch reagiert, sie bedauert die Absage von DITIB.
Imad Mustafa ist Politologe und Orientalist an der Uni Erfurt und er hat sich in seinem letzten Buch mit dem politischen Islam beschäftigt und hat vor einiger Zeit einen Aufsatz geschrieben mit der These: Muslime, distanziert euch nicht! Er ist jetzt am Telefon, hallo!
Imad Mustafa: Hallo!
Rohde: Warum sollten sich Muslime nicht distanzieren?
"Muslime werden in diesem Prozess übermäßig auf ihre Religion festgelegt"
Mustafa: Aus verschiedenen Gründen. Es gibt ein paar allgemeinere Gründe, die ich anführen würde, und ein paar, die auch direkt mit dem Aufruf zu tun haben. Zum einen, weil mit Begrifflichkeiten gearbeitet wird, also, Terrorismus, Islamismus, Islam, da wird ein diskursives Feld eröffnet, das Islam als Glaubensgemeinschaft konnotiert mit Gewaltformen. Und das sieht man in der Form eigentlich nur in Verbindung mit der Religion des Islam. Und Muslime werden in diesem Prozess übermäßig auf ihre Religion oder auf Religiosität festgelegt, geradezu konstruiert als Homo Islamicus, wenn man so will, und gleichzeitig geschieht damit auch eine Reduktion auf wenige Charakteristika, die man beschreiben könnte als rückständig, Muslime stellen ein homogenes Ganzes dar, sie seien demokratiefeindlich, gegen Rechtsstaat, Gewalt, Fanatismus et cetera. Das ist ein Feld, das es so in der Form, … man könnte verschieden sagen, das hängt mit dem historisch… man könnte zum Beispiel sagen, ab den 90er-Jahren, mit dem zweiten Golfkrieg hat so ein Diskurs verstärkt an Fahrt aufgenommen, wo der Islam zunehmend auch als Feindbild konstruiert wurde, um …
Rohde: Lassen Sie uns dabei noch mal ganz kurz bleiben! Also, die DITIB argumentiert ja relativ ähnlich. Die sagt ja, dass Muslime eben mit dieser Forderung, sich zu distanzieren, stigmatisiert würden. Also, das sehen Sie schon ähnlich, da stimmen Sie der DITIB zu?
Mustafa: Im Großen und Ganzen kann man dieser Argumentation zustimmen, ja, denn…
Rohde: Aber ist das nicht ein ganz schmaler Grat, also dass man dann direkt bei einer indirekten Sympathiebekundung ist zu Islamismus? Läuft man damit nicht Gefahr?
"Monokausale Erklärungen für komplexe Sachverhalte sind kontraproduktiv"
Mustafa: Die Sache ist, dass Muslime als Muslime dazu aufgerufen werden, und nicht Muslime … oder deutsche Muslime oder Menschen, die auch muslimisch sind und in Deutschland leben. Das ist die eine Sache. Also, hier steht wirklich die Kategorie Islam/Muslim-Sein im Vordergrund. Und das Zweite ist, dass die Forderung von einer Mehrheitsgesellschaft zumeist an eine Minderheit herangetragen wird. Das heißt, wir haben es hier auch mit einer asymmetrischen Machtkonstellation zu tun, die gleichzeitig impliziert: Ja gut, wenn ihr euch nicht distanziert oder wenn ihr nicht zu solchen Märschen oder Friedenskundgebungen aufruft, dann seid ihr gleichzeitig verdächtig. Wenn man sich nicht daran beteiligt, impliziert das unausgesprochen: Na gut, dann sympathisierst du irgendwie mit Gewalt oder Islamismus. Was ja eigentlich – gehe ich jetzt mal aus – fast nie der Fall ist.
Rohde: Aber was ist denn so problematisch daran, Muslime als Muslime anzusprechen? Also, Deutsche beispielsweise müssen sich ja auch immer wieder als Deutsche dafür entschuldigen, dass es Nazi-Verbrechen gab, die ihre Vorfahren vielleicht begangen haben.
Mustafa: Das Problem daran ist, dass die Konzentration auf den Islam bei Menschen, die auch muslimisch sind, das Problem ist. Also, jemand, der sagt, ich bin Muslim, ist ja nicht nur das. Sondern er hat ja verschiedene Rollen in verschiedenen Kontexten. Und so wird aber suggeriert, dass Muslime und ihr Handeln nur aus der Religion entspringt oder motiviert ist. Aber das ist ja nicht der Fall. Wir leben in komplexen Gesellschaften, wo es ganz viele verschiedene Motivationen und strukturelle Merkmale gibt, wieso ein Mensch so handelt, wie er handelt. Und das ist ganz wichtig. Monokausale Erklärungen für so komplexe Sachverhalte wie Gewalt oder Terrorismus sind eigentlich immer vereinfachend und verkürzend und eigentlich auch kontraproduktiv in so einem Fall.
"Warum gilt die Unschuldvermutung nicht auch für Muslime?"
Rohde: Allerdings würden Kritiker da ja sagen, dass dieser Islamophobie-Vorwurf ja oft auch als Ausrede, als Argument dient, um sich selber nicht positionieren zu müssen, um sich nicht rechtfertigen zu müssen. Können Sie das nicht nachvollziehen?
Mustafa: Nicht wirklich. Weil, aus meiner Perspektive ist das Problem ja umgekehrt, dass die wahren Probleme, denen muslimisches Leben in Deutschland gegenübersteht, ist tatsächlich Rassismus oder Diskriminierung, sei es bei der Schule, sei es bei der Wohnungssuche und so weiter und so fort. Und ich glaube, das sind die Probleme, die auch viel näher dran sind an der Lebensrealität ganz vieler muslimischer Menschen in Deutschland, als jetzt zu sagen: Gut, ich distanziere mich jetzt von Terror in Syrien oder im Irak, mittlerweile auch in Europa verstärkt. Ich glaube, das ist auch unausgesprochen einfach so. Ich gehe einfach davon aus, von der Unschuldsvermutung, die wir auch in dem Rechtsstaat haben. Also, man ist so lange unschuldig, bis die Schuld bewiesen ist. Und warum gilt das nicht für Muslime auch? Also, warum fordert man von ihnen explizit, ihr müsst euch von dieser Gewalt distanzieren oder ihr müsst irgendwie Stellung dazu nehmen? Warum geht man nicht davon aus, dass Muslime ganz natürlicherweise so etwas ablehnen und sich gar nicht erst dazu äußern müssen?
"Muslime hier in Deutschland stehen nun mal im Fokus"
Rohde: Aber wenn man Ihrer Argumentation folgt, was haben Islam-Verbände denn dann nicht verstanden? Weil die sich ja größtenteils sehr früh vom Terrorismus schon distanziert haben und damit auch – dann jetzt Ihrer Argumentation folgend – Muslime, dieses Muslim-Sein als Kategorie angenommen haben?
Mustafa: Ja, das müssten Sie sie fragen, ganz ehrlich. Also, ich sehe das kritisch, muss ich dazu sagen. Die Islam-Verbände in Deutschland leisten wichtige Arbeit, das ist ganz klar, das muss man auch so festhalten. Aber nicht alles, was sie tun und sagen, muss Zustimmung finden. Es gibt wahrscheinlich verschiedene Gründe, wieso sie das tun, das wäre jetzt Spekulation von meiner Seite. Ich stecke da nicht drin. Vielleicht ist das auch wirklich vereinfacht dieser Ansatz zu sagen: Ja gut, Muslime hier in Deutschland stehen nun mal im Fokus, gesellschaftlich, politisch und so weiter zurzeit, und dann müssen wir halt sozusagen aus einem Goodwill heraus ein Zeichen setzen. Ich halte es für kontraproduktiv.
Rohde: Aber wenn wir jetzt mal in die Zukunft blicken, was sollte man denn anders machen? Also, Sie haben jetzt ja gerade analysiert, wie mit bestimmten Begrifflichkeiten dieses Muslim-Sein relativ simpel konstruiert wird, obwohl es ja eigentlich sehr viel komplexer ist. Welche Handlungsoptionen hat man denn da? Also, außer sich nicht dazu zu verhalten?
Mustafa: Sie meinen jetzt hinsichtlich Terrorismus und so weiter?
"Wie man es auch macht, ist es falsch"
Rohde: Genau, diesem Vorwurf, ja.
Mustafa: Ja, es ist schwierig. Ich meine, ich glaube, wie man es auch macht in dieser aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung, wie man es auch macht, ist es falsch. Verhält man sich nicht dazu, dann gerät man in den Verdacht des Sympathisantentums. Verhält man sich dazu so, wie es geplant ist mit der Demo, dann, finde ich, geht man einfach diesem Diskurs auf den Leim oder geht diesen Leuten entgegen und sagt, na gut, wir machen das jetzt halt.
Ich glaube, man sollte sich viel mehr einfach mal das muslimische Leben in Deutschland als Ganzes anschauen und darauf mal gucken, dass es hier … die überwiegende Mehrzahl der Muslime in Deutschland lebt friedlich, lebt in Eintracht mit den Nachbarn, mit der Gesellschaft, in der Gesellschaft. Und ich glaube, das ist das, was zählt, und ich glaube, darauf sollte man auch viel mehr den Fokus legen und nicht immer nur aus einer Problemzentrierung heraus über muslimisches Leben in Deutschland sprechen.
Rohde: So die Einschätzung von Imad Mustafa, Politologe und Orientalist an der Uni Erfurt. Danke für das Gespräch!
Mustafa: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.