Christine Heuer: Wer von der Ohnmacht der Diplomatie spricht, hat möglicherweise eine Allmachtsvorstellung, die nicht realistisch sein kann. Das ist ein Teil des Beitrags, den der deutsche Außenminister zur Diskussion über Konsequenzen der Weltgemeinschaft auf das Geschehen in Syrien beiträgt. Guido Westerwelle findet Entschlossenheit gut, mahnt aber auch zur Besonnenheit und steht damit in Berlin keineswegs allein da. Parteiübergreifend warnen deutsche Politiker vor einem militärischen Eingreifen in Syrien. Die Einzelheiten im
Interview mit Klaus Remme (MP3-Audio)
Beitrag von Klaus Remme.
Heuer: Ruprecht Polenz noch einmal im Beitrag von Klaus Remme. Am Telefon begrüße ich Walther Stützle. Er war Chef des Friedensforschungsinstitut SIPRI, er war auch Verteidigungsstaatssekretär unter Rudolf Scharping, jetzt ist er freier Publizist. Guten Tag, Herr Stützle!
Walther Stützle: Guten Tag, Frau Heuer!
Heuer: Ist ein militärischer Einsatz in Syrien jetzt zwingend und ist er richtig?
Stützle: Er ist weder zwingend noch wäre er richtig noch wäre er gerechtfertigt. Denn es gibt keine eindeutigen Beweise dafür, was man gegenwärtig dem Assad-Regime anlastet. Wir haben ja die merkwürdige Situation, dass die Geheimdienste der Vereinigten Staaten und anderer Nationen offenbar in der Lage sind, Freunde auszuspionieren, sogar bei den Vereinten Nationen, aber nicht in der Lage sind, der Öffentlichkeit und vor allen Dingen auch den Regierungen ein klares Nachrichtenbild aus Syrien zu liefern.
Heuer: Nun untersuchen ja die UN-Inspekteure den Ort des Geschehens, und vielleicht liefern ja Großbritannien oder die USA die Beweise dafür, dass Assad tatsächlich einen Giftgasangriff auf seine eigene Bevölkerung gefahren hat. Was dann?
Stützle: Aber Sie sagen ja mit Recht "vielleicht". Ich denke, wir müssen auf jeden Fall das Ergebnis der Arbeit der Inspekteure abwarten, und dann erst kann der Mechanismus in Gang gesetzt werden, der dafür vom internationalen Recht, vom Völkerrecht vorgesehen ist, nämlich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen müsste sich dann über das vorhandene Beweismaterial beugen und müsste zu einem Urteil gelangen und dieses Urteil müsste lauten: Es handelt sich um eine Gefährdung des Weltfriedens und diese Gefährdung rechtfertige den militärischen Eingriff zur Wiederherstellung eines friedlichen Zustandes respektive zur Beseitigung der Gefahr. Davon sind wir weit entfernt.
Heuer: Dergleichen ist doch eher nicht zu haben vom Weltsicherheitsrat, solange Russland dort mit einem Veto solche Entscheidungen systematisch blockiert. Es ist jetzt die Rede von der Blaupause Kosovo für einen Militäreinsatz ohne UN-Mandat. Zwingt Russland die Staatengemeinschaft geradezu zu solchen Schritten?
Stützle: Ich verstehe sehr gut den Fokus auf Russland, aber dabei bleibt ja immer unerwähnt, dass Russland im Fall Libyen betrogen worden ist. Im Fall Libyen 2011 hat man die Zustimmung Russlands zum Eingreifen damit gewonnen, dass man zugesichert hat, das Mandat rechtfertige keine militärische Intervention. Kaum war das Mandat verabschiedet mit der Zustimmung Russlands, haben die Franzosen und die Engländer, später dann mithilfe der NATO, eine militärische Intervention vorgenommen. Und vor diesem Hintergrund muss man sehr viel Verständnis für die russische Position haben, wenn man auch auf der anderen Seite diplomatisch nichts unversucht lassen darf, Russland zu einer Haltung im Sicherheitsrat jetzt in Sachen Syrien zu gewinnen, die eine gemeinsame Position der fünf Vetomächte ermöglicht.
Heuer: Aber Herr Stützle, die Diplomatie ist ja bisher nicht sehr weit gekommen, und wenn die Welt weiterhin nichts unternimmt, dann geht das Töten in Syrien weiter und jeder Despot in der ganzen Welt weiß dann, dass auch er Giftgas ungestraft einsetzen kann.
Stützle: Das ist eine Schlussfolgerung, die ich verstehe, die ich aber nicht teile, denn wir haben ja nun aus der Geschichte der Interventionen gelernt, dass die Kosten, und zwar sowohl die menschlichen Kosten wie die finanziellen Kosten von Intervention am Ende immer viel höher waren als das, was man politisch erreichen wollte. Das jüngste Beispiel ist Afghanistan, wo wir die ganz große Negativbilanz bald ziehen werden und sehen, dass nichts von dem politisch erreicht worden ist, was man sich vorgenommen hat. Das ist aber nicht das einzige Beispiel, das ist nur das jüngste Beispiel. Wir haben es im Irak gesehen. Es ist mehr zerstört worden, als aufgebaut worden ist. Und es ist eine eindeutige Lehre aus der Geschichte der Intervention: Militärische Interventionen, die nicht genau wissen, was sie für ein politisches Ziel verfolgen, und die nicht sicher sein können, dieses Ziel dann auch mit ihren militärischen Mitteln zu erreichen, sollten besser unterbleiben.
Heuer: Welche militärischen Mittel gäbe es denn theoretisch?
Stützle: Die Vereinigten Staaten verfügen über alle militärischen Fähigkeiten, die man benötigte, um – rein militärisch argumentiert, wovon ich ja abrate –
Heuer: Das haben wir verstanden.
Stützle: … um rein militärisch einen militärischen Zerstörungserfolg zu erzielen. Sie sind mit ihrer sechsten Flotte im Mittelmeer präsent, sie verfügen über weitreichende Waffen. Interessanterweise verfügen sie ja auch über sehr moderne Aufklärungsmittel, die aber offensichtlich versagen, wenn es um das Lagebild am Boden geht. Und ich wundere mich über internationale Organisationen, die jetzt schon genau wissen, wer angeblich diese Chemiewaffen eingesetzt hat. Ich wundere mich übrigens auch, und da knüpfe ich an an in den Nachrichten vor dieser Sendung gesendete Erklärungen des UNO-Generalsekretärs über den UNO-Generalsekretär, der sich in Südkorea aufhält. Wir haben Vorbilder in der UNO-Geschichte, wo UNO-Generalsekretäre wie Dag Hammarskjöld zum Krisenherd selber gereist sind, um sich von der Lage zu überzeugen. Warum fährt der UNO-Generalsekretär in einer solchen bedrohten Friedenssituation, in einer so potenziellen Kriegssituation nicht nach Damaskus und stellt den syrischen Staatspräsidenten und konfrontiert ihn mit der Situation und lässt sich aus erster Hand informieren?
Heuer: Herr Stützle, diese Frage können wir jetzt nicht beantworten. Ich stelle Ihnen noch eine andere, nach Ihrer Prognose. Glauben Sie, es wird zu einem Militäreinsatz jetzt kommen in Syrien?
Stützle: Ich hoffe, dass die Regierungen insbesondere in Washington und in London, die ja offensichtlich besonders geneigt sind, aber liest man leider auch in Paris, militärische Intervention ins Kalkül zu ziehen. Ich hoffe, dass sie einen kühlen Verstand bewahren und nicht zum Mittel der Intervention greifen, bevor sie nicht ein eindeutiges Lagebild haben. Und wenn sie ein eindeutiges Lagebild haben, dann erst beurteilen, ob nicht die politischen und diplomatischen Bemühungen sehr viel mehr Aussicht auf Erfolg hat. Ich teile das von Ihnen gesendete Urteil des CDU-Politikers Ruprecht Polenz, den Sie heute Morgen schon im Programm hatten und den Sie vorhin eingespielt haben.
Heuer: Ja, gleich zweimal. Man kann ihn gar nicht oft genug hören. Herr Stützle, zum Schluss: Ein Treffen sollte dieser Tage stattfinden zwischen den Präsidenten Obama und Putin, das ist bekanntlich abgesagt worden aus Washington wegen der Affäre Edward Snowden. Sollte Obama einlenken und sich doch mit Putin treffen, um die Lage in Syrien zu besprechen?
Stützle: Die Absage war ein grober Fehler des amerikanischen Präsidenten. Ein erstaunlicher Fehler für einen so rational denkenden Menschen und für einen Friedensnobelpreisträger, und er sollte diesen Fehler dringend korrigieren und sich selbstverständlich mit Putin treffen. Man trifft sich mit dem Kollegen immer dann am wichtigsten, wenn man unterschiedlicher Meinung ist, um diese Punkte auszusortieren.
Heuer: Der Verteidigungsexperte Walther Stützle im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Stützle, haben Sie vielen Dank, und einen schönen Tag!
Stützle: Danke Ihnen, Frau Heuer, wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Heuer: Ruprecht Polenz noch einmal im Beitrag von Klaus Remme. Am Telefon begrüße ich Walther Stützle. Er war Chef des Friedensforschungsinstitut SIPRI, er war auch Verteidigungsstaatssekretär unter Rudolf Scharping, jetzt ist er freier Publizist. Guten Tag, Herr Stützle!
Walther Stützle: Guten Tag, Frau Heuer!
Heuer: Ist ein militärischer Einsatz in Syrien jetzt zwingend und ist er richtig?
Stützle: Er ist weder zwingend noch wäre er richtig noch wäre er gerechtfertigt. Denn es gibt keine eindeutigen Beweise dafür, was man gegenwärtig dem Assad-Regime anlastet. Wir haben ja die merkwürdige Situation, dass die Geheimdienste der Vereinigten Staaten und anderer Nationen offenbar in der Lage sind, Freunde auszuspionieren, sogar bei den Vereinten Nationen, aber nicht in der Lage sind, der Öffentlichkeit und vor allen Dingen auch den Regierungen ein klares Nachrichtenbild aus Syrien zu liefern.
Heuer: Nun untersuchen ja die UN-Inspekteure den Ort des Geschehens, und vielleicht liefern ja Großbritannien oder die USA die Beweise dafür, dass Assad tatsächlich einen Giftgasangriff auf seine eigene Bevölkerung gefahren hat. Was dann?
Stützle: Aber Sie sagen ja mit Recht "vielleicht". Ich denke, wir müssen auf jeden Fall das Ergebnis der Arbeit der Inspekteure abwarten, und dann erst kann der Mechanismus in Gang gesetzt werden, der dafür vom internationalen Recht, vom Völkerrecht vorgesehen ist, nämlich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen müsste sich dann über das vorhandene Beweismaterial beugen und müsste zu einem Urteil gelangen und dieses Urteil müsste lauten: Es handelt sich um eine Gefährdung des Weltfriedens und diese Gefährdung rechtfertige den militärischen Eingriff zur Wiederherstellung eines friedlichen Zustandes respektive zur Beseitigung der Gefahr. Davon sind wir weit entfernt.
Heuer: Dergleichen ist doch eher nicht zu haben vom Weltsicherheitsrat, solange Russland dort mit einem Veto solche Entscheidungen systematisch blockiert. Es ist jetzt die Rede von der Blaupause Kosovo für einen Militäreinsatz ohne UN-Mandat. Zwingt Russland die Staatengemeinschaft geradezu zu solchen Schritten?
Stützle: Ich verstehe sehr gut den Fokus auf Russland, aber dabei bleibt ja immer unerwähnt, dass Russland im Fall Libyen betrogen worden ist. Im Fall Libyen 2011 hat man die Zustimmung Russlands zum Eingreifen damit gewonnen, dass man zugesichert hat, das Mandat rechtfertige keine militärische Intervention. Kaum war das Mandat verabschiedet mit der Zustimmung Russlands, haben die Franzosen und die Engländer, später dann mithilfe der NATO, eine militärische Intervention vorgenommen. Und vor diesem Hintergrund muss man sehr viel Verständnis für die russische Position haben, wenn man auch auf der anderen Seite diplomatisch nichts unversucht lassen darf, Russland zu einer Haltung im Sicherheitsrat jetzt in Sachen Syrien zu gewinnen, die eine gemeinsame Position der fünf Vetomächte ermöglicht.
Heuer: Aber Herr Stützle, die Diplomatie ist ja bisher nicht sehr weit gekommen, und wenn die Welt weiterhin nichts unternimmt, dann geht das Töten in Syrien weiter und jeder Despot in der ganzen Welt weiß dann, dass auch er Giftgas ungestraft einsetzen kann.
Stützle: Das ist eine Schlussfolgerung, die ich verstehe, die ich aber nicht teile, denn wir haben ja nun aus der Geschichte der Interventionen gelernt, dass die Kosten, und zwar sowohl die menschlichen Kosten wie die finanziellen Kosten von Intervention am Ende immer viel höher waren als das, was man politisch erreichen wollte. Das jüngste Beispiel ist Afghanistan, wo wir die ganz große Negativbilanz bald ziehen werden und sehen, dass nichts von dem politisch erreicht worden ist, was man sich vorgenommen hat. Das ist aber nicht das einzige Beispiel, das ist nur das jüngste Beispiel. Wir haben es im Irak gesehen. Es ist mehr zerstört worden, als aufgebaut worden ist. Und es ist eine eindeutige Lehre aus der Geschichte der Intervention: Militärische Interventionen, die nicht genau wissen, was sie für ein politisches Ziel verfolgen, und die nicht sicher sein können, dieses Ziel dann auch mit ihren militärischen Mitteln zu erreichen, sollten besser unterbleiben.
Heuer: Welche militärischen Mittel gäbe es denn theoretisch?
Stützle: Die Vereinigten Staaten verfügen über alle militärischen Fähigkeiten, die man benötigte, um – rein militärisch argumentiert, wovon ich ja abrate –
Heuer: Das haben wir verstanden.
Stützle: … um rein militärisch einen militärischen Zerstörungserfolg zu erzielen. Sie sind mit ihrer sechsten Flotte im Mittelmeer präsent, sie verfügen über weitreichende Waffen. Interessanterweise verfügen sie ja auch über sehr moderne Aufklärungsmittel, die aber offensichtlich versagen, wenn es um das Lagebild am Boden geht. Und ich wundere mich über internationale Organisationen, die jetzt schon genau wissen, wer angeblich diese Chemiewaffen eingesetzt hat. Ich wundere mich übrigens auch, und da knüpfe ich an an in den Nachrichten vor dieser Sendung gesendete Erklärungen des UNO-Generalsekretärs über den UNO-Generalsekretär, der sich in Südkorea aufhält. Wir haben Vorbilder in der UNO-Geschichte, wo UNO-Generalsekretäre wie Dag Hammarskjöld zum Krisenherd selber gereist sind, um sich von der Lage zu überzeugen. Warum fährt der UNO-Generalsekretär in einer solchen bedrohten Friedenssituation, in einer so potenziellen Kriegssituation nicht nach Damaskus und stellt den syrischen Staatspräsidenten und konfrontiert ihn mit der Situation und lässt sich aus erster Hand informieren?
Heuer: Herr Stützle, diese Frage können wir jetzt nicht beantworten. Ich stelle Ihnen noch eine andere, nach Ihrer Prognose. Glauben Sie, es wird zu einem Militäreinsatz jetzt kommen in Syrien?
Stützle: Ich hoffe, dass die Regierungen insbesondere in Washington und in London, die ja offensichtlich besonders geneigt sind, aber liest man leider auch in Paris, militärische Intervention ins Kalkül zu ziehen. Ich hoffe, dass sie einen kühlen Verstand bewahren und nicht zum Mittel der Intervention greifen, bevor sie nicht ein eindeutiges Lagebild haben. Und wenn sie ein eindeutiges Lagebild haben, dann erst beurteilen, ob nicht die politischen und diplomatischen Bemühungen sehr viel mehr Aussicht auf Erfolg hat. Ich teile das von Ihnen gesendete Urteil des CDU-Politikers Ruprecht Polenz, den Sie heute Morgen schon im Programm hatten und den Sie vorhin eingespielt haben.
Heuer: Ja, gleich zweimal. Man kann ihn gar nicht oft genug hören. Herr Stützle, zum Schluss: Ein Treffen sollte dieser Tage stattfinden zwischen den Präsidenten Obama und Putin, das ist bekanntlich abgesagt worden aus Washington wegen der Affäre Edward Snowden. Sollte Obama einlenken und sich doch mit Putin treffen, um die Lage in Syrien zu besprechen?
Stützle: Die Absage war ein grober Fehler des amerikanischen Präsidenten. Ein erstaunlicher Fehler für einen so rational denkenden Menschen und für einen Friedensnobelpreisträger, und er sollte diesen Fehler dringend korrigieren und sich selbstverständlich mit Putin treffen. Man trifft sich mit dem Kollegen immer dann am wichtigsten, wenn man unterschiedlicher Meinung ist, um diese Punkte auszusortieren.
Heuer: Der Verteidigungsexperte Walther Stützle im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Stützle, haben Sie vielen Dank, und einen schönen Tag!
Stützle: Danke Ihnen, Frau Heuer, wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.