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Friedenskandidaten

Charakterstärke und Beharrlichkeit sind nötig, wenn Staatsmänner bei der Verwirklichung ihrer Visionen auf Widerstände treffen. Zum Beispiel Gerhard Schröder und Joschka Fischer: Mit ihrem entschiedenen Nein zum Irak-Krieg zeigten sie einen politischen Heldenmut, wie er nur wirklichen Führern gegeben ist. Während das ganze deutsche Volk nach Krieg lechzte, während in allen Großstädten unentwegt pro-amerikanische Demonstrationen stattfanden und aus allen Fenstern Fahnen mit der Aufschrift "Guerra" wehten, traten diese beiden, Schröder und Fischer, entschieden für den Frieden ein, selbst auf die Gefahr hin, mit ihrer unpopulären Position die nächsten Wahlen zu verlieren. Das nennt man Haltung. Und wie der VS-Vorsitzende Fred Breinersdorfer sagt: "Frieden erfordert eine solche Haltung."

    VS bedeutet nicht Verfassungsschutz, sondern Verband der Schriftsteller, und Fred Breinersdorfer ist ein Mann, der auch politisch denken kann. So schreibt er seine müden Fernsehkrimis gewöhnlich in einem Geist, der vor 25 Jahren an den Fachhochschulen für Sozialarbeit zuhause war, und mit Günter Grass verbindet ihn nicht nur eine gelegentliche Betätigung als Maler, sondern auch eine unverbrüchliche Treue zur Sozialdemokratie. Deshalb gehört er selbstverständlich zu jenen Unterschriftstellern, die im Februar eine seltsame Regierungserklärung abgaben, welche man heute noch auf der Website der SPD nachlesen kann: "Wir unterstützen den Kanzler und seinen Außenminister", heißt es darin, denn der Kanzler habe es als erster europäischer Regierungschef auf sich genommen, vor diesem Krieg zu warnen.

    Da sieht man wieder einmal, dass es in einer Demokratie doch viel besser flutscht als in einer Diktatur: Während Stalin den Dichtern noch mit Tod und Terror drohen musste, um solche Ergebenheitsadressen zu bekommen, wedeln deutsche Künstler und Intellektuelle schon mit dem Schwanz, wenn der Kanzler nur die Hand nach ihnen ausstreckt. Breinersdorfer beherrscht sogar noch eine Steigerungsform von Schwanzwedeln, nämlich das Preiswedeln. Im März gab er bekannt, er habe den Kanzler und seinen Außenminister für den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels vorgeschlagen – eine so irre Idee, dass Peter Handke auf gleicher Irrsinnshöhe replizierte, mit diesem Vorschlag sei das Wort Schriftsteller "außer Gebrauch zu setzten" und er, Handke, werde ab jetzt Vagabund, Straßenkehrer, Rentner oder Maikäfer.

    Da wäre es für Breinersdorfer noch Zeit gewesen zu erklären, er habe einen Witz gemacht, und alle hätten laut gelacht. Doch der VS-Vorsitzende ist keineswegs ein Spaßvogel, wie jeder, der ihn auch nur flüchtig kennen lernt, feststellen muss. Zwar führt sein öffentliches Preiswedeln mit Sicherheit dazu, dass der Stiftungsrat des Börsenvereins die Kandidaten Schröder und Fischer außer Gebrauch setzt, aber im VS regt sich jetzt Widerstand dagegen, dass der Vorstand den Verband zur Lachnummer des deutschen Feuilletons degradiert. Der nordrhein-westfälische Landesverband hat jetzt jedenfalls verlangt, die drollige Nominierung rückgängig zu machen – schon wegen der Missachtung demokratischer Strukturen, denn Breinersdorfer habe seinen Vorschlag nicht der Bundesdelegiertenkonferenz vorgelegt.

    Wahrhaftig, in Sachen Demokratie ist der VS von jeher sensibel. Deswegen hat er die polnische Solidarnosc-Bewegung einst als "katholische Konterrevolution" bezeichnet und ihre Niederschlagung und Verfolgung durch das kommunistische Militärregime verständnisvoll begrüßt. Bloß vom Friedenspreis des deutschen Buchhandels für Jaruzelski hatte man damals noch abgesehen.

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