Krieg in der Ukraine
Was auf der Schweizer Konferenz für den Frieden erreicht wurde

Ein Ziel erreichte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit der sogenannten Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock: breite internationale Unterstützung. Doch das wird höchstens als kleiner Erfolg gesehen – mit ungewisser Fortsetzung.

17.06.2024
    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, während der Abschlusspressekonferenz des Ukraine-Friedensgipfels in der Schweiz, Sonntag am 16. Juni 2024.
    Zwei Tage lang trafen sich Staats- und Regierungschefs zu einer Konferenz in der Schweiz, um Chancen für Friedensverhandlungen zur Ukraine auszuloten. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Laurent Cipriani)
    Am 24. Februar 2022 überfielen russische Truppen die Ukraine. Seitdem herrscht Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Aktuell stehen mehrere Gebiete im Südosten der Ukraine unter russischer Besatzung und Putins Armee greift weiterhin Städte und die Energieinfrastruktur an. Der Krieg ist zu einem Stellungs- und Abnutzungskrieg geworden, dessen Frontverlauf sich seit 2023 kaum verändert hat.
    Obwohl ein Kriegsende nicht in Sicht ist, wird bereits über den Wiederaufbau der Ukraine gesprochen. Das als Friedenskonferenz bezeichnete Treffen auf dem Bürgenstock in der Schweiz am 15. und 16. Juni 2024 sollte ein erster Schritt sein auf dem Weg zu einem dauerhaften Frieden. 100 internationale Delegationen haben an den Gesprächen teilgenommen. Russland war aber nicht dabei. Dennoch sind der Konferenz kleine Erfolge gelungen. Wirkliche Friedensverhandlungen gelten allerdings bislang als nicht absehbar.

    Inhalt

    Welche Ziele verfolgt die Ukraine mit der Friedenskonferenz?

    In der Schweiz ging es nicht um ein Friedensabkommen. Das Ziel war viel bescheidener. Die Ukraine wollte so viele Länder wie möglich für sich gewinnen. Vor allem Länder des sogenannten globalen Südens, die bisher offiziell neutral sind. Diese Länder sollten den internationalen Druck auf Russland erhöhen – und so die Grundlage schaffen für eine spätere Konferenz, an der dann auch Russland teilnehmen soll.

    Wir haben nie nur auf Waffengewalt gesetzt, sondern immer auch auf Diplomatie. Aber Wladimir Putin hat alle diplomatischen Lösungen verworfen, indem er einen groß angelegten Krieg begonnen hat. Wir brauchen die Einheit der Welt, um uns dem entgegenzustellen.

    Wolodymyr Selenskyj am 06.06.2024
    Ursprünglich sollte Selenskyjs Zehn-Punkte-Plan die Grundlage der Friedensgespräche bilden. Die Kernforderungen: Die russische Armee soll sich vollständig aus der Ukraine zurückziehen, auch von der Halbinsel Krim. Russland soll Reparationen an die Ukraine zahlen und für Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden.
    Da die Ukraine nur von ihren engsten Verbündeten in diesen Forderungen unterstützt wird, erklärten die Initiatoren der Konferenz, sich auf die weniger umstrittenen Punkte der ukrainischen Friedensformel konzentrieren zu wollen.
    Dazu gehörte die nukleare Sicherheit vor dem Hintergrund, dass Russland das größte Atomkraftwerk Europas in Saporischschja nach wie vor in seiner Gewalt hat. Zudem wurde über den Austausch von Kriegsgefangenen und die Rückkehr illegal deportierter Kinder gesprochen. Ein drittes Thema war die Sicherung der Welternährung durch ukrainische Getreideexporte. 

    Warum fand die Konferenz in der Schweiz statt?

    Die Schweiz hat der Ukraine gegenüber eine Art wohlwollende Neutralität eingenommen und organisierte die Konferenz, weil sie von der Ukraine darum gebeten wurde. 
    Die Schweiz trägt die internationalen Sanktionen gegen Russland mit, leistet humanitäre Hilfe, nimmt Schutzsuchende auf und will den Wiederaufbau der Ukraine mit fünf Milliarden Franken (rund 5,1 Milliarden Euro) vorantreiben. Aber sie bietet keine militärische Unterstützung in Form von Waffen oder Munition.

    Wer nahm an den Friedensgesprächen teil?

    Eingeladen wurden mehr als 160 Delegationen, darunter Staats- und Regierungschefs, internationale Organisationen wie die UNO sowie religiöse Vertreter. Insgesamt haben Delegationen aus 100 Ländern und Organisationen teilgenommen.
    Russland war nicht eingeladen worden. Selenskyj begründete diese Entscheidung mit der Unzuverlässigkeit bei vergangenen Verhandlungen.
    Bereits im Frühjahr 2022 hatten Friedensgespräche stattgefunden, doch sie scheiterten vor allem an Russland, wie Politikwissenschaftlerin Sabine Fischer von der Stiftung Wissenschaft und Politik betont. „Russland hat diese Verhandlungen nie ernst gemeint, von Beginn an nicht. Und es hat sie am Ende scheitern lassen, weil es eben von seinen Maximalforderungen zu keinem Moment abgerückt ist.“
    China war ebenfalls nicht bei der Schweizer Konferenz vertreten. Viele westliche Politiker hatten im Vorfeld die Hoffnung geäußert, Peking werde Druck auf seinen Verbündeten Russland ausüben, den Krieg zu beenden. Eine Teilnahme an der Konferenz wäre dafür ein Hinweis gewesen.

    Wie steht Russland zur Friedenskonferenz?

    Die Friedenskonferenz sorgte im Vorfeld in Russland für Unruhe. Das kremlnahe Fernsehen berichtete ausführlich über die Absagen eingeladener Staatschefs, ein Kreml-Propagandist bezeichnete die Veranstaltung als „Ball der Satanisten“. Russlands Präsident Putin betonte gegenüber Journalisten, dass er, selbst wenn er eingeladen worden wäre, nicht teilgenommen hätte.
    Zugleich versuchte Russland, andere Länder mit falschen Behauptungen von der Teilnahme an der Konferenz abzubringen. Russland propagierte, Selenskyjs Amtszeit sei abgelaufen und er sei daher nicht mehr rechtmäßiger Präsident der Ukraine. Darüber hinaus behauptete Putin, Russland und die Ukraine hätten sich schon im Frühling 2022 auf ein Friedensabkommen geeinigt. In der Öffentlichkeit hält sich hartnäckig die Behauptung, dass Russland zu einem Waffenstillstand bereit gewesen sei und die Ukraine sich geweigert habe. 
    Kurz vor Beginn der Konferenz nannte Putin seine Bedingungen für Friedensverhandlungen: Er forderte den völligen Abzug ukrainischer Truppen aus den Gebieten Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja. Diese beansprucht Moskau - ebenso wie die bereits seit 2014 annektierte Krim - für sich, obwohl die russischen Truppen sie bislang nur zum Teil kontrollieren. Im Westen stießen Putins Forderungen weitgehend als „Diktatfrieden“ auf Ablehnung.
    Auch nach der Konferenz zeigte sich, dass sie in Russland für Erregung sorgte. Aus dem Kreml hieß es: Russland werde sich mit den Staaten auseinandersetzen, die mit dem Land zusammenarbeiten, aber trotzdem die Abschlusserklärung in der Schweiz unterschrieben haben. Ob das eine Drohung gegen Staaten wie Ungarn, Türkei oder Serbien ist, blieb offen.

    Was sind die Ergebnisse der Konferenz?

    Wie im Vorfeld angekündigt, wurde nicht über ein Ende des Krieges verhandelt. In der Abschlusserklärung wird Russland zudem nicht ausdrücklich für seinen Angriff verurteilt. Dennoch verweigerten einige Staaten ihre Unterschrift. Unter den Ländern, die nicht unterzeichneten, sind einige der wichtigsten Wirtschaftsmächte der Welt: Brasilien, Mexiko, Saudi-Arabien, Südafrika, Indien und Indonesien. Diese Länder pflegen weiterhin freundschaftliche Beziehungen zu Russland. Außerdem scherten Armenien, Bahrain, Thailand, Libyen und die Vereinigten Arabischen Emirate, Kolumbien und Vatikan aus.
    Laut Abschlusserklärung muss jede Nutzung von Kernenergie und Atomanlagen sicher, geschützt, überwacht und umweltfreundlich sein. Ukrainische Atomanlagen müssten unter voller Kontrolle der Ukraine und im Einklang mit den Grundsätzen der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA und unter ihrer Aufsicht sicher und geschützt betrieben werden.
    Ferner dürfe Ernährungssicherheit in keiner Weise als Waffe eingesetzt werden. Deshalb müsse es eine freie, sichere Handelsschifffahrt geben sowie einen Zugang zu Seehäfen im Schwarzen und Asowschen Meer.
    Zudem müssten alle Kriegsgefangenen durch Austausch freigelassen werden. Alle verschleppten und unrechtmäßig vertriebenen ukrainischen Kinder und alle anderen ukrainischen Zivilisten, die unrechtmäßig festgehalten würden, müssten in die Ukraine zurückgebracht werden.

    Nach dem Gipfel weiterarbeiten

    Der Text bekräftigt auch "die Prinzipien der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität aller Staaten, einschließlich der Ukraine".
    Man habe sich darauf geeinigt, "in Sondergruppen nach dem Gipfel an konkreten Ideen, Vorschlägen und Entwicklungen zu arbeiten, die die Sicherheit in verschiedenen Aspekten wiederherstellen können", sagte Selenskyj am Sonntag (16.06.2024) nach Abschluss des Gipfels. Sobald "Aktionspläne für den Frieden" fertig seien, sei der Weg zu einem zweiten Gipfel offen.
    Zu einer Nachfolgekonferenz findet sich in der Erklärung jedoch keine klare Aussage. Die Unterzeichner sprechen sich aber dafür aus, Russland an künftigen Beratungen zu beteiligen. „Wir glauben, dass die Einbeziehung und der Dialog zwischen allen Parteien notwendig ist, um Frieden zu schaffen“, heißt es in dem Dokument.
    Als Bedingung für die Aufnahme von Friedensverhandlungen forderte Selenskyj Russland auf, sich von den rechtmäßigen Territorien der Ukraine zurückzuziehen. Dann könnten die Verhandlungen mit Russland morgen beginnen.

    War die Konferenz ein Erfolg?

    Als großen Erfolg, wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gesagt hat , bezeichnet das Treffen in der Ukraine kaum jemand. Mehr als ein Minimum sei nicht drin gewesen, sagen unabhängige Beobachter.
    Insgesamt kann die Konferenz auf dem Bürgenstock als ein erster Schritt Richtung Frieden bewertet werden – wenn auch nur als einen sehr kleinen. Als positiv wird die große Anzahl der teilnehmenden Staaten sowie das Zustandekommen eine Abschlusserklärung angesehen.
    Die Konferenz machte deutlich: Die überwiegende Mehrheit der Staaten verurteilt den russischen Angriffskrieg und will Frieden auf Basis der UN-Charta. Im Unterschied zu UN-Abstimmungen, die bereits zu diesem Ergebnis kamen, bei denen aber lediglich Botschafter agieren, unterstrichen in der Schweiz Staatspräsidenten mit ihrer Anwesenheit ihre Haltung.
    Damit hat die Ukraine gewisse Pflöcke für künftige Verhandlungen eingeschlagen, hinter die man nicht mehr so leicht zurück gehen kann.
    Doch die Hauptfrage – ob und wann wirkliche Friedensverhandlungen möglich sind – ist nach wie vor offen. Denn es bleibt unklar, ob sich Russland darauf einlassen würde. Die Konferenztage machten deutlich, dass eine echte Friedenskonferenz noch in weiter Ferne liegt.
    rey / abr

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