Martin Zagatta: Was bedeutet das Eingreifen der USA dort, der überraschende Angriff auf die syrische Luftwaffenbasis, für die Friedensverhandlungen? Das kann in Deutschland wohl kaum jemand so gut beurteilen wie Volker Perthes, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, denn er gehört auch zum Beraterteam des UNO-Vermittlers de Mistura und hat auch mit am Tisch gesessen bei Verhandlungen, bei gescheiterten Verhandlungen mit dem syrischen Regime. Guten Morgen, Herr Perthes!
Volker Perthes: Schönen guten Morgen, Herr Zagatta!
Angriff als Chance für die Großmächte
Zagatta: Herr Perthes, dieser Angriff der US-Amerikaner auf die syrische Luftwaffenbasis, dieses überraschende Eingreifen, bringt das jetzt Bewegung vielleicht sogar in die festgefahrenen Fronten oder macht das jetzt alles noch komplizierter?
Perthes: Na ja, beides ist möglich, nicht wahr. Es bringt Bewegung und es macht die Dinge in der Bewegung durchaus komplizierter. Wir haben eine ganze Reihe von diplomatischen Terminen vor uns, wo wir in der nächsten Woche dann vielleicht etwas mehr wissen. Herr Tillerson, der amerikanische Außenminister wird in Moskau sein und entweder wird man die schwierige Entwicklung der letzten Woche nutzen, um zu sagen, jetzt müssen die beiden ganz Großen in der Welt zusammenstehen und versuchen, eine gemeinsame Kompromisslösung zu finden, oder es wird sehr, sehr frostig und nichts bewegt sich.
Wir haben auch eine weitere Sicherheitsratssitzung nächste Woche in New York, wo der UNO-Sonderbotschafter Staffan de Mistura berichten wird darüber, wie man den Friedensprozess in Syrien weitergestalten kann. Auch das eine Chance für die Großmächte der Welt im Sicherheitsrat und die gewählten Mitglieder, zusammenzukommen und zu sagen: 'Ist die Entwicklung nicht so katastrophal, dass wir uns jetzt zusammenreißen müssen, um eine Lösung auf den Weg zu bringen?'
Überraschender Eingriff der USA
Zagatta: Sie haben das als UNO-Berater ja aus allernächster Nähe mitbekommen in den Friedensverhandlungen zu Syrien. Die USA haben da zuletzt überhaupt keine Rolle mehr gespielt. Kommt das für Sie jetzt auch aus heiterem Himmel, dass US-Präsident Trump da militärisch vorgeht gegen das Assad-Regime?
Perthes: Es kommt überraschend, wenn man die letzten Wochen sich anschaut, weil wir ja seit dem Wahlsieg von Donald Trump von ihm gehört haben, er wolle sich in keinen Krieg hineinziehen lassen, der nicht unmittelbar die nationalen Sicherheitsinteressen der USA tangiert. Es kommt nicht überraschend, wenn man sich sozusagen die 24 Stunden vor dem Militärschlag anschaut, da ist ja gewarnt worden, da ist darauf hingewiesen worden, dass die USA jetzt die Zeit gekommen sähe für unilaterale Maßnahmen.
Zagatta: Wenn wir mit Unverständnis ja immer darauf blicken, dass die UNO nicht in der Lage ist, diesem schrecklichen Morden in Syrien ein Ende zu machen, dann gibt man im Westen meist Moskau die Schuld mit seiner Unterstützung für Assad, jetzt auch mit seinem Veto im Sicherheitsrat. Sie haben das ja bei diesen Verhandlungen immer von Angesicht zu Angesicht auch miterlebt. Ist denn in dieser Frage der russische Präsident Putin der Schurke in diesem Drama?
Perthes: Also, da Sie mich als Mitverhandler ansprechen, werde ich nicht darüber reden, wer hier Schurke ist oder wer das nicht ist. Das müssen Sie mir zugestehen.
"Russland hat ein Interesse, den Krieg zu beenden"
Zagatta: Das ist gleich, ich frage Sie als Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, als Experte! Natürlich in dieser Rolle!
Perthes: Ich bin immer nur eine Person, Herr Zagatta! Also, was man richtigerweise sagen muss, ist, dass die UNO auch immer nur so gut sein kann wie die Mitgliedsstaaten, die sie tragen, und insbesondere wie die Staaten, die als permanente Mitglieder im Sicherheitsrat sind. Und die vertreten in erster Linie ihre nationalen Interessen, da ist nicht der Erfolg der UNO oder das Völkerrecht sozusagen das erste Kriterium. Das haben wir jetzt ja auch gesehen bei den amerikanischen Angriffen auf Syrien oder dem Eingreifen in Syrien.
Und in Russland gibt es, seitdem es 2015 aktiv militärisch engagiert ist, zweifellos eigene nationale Interessen; aber gleichzeitig, und darauf müssen wir bauen als Vereinte Nationen, aber auch als Europäer, ein Interesse, sich eben nicht in einen langen Krieg, in ein anderes Afghanistan, in Syrien involvieren zu lassen. Was wir spüren – und das ist kein Geheimnis –, ist, dass Russland ein Interesse hat, den Krieg in Syrien zu beenden. Allerdings hat es andere Vorstellungen von der Beendung des Krieges und wie der Krieg beendet werden soll und was dabei herauskommen sollte, als viele europäische Staaten oder wohl auch als die USA.
Und jetzt ist es der Fall, die Frage – ich habe das eben schon mal angedeutet –, ob es den USA und Russland gelingt, so etwas wie eine gemeinsame Vision für den Weg zum Frieden in Syrien herbeizuführen. Dann haben beide große Chancen, uns, den Vereinten Nationen und allen, die Frieden wollen in Syrien, dabei weiterzuhelfen, weil sie einfach großen Einfluss auf die Kriegsparteien haben.
"Amerikaner und Russen sind dabei, eine gemeinsame Formel zu finden"
Zagatta: Und bei dieser Frage wird ja jetzt in einigen Kommentaren spekuliert – das habe ich gestern auch wieder gelesen –, in dieser angespannten Situation könnte Angela Merkel gefragt sein als Mittlerin mit einigermaßen guten Beziehungen auch zu Moskau. Halten Sie das für möglich oder ist das eine völlige Überschätzung der deutschen Rolle?
Perthes: Ja, ich halte viel von den diplomatischen Fähigkeiten von Angela Merkel. Ich glaube aber, dass es in dieser Situation richtiger ist, wenn die USA und Russland direkt miteinander sprechen. Es ist ja nun nicht so, dass die keinen Kontakt hätten, es ist ja nun nicht so, dass die Präsidenten nicht viel Sympathie füreinander geäußert hätten in den letzten Monaten. Daraus müssen sie jetzt was machen. Und das kann man sozusagen nicht an dritte befreundete Parteien abschieben.
Zagatta: Was ist denn der Knackpunkt, der einer Friedensvereinbarung in Syrien im Weg steht? Kann man das so sagen, ist das die Frage, ob Präsident Assad abtreten muss oder nicht, oder geht es um anderes?
Perthes: Das ist schon eine wichtige Frage, weil die westlichen Staaten und die Unterstützer der Rebellen, der Opposition, insbesondere aus dem arabischen Raum, die Frage Zukunft des Präsidenten beziehungsweise Zukunft Syriens ohne den gegenwärtigen Präsidenten als erstes Ziel definieren. Und weil umgekehrt Russland mit Bezug auf Elemente des Völkerrechts sagt, Regimewechsel von außen geht gar nicht und das Wichtigste ist, dass die Syrer selbst über ihre Zukunft bestimmen, und wir sind im Übrigen auf Einladung der legitimen syrischen Regierung im Lande.
Und es schien in der letzten Woche vor dem Chemiewaffeneinsatz so zu sein, als ob die Amerikaner und die Russen vorsichtig dabei wären, eine gemeinsame Formel zu finden, als Rex Tillerson, der amerikanische Außenminister gesagt hat, die Syrer müssten letztlich selbst bestimmen darüber, wer ihr Präsident wäre. Das ist eine Aussage, die den Russen gut gefallen hat, weil sie ja hieß: Wir wollen da nicht mitentscheiden, sondern allenfalls den Weg dazu ebnen, dass die Syrer selbst entscheiden können.
Und das ist etwas, was Russland durchaus selber auch mitträgt, deshalb sind die russischen Verhandler in Astana etwa, wo es um den Waffenstillstand geht, sehr weit gegangen dort und haben einen Verfassungsentwurf auf den Tisch gelegt den Syrern, um zu sagen: Ihr braucht schon Änderungen, aber wir fangen nicht beim Präsidenten an, sondern wir fangen bei den Strukturen an.
Sicherheitsvakuum verhindern
Zagatta: Nun gibt es ja auch das Argument, erst recht beim Stichwort Selbstbestimmung: Wenn der Westen mithilft, den Diktator Assad tatsächlich zu stürzen, falls das gelingen wollte, dann hilft man ganz üblen Islamisten an die Macht und alles wird noch schlimmer. Besteht diese Gefahr?
Perthes: Das ist durchaus ein valides Argument, wenn man nur die Frage Sturz des Diktators nach vorne stellt und eben nicht darüber redet, was eigentlich in Syrien am Tag danach aufgebaut werden müsste und schon da sein müsste an Strukturen, um Stabilität zu gewährleisten, um ein Vakuum, auch ein Sicherheitsvakuum zu verhindern. Da ist tatsächlich die Gefahr, dass üble terroristische Organisationen die Macht übernehmen.
Noch mal zum Eingreifen Russlands: Im September hatte die russische Führung ja das Gefühl, dass Damaskus kurz vor dem Fall stand, aber Damaskus wäre damals nicht gefallen an die vom Westen unterstützte Opposition, moderate Rebellen, wenn Sie so wollen, sondern wäre gefallen an sehr radikale islamistische Kräfte. Und das wollte Russland zweifellos vermeiden und hat es auch vermieden um den Preis eben, dass sich die Regierung von Baschar al-Assad erst mal stabilisiert hat mithilfe Russlands und auch Irans.
Der Schlüssel liegt nicht darin zu sagen, der Präsident muss weg und alle anderen Fragen stellen wir nicht, sondern der Schlüssel liegt in einer haltbaren Machtteilung, wo alle Kräfte, die in Syrien vorhanden sind, alle gesellschaftlichen Kräfte, Gruppen eine Rolle spielen können. Und wir können, was immer wir von Baschar al-Assad halten, nicht wegdiskutieren, dass er eine Basis hat. Wie groß die ist, darüber mag man sich streiten, aber auch die Basis von Baschar al-Assad muss an einer zukünftigen Regierung beteiligt werden, sonst wird es keine Stabilität in dem Land geben.
Zagatta: Wie geht es weiter in Syrien? Informationen, Einschätzungen waren das von Volker Perthes, dem Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Perthes, schönen Dank für das Gespräch!
Perthes: Ich bedanke mich!
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