Thielko Grieß: Jetzt kommen wir zum Thema dieses Mittags: Der Friedensnobelpreis, zuerkannt dem tunesischen Dialog-Quartett. Das ist ein Quartett von Organisationen in Tunesien, die dem Land dazu verholfen haben, nach Einschätzung des Komitees in Oslo, dass es friedlich geblieben ist, jedenfalls weitgehend, und weitgehend pluralistisch geworden ist. Das war ja alles nicht so klar, als 2011 die "Jasminrevolution" das Land in Atem gehalten hat und uns als Berichterstatter hier in Europa auch.
Jetzt begrüße ich am Telefon, zugeschaltet aus der tunesischen Hauptstadt Tunis, Hardy Ostry, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunis. Schönen guten Tag.
Hardy Ostry: Guten Tag! Ich grüße Sie.
Grieß: Ist es auch in Tunesien eine Überraschung, dass dieses Quartett diese Auszeichnung jetzt bekommt?
Ostry: Ja natürlich. Als heute Morgen die ersten Nachrichten über den Ticker gingen, war natürlich erst einmal unmittelbare Freude über diese Auszeichnung vorhanden, aber natürlich sofort auf den sozialen Medien ging es rund und diese Nachricht hat sich schnell verbreitet, in Anerkennung auch für dieses Quartett und für die Arbeit, die es geleistet hat.
2013 war das Quartett unumstritten
Grieß: Ist das Quartett, sind diese Organisationen, sind sie unumstritten für das, was sie tun in Tunesien?
Ostry: Sie waren sicherlich unumstritten mit Blick auf diesen Dialogprozess, den sie 2013, nachdem das Land ja durch zwei politische Attentate schwer erschüttert worden war und selbst die Politik, die Troika-Regierung unter der Ennahdha-Führung nicht in der Lage war, einen Ausweg aus dieser Krise zu finden, alternativlos und insofern hat das Quartett damals diesen Dialogprozess angestoßen, dem ja auch alle maßgeblichen politischen Parteien angehörten, um A einen Weg aus dieser Krise zu finden und das mittels eines klaren Fahrplanes, der quasi von Oktober 2013 bis hin zu einer neuen Technokratenregierung und der Durchführung der ersten regulären demokratischen Wahlen Ende 2014 geführt hat.
Grieß: Das sind ja unter anderem Gewerkschaften, Tarifpartner, würden wir in Deutschland sagen mit unseren deutschen Wörtern. Woher nehmen denn diese Organisationen und ihre Chefs die Autorität in Tunesien, oftmals auch verfeindete Lager an einen Tisch zu bekommen?
Ostry: Das ist sicherlich zum einen dem Moment geschuldet gewesen. Wer sich an die Krise 2013, an die Demonstrationen und die Sit-ins in Bardo, in der Altstadt von Tunis erinnert, der hat gemerkt, dass das Land kurz vor dem Abgrund steht und dass hier Organisationen einfach das Momentum genutzt haben, nicht für sich, sondern für das Land, für die Sache, quasi eine moralische Autorität in Anspruch zu nehmen.
Das Zweite ist, dass man nicht vergessen darf, dass gerade die Gewerkschaft in Tunesien, die UGTT, eine immense politische Bedeutung wahrnimmt und spielt, das schon seit der Unabhängigkeit. Das Gleiche gilt für Utica, für den großen Unternehmerverband. So neu ist das nicht, dass sich Sozialpartner, Tarifpartner auch zumindest vorübergehend ein politisches Mandat geben oder definieren, dass sie es haben.
Das Zweite ist, dass man nicht vergessen darf, dass gerade die Gewerkschaft in Tunesien, die UGTT, eine immense politische Bedeutung wahrnimmt und spielt, das schon seit der Unabhängigkeit. Das Gleiche gilt für Utica, für den großen Unternehmerverband. So neu ist das nicht, dass sich Sozialpartner, Tarifpartner auch zumindest vorübergehend ein politisches Mandat geben oder definieren, dass sie es haben.
Aktuell hat das Quartett eine informelle Rolle
Grieß: Jetzt haben Sie ja die Vermittlungsleistungen aus den vergangenen Monaten und Jahren, besonders seit 2013 beschrieben und gewürdigt. Welche Rolle spielt dieses Quartett aktuell jetzt noch, 2015, und vielleicht auch in naher Zukunft?
Ostry: Man hat unmittelbar nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen Ende letzten Jahres diese Diskussion im Lande geführt und es war in der Tat die Frage, soll das Quartett immer noch eine Rolle spielen. Im Moment ist es eher eine informelle Rolle, aber ich sehe natürlich die Preisvergabe mit dem Friedensnobelpreis vor dem Hintergrund der aktuellen Lage auch so, dass es zum einen sicherlich eine Würdigung der Arbeit dieses Quartetts ist, zum anderen aber gerade vor dem Hintergrund der sozialen Spannungen im Land, der vielen Streiks, die wir derzeit erleben, sicherlich eine Ermahnung, wieder die konstruktive Rolle als Sozialpartner anzunehmen. Und ich denke, da geht die Nachricht und die Botschaft ganz eindeutig an die Gewerkschaft.
Grieß: Nun gibt es natürlich auch in Tunesien gewählte Vertreter und jeder Demokratietheoretiker würde ja jetzt sagen, gut wäre es und besser wäre es, wenn diese gewählten Vertreter die Geschicke des Landes bestimmen. Sind denn die in der Lage, diese Rolle von den zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich jetzt so stark hervorgetan haben, auch einmal zu übernehmen?
Ostry: Wir haben eine gewählte Regierung unter der Mehrheitsführung der Partei Nida Tunis. Wir haben einen neuen Staatspräsidenten. Die sind im Amt und nehmen ihre Aufgabe auch wahr. Aber Fakt ist auch, dass gerade die Sozialverbände und hier insbesondere die Gewerkschaft im Moment eine weniger konstruktive Rolle spielen, sodass die Regierung da erhebliche Mühen hat, in diesen zum Teil auch innergewerkschaftlichen Kämpfen eine Regierungslinie durchzusetzen. Das ist sicherlich richtig.
Friedensnobelpreis ist Würdigung und Mahnung zugleich
Grieß: Womit die Ermahnung mit ins Spiel kommt, die Sie in der vorletzten Antwort angeführt haben, mit angedeutet haben, Herr Ostry. Glauben Sie, dass diese Ermahnung, so wie Sie das beschrieben haben, gehört wird in Tunesien?
Ostry: Es gibt den Diskurs ohnehin schon in Tunesien seit längerer Zeit, durchaus in Würdigung der Verdienste dessen, was diese vier Verbände gemacht haben, diese Institutionen. Aber es gab von Beginn auch die Diskussion, wird insbesondere die Gewerkschaft, die vorübergehend eine sehr politische Rolle eingenommen hat, auch in der Lage sein, diesen Platz wieder zu räumen und eigentlich ihre gewerkschaftliche Rolle wahrzunehmen. Von daher, denke ich, wird diese Preisvergabe, wie gesagt, immer unter dem Vorzeichen einerseits Würdigung, aber andererseits sicherlich auch Ermahnung, diese Diskussion weiter anstoßen. Das denke ich eindeutig.
Grieß: Wir berichten in diesen Tagen - Sie haben es auch vielleicht vorhin gerade noch mitgehört - ja auch über Nachbarländer. Es geht gelegentlich um Ägypten, das sich zu einer Autokratie wieder zurückentwickelt hat. Libyen zerfällt nach wie vor. Es ist unheimlich schwierig, dort einen politischen Prozess in Gang zu bringen. Sie haben jetzt schon einiges gesagt über die Rolle der Zivilgesellschaft in Tunesien. Aber noch mal ganz offen gefragt: Wie machen die Tunesier das, dass die Revolution in Tunesien nicht ins Chaos geführt hat?
Ostry: Es ist sicherlich ein sehr schwieriger Prozess gewesen und ich glaube, im Unterschied zu anderen Ländern haben wir einige Begebenheiten, einige Faktoren, die eine positive Rolle gespielt haben. Zum einen: Selbst nach der Revolution, einen Tag später, zwei Tage später hat die Verwaltung, hat der Staat mehr oder weniger noch funktioniert. Wir verdanken einfach die Kontinuität des Staates, wenn man so will, auch einer sehr stark franko-französischen Tradition, die vorhanden ist. Das andere ist: Wir haben keine starke Armee, die zum Beispiel sich in einer bestimmten Begebenheit, ähnlich wie in Ägypten, erdreistet hätte, einfach einen Putsch anzustreben und die Macht zu übernehmen.
Drittens: Wir haben in Tunesien eine sehr starke Konsenskultur, auch auf der politischen Ebene, die auch seit der Unabhängigkeit vorhanden ist, wo sich politische Parteien, andere Akteure immer wieder versuchen, doch im Konsens auf etwas zu einigen. Das Land ist zu klein, dass es sich Extremitäten leisten könnte, und ich denke, die Einsicht in diese Tatsachen hat schon dazu geführt, dass bei allen Spannungen, die es noch gibt, bei allen Konflikten und trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage irgendwie der Weg beibehalten wird und nach vorne geht.
Drittens: Wir haben in Tunesien eine sehr starke Konsenskultur, auch auf der politischen Ebene, die auch seit der Unabhängigkeit vorhanden ist, wo sich politische Parteien, andere Akteure immer wieder versuchen, doch im Konsens auf etwas zu einigen. Das Land ist zu klein, dass es sich Extremitäten leisten könnte, und ich denke, die Einsicht in diese Tatsachen hat schon dazu geführt, dass bei allen Spannungen, die es noch gibt, bei allen Konflikten und trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage irgendwie der Weg beibehalten wird und nach vorne geht.
Es steht ökonomisch nicht gut um Tunesien
Grieß: Apropos wirtschaftliche Lage. Auch daran scheitern ja gelegentliche soziale Bewegungen und daran scheitern auch Versuche, die politische Situation zu verändern. Wie steht es ökonomisch um Tunesien?
Ostry: Um es auf den Punkt zu bringen: Es steht nicht gut. Es steht schlecht. Wir haben ein Wachstum von noch nicht einmal ein Prozent für dieses Jahr. Infolge der Attentate von Bardo und Sousse ist natürlich der Tourismus-Sektor erheblich eingebrochen. Es mangelt an ausländischen Investitionen im Land. Wir haben nach wie vor eine große Arbeitslosigkeit, insbesondere unter den Jugendlichen. Die Probleme sind da und deswegen ist es umso wichtiger, dass sich natürlich gerade auch die Politik mit den Sozialpartner und Tarifpartnern zusammensetzt, um einen Weg aus dieser Krise zu finden.
Grieß: Übers Mittelmeer sind es nur wenige hundert Kilometer bis zur Europäischen Union. Hat die EU Tunesien vergessen?
Ostry: Nein. Natürlich gibt es hier vor Ort auch immer wieder einen Diskurs, der in die Richtung geht, ihr müsst uns mehr helfen. Natürlich kann man immer mehr machen. Aber das eine ist: Man muss auch schauen, ist überhaupt die Absorbationsfähigkeit vorhanden für Projekte und für Mittel. Zweitens muss man sehen, dass gerade in der Zeit der Troika-Regierung, die drei Jahre nach der Revolution viele Dinge einfach liegen geblieben sind und nicht gemacht wurden, auch Haushaltsmittel. Und drittens, denke ich, ist es schon so, dass sich die Europäische Union sehr, sehr engagiert, auch insbesondere Deutschland. Exakt am kommenden Dienstag wird die Handelskommissarin der EU nach Tunesien kommen, Frau Malmström, um die Verhandlungen zu einer vertieften Freihandelszone mit Tunesien zu beginnen, und ich denke, das ist auch ein wichtiges Zeichen, damit es dem Land besser geht und dass es vorwärtsgeht.
Grieß: Was kann denn Tunesien anbieten, außer schönen Stränden und Tourismus?
Ostry: Na ja. Tunesien kann insofern eine Menge anbieten, ...
Grieß: Und da bietet uns der Telekommunikationsanbieter jedenfalls keine Leitung mehr an. Das scheint mir das endgültige Ende zumindest dieses Gesprächs gewesen zu sein. Wie schade, Herr Ostry. - Das war Hardy Ostry, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunis in Tunesien. Es bleiben noch einige Fragen offen, aber wir danken auch in Abwesenheit für diese Einschätzungen zur Leistung des tunesischen Dialog-Quartetts, Preisträger des Friedensnobelpreises 2015.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.