Narges Mohammadi hat eine der bedeutendsten Auszeichnungen der Welt erhalten, konnte sie aber nicht persönlich entgegennehmen. Die iranische Frauenrechtsaktivistin und diesjährige Friedensnobelpreisträgerin verbüßt derzeit eine langjährige Haftstrafe im berüchtigten Ewin-Gefängnis in Teheran. Bei der Preisverleihung in Oslo am 10. Dezember wurde sie deshalb von ihren Kindern vertreten. Die Zwillinge Kiana und Ali Rahmani nahmen den Preis im Rathaus von Oslo entgegen und verlasen die Rede ihrer Mutter.
Hinter dem symbolisch leeren Stuhl auf der Bühne hing ein Porträt der Preisträgerin mit offenem Haar – eine Anspielung auf den Kopftuchzwang im Iran.
Mohammadi beklagte in ihrer Nobelpreisrede, sie sei eine von Millionen stolzer und widerstandsfähiger iranischer Frauen. Der Kopftuchzwang für Frauen sei ein Versuch, die Gesellschaft zu unterwerfen. Sie mahnte, entweder die Menschenrechte würden international beachtet oder die Menschenrechtsverletzungen breiteten sich über Staatsgrenzen hinweg aus.
Die iranische Jugend habe heute die Straßen und öffentlichen Räume in eine "Arena des zivilen Widerstands" verwandelt, so die Frauenrechtsaktivistin. Sie sei zuversichtlich, "dass das Licht der Freiheit und der Gerechtigkeit hell auf das Land Iran scheinen wird."
Der Friedensnobelpreis wird wie jedes Jahr am Todestag des schwedischen Dynamit-Erfinders Alfred Nobel überreicht. Mohammadi war die prestigeträchtige Auszeichnung "für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Kampf für die Förderung der Menschenrechte und der Freiheit für alle" zugesprochen worden.
In der Begründung für Narges Mohammadi hieß es, damit würden auch die Tausenden Menschen im Iran gewürdigt, die unter enormen persönlichen Risiken gegen die Diskriminierung von Frauen auf die Straße gingen. Auch Mohammadis mutiger Kampf sei mit persönlichen Opfern verbunden gewesen. Das Regime habe sie 13 Mal verhaftet, fünf Mal verurteilt und zu insgesamt 31 Jahren Gefängnis und 154 Peitschenhieben verurteilt.
Am Tag vor der Preisverleihung hatte Mohammadi über ihre Instagram-Seite erklärt, sie sei in einen dreitägigen Hungerstreik getreten. "Am Tag der Nobelpreisverleihung will ich somit die Stimme der Iraner sein, die gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung protestieren", schrieb die 51-Jährige.
Isolationshaft und Folter
Bevor Mohammadi im April 2022 eine Haftstrafe antreten musste, sagte sie in einer Videonachricht: „Ich bin heute voller Hoffnung und zuversichtlich, wenn ich ins Gefängnis zurückkehre. Ermutigt, weil Menschen und Organisationen wie ihr mich unterstützt. Ich kehre zurück ins Gefängnis, um den Kampf fortzusetzen.“
Im Gefängnis führte sie heimlich Interviews mit anderen inhaftierten Frauen und veröffentlichte diese schließlich als Buch. Die Schilderungen zeugen von unmenschlichen Haftbedingungen, von Isolationshaft und Folter, mit dem Ziel, die inhaftierten Frauen psychisch zu brechen.
Auch die Isolationshaft beschreibt Mohammadi detailliert: „Meine Zelle mit der Nummer 24 befand sich in der zweiten Etage der Haftanstalt. Im gesamten Trakt herrschte Totenstille. Ohne Licht, Luft, Gerüche, Geräusche und ohne die kleinste Regung schien das Leben hier abwesend zu sein. Die Angst hatte mich vollständig im Griff.“
Narges Mohammadi wurde 1972 in Sandschan im Nordwesten des Irans geboren. Sie studierte Physik und wurde Ingenieurin. Später arbeitete sie als Journalistin für reformorientierte Zeitungen.
Im vergangenen Jahr war es im Iran zu monatelangen landesweiten Protesten gekommen, nachdem die Kurdin Mahsa Amini in Polizeigewahrsam gestorben war. Die Sittenpolizei hatte ihr vorgeworfen, die Kleiderordnung nicht befolgt zu haben. Die Proteste wurden brutal niedergeschlagen.
Der Friedensnobelpreis ist mit elf Millionen Schwedischen Kronen (rund 950.000 Euro) dotiert und wurde von dem schwedischen Chemiker und Industriellen Alfred Nobel (1833-1896) gestiftet.
Im vergangenen Jahr wurden der belarussische Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki, die russische Organisation Memorial und das Center for Civil Liberties aus der Ukraine ausgezeichnet.
2021 hatte das Nobelpreiskomitee Maria Ressa und Dmitri Muratow geehrt. Die beiden Journalisten wurden für ihre Bemühungen um Meinungs- und Pressefreiheit geehrt. Ressa arbeitet auf den Philippinen als Investigativjournalistin, Muratow war Chefredakteur der russischen Zeitung "Nowaja Gaseta".
Die Entscheidungen über die Vergabe des Friedensnobelpreises haben immer wieder Kontroversen ausgelöst. Teils wurden sie nachträglich kritisch bewertet, weil Preisträger in sie gesetzte Hoffnungen nicht eingelöst hatten.
2009 bekam US-Präsident Barack Obama den Preis und das Komitee dafür Ärger. Obama war noch kein Jahr im Weißen Haus, hatte große Ziele, aber nicht allzu viel erreicht und wurde später wegen amerikanischer Drohnenangriffe kritisiert, bei denen auch Zivilisten ums Leben kamen.
Heftig kritisiert wurde das Nobelkomitee auch für die Preisverleihung 1994 an Palästinenserführer Jassir Arafat, Israels Premier Jitzchak Rabin und Außenminister Schimon Peres. Die Kritik damals: Peres sei einer der Väter des israelischen Atomwaffenprogramms, Arafat ein Terrorist.
pto