Mario Dobovisek: Die nukleare Aufrüstung als Relikt des Kalten Krieges, sie gibt es noch immer, etwa wenn wir auf den akuten Nordkorea-Konflikt blicken, auch wenn gerade erst 122 Länder bei den Vereinten Nationen einen Vertrag gegen Atomwaffen unterzeichnet haben, ein Meilenstein, wie UNO-Generalsekretär Guterres ihn im Juli noch genannt hat, allerdings mit dem nicht unerheblichen Schönheitsfehler, dass die bekannten Atommächte und sämtliche NATO-Staaten den Vertrag ablehnen. Just in dieser Zeit setzt das Nobel-Komitee in Oslo ein Zeichen und vergibt den Friedensnobelpreis an die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, kurz Ican. Und deren Chefin in Genf kann es kaum fassen: "Wir waren schockiert, als der Anruf kam", sagt sie. "Wir haben gelacht und gedacht, es wäre ein Scherz.
Am Telefon begrüße ich Jan van Aken, scheidender Bundestagsabgeordneter der Linkspartei. Abrüstung ist ihm ein Anliegen. Er selbst war als Waffeninspekteur für die Vereinten Nationen unterwegs. Guten Tag, Herr van Aken!
Jan van Aken: Einen schönen guten Tag.
Dobovisek: Als wir Sie um kurz nach elf heute angerufen haben, um Sie für das Interview hier zu gewinnen, haben Sie gleich gesagt, Sie hätten auf die Ican gewettet. Warum waren Sie sich so sicher?
van Aken: Eigentlich war ich mir gar nicht sicher. Ich mache das seit 15 Jahren und immer lag ich so was von daneben, wenn es um den Friedensnobelpreis ging. Diesmal dann doch und es war klar, es musste was mit Atom sein, angesichts des Nordkorea-Konfliktes, wo es um Atomwaffen geht. Nun ist in diesem Sommer dieses weltweite Atomwaffenverbot beschlossen worden. Aber die Frage war, wen kann man dafür auszeichnen, und eigentlich kam da nur Ican in Frage. Und ja, ich habe mich total gefreut.
"Diese Ächtung von Atomwaffen drohte wirklich kaputt zu gehen"
Dobovisek: Wie wichtig ist das Zeichen, das Sie in dieser Vergabe des Friedensnobelpreises sehen?
van Aken: Unglaublich groß! Die ganzen Atomwaffen-Fragen sind ja in den letzten zwei Jahrzehnten eigentlich komplett ins Hintertreffen geraten. Es hat sich kaum mehr jemand darum gekümmert. Alle haben sich damit abgefunden, dass es Atomwaffen-Staaten gibt, und dabei gab es weltweit eine ganz gefährliche Entwicklung, dass immer mehr Staaten das Gefühl hatten, na ja, wenn die anderen haben, kann ich ja auch. Diese Ächtung von Atomwaffen drohte, wirklich kaputt zu gehen, und da kam diese Kampagne von Ican und jetzt dieser Beschluss der UNO-Generalversammlung im Sommer genau richtig, um noch mal deutlich zu machen, die Atomwaffen sind die schlimmsten aller Waffen und die gehören verboten.
Dobovisek: Sie haben den Beschluss der Vereinten Nationen angesprochen. 122 Staaten haben ihn unterschrieben, gegen Atomwaffen. Die Atommächte und alle NATO-Staaten weigern sich. Ist es denn naiv, dann noch an die atomare Abrüstung zu glauben?
van Aken: Natürlich ist es immer naiv, in einer Situation, wo eigentlich es immer mehr Staaten gibt, die Atomwaffen entwickeln und haben wollen. Auf der anderen Seite: Wenn man immer nur Sachen tun würde, die realistisch sind und in zwei Jahren zu gewinnen sind, dann hat man eh schon verloren. Ich finde, das ist ein völlig richtiges Zeichen von Ican gewesen, in einer Zeit, als niemand daran geglaubt hat, darauf zu setzen, jetzt versuchen wir es noch mal mit dem Atomwaffenverbot. Es hat geklappt und ich bin mal gespannt.
Dobovisek: Es hat ja nur zum Teil geklappt, weil es nur 122 Länder sind, und die entscheidenden sind nicht dabei.
van Aken: Aber das kommt. Wissen Sie, das Landminenverbot hat auch mal so angefangen und bis heute sind die entscheidenden Länder, die großen Länder, Russland, China, USA, nicht mit beim Landminenverbot. Aber die Ächtung ist so stark, dass sogar die Amerikaner sich, ich glaube, zu 90 Prozent an dieses Verbot halten, obwohl sie es nie ratifiziert haben. Und ich glaube, dieses können wir jetzt auch mit den Atomwaffen erreichen. Noch zögert ja die Bundesregierung, noch weigert sie sich, sie ha nicht mal mitverhandelt. Ich bin mir aber sicher, dass wir irgendwann in den nächsten Jahren auch mal eine deutsche Bundesregierung haben werden, die das unterzeichnet, die das ratifiziert, trotz NATO-Mitgliedschaft.
"Ein totales Verbot ist immer sicherer als das, was wir heute haben"
Dobovisek: Egon Bahr hat einmal gesagt, es gibt nur Frieden gemeinsam und nicht gegeneinander. Jetzt könnte man auch argumentieren, Sie haben es ein bisschen anklingen lassen, dass gerade Atomwaffen es sind, die Frieden schaffen, denn wer sie besitzt, wird nicht angegriffen. Ist dieses Kalkül so falsch, Herr van Aken?
van Aken: Na ja, was so richtig falsch daran ist, wenn wir uns an den Kalten Krieg erinnern, wird ja immer mehr klar, wie oft wir eigentlich in den 60er-, 70er-, 80er-Jahren am nuklearen Desaster vorbeigeschrammt sind, und zwar einfach auch wegen technischer Defekte, weil plötzlich angezeigt wurde in Russland, die Amerikaner greifen an, wir schlagen zurück. Ich glaube, da haben wir mehrfach wirklich in Sekundenbruchteilen vorm Atomkrieg gestanden, und wenn es erst mal losgeht mit einem Atomkrieg, dann ist es, glaube ich, alles vorbei. Insofern ist ein totales Verbot immer sicherer als das, was wir heute haben.
Dobovisek: Jetzt haben wir aber nun mal den nuklearen Patt, die gegenseitige Abschreckungsblockade. Wie kommen wir da raus?
van Aken: Ja, das ist ein mühsamer Weg. Ich glaube, es fängt damit an, dass wir einen Atomwaffen-Staat brauchen, der als erstes mal aussteigt, und ich setze da eigentlich auf England. Ich glaube, in England ist das nicht so eine Frage des nationalen Stolzes wie in Frankreich. Und wenn erst mal ein Staat rausgebrochen ist, dann kann es, glaube ich, wieder mal eine Bewegung geben wie auch in den 70ern, als damals die Sowjetunion und die Amerikaner doch relativ viel atomar abgerüstet haben. Wir brauchen erst mal den ersten Kick und ich glaube, der geht jetzt vom Nobelpreis aus. Der geht auch von diesem UNO-Vertrag aus. Vielleicht schaffen wir das ja in den nächsten fünf Jahren, die Briten dazu zu bewegen, wenn sie schon aus der EU aussteigen, auch aus dem Atombomben-Programm auszusteigen.
"In solchen Stellvertreterkonflikten, da wird es immer schwierig, von außen einzugreifen"
Dobovisek: Sie blicken da recht weit in die Zukunft. Gemessen an dem, was wir gerade erleben auch im Korea-Konflikt, wie kann der Preis den aktuellen Konflikt beschwichtigen?
van Aken: Ich glaube, jetzt direkt im Nordkorea-Konflikt wird das relativ wenig Einfluss haben. Denn in Nordkorea geht es ja leider nur zur einen Hälfte ums atomare Programm, zur anderen Hälfte ist es der Wirtschaftskonflikt zwischen China und den USA. In solchen Stellvertreterkonflikten, da wird es immer schwierig, von außen einzugreifen. Ich glaube, wir müssen hier wirklich langfristig denken. In fünf, 15, 25 Jahren hoffe ich, dass dieser Preis seine Auswirkungen haben wird.
Dobovisek: Jan van Aken von der Linkspartei scheidet gerade auf eigenen Wunsch aus dem Bundestag aus. Vielen Dank für das Gespräch.
van Aken: Ich danke Ihnen.
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