Die Auszeichnug für Santos sei gerade jetzt wichtig, weil dieser nach dem gescheiterten Referendum über das Friedensabkommen angekündigt habe, weiter all seine Kräfte für den Frieden einzusetzen. Santos habe alles riskiert.
Der Preis sei auch eine Mahnung an die Gegner des Friedensschlusses, nun einen konstruktiven Beitrag zu leisten. Auch sie hätten nun die "Verpflichtung der Welt gegenüber, jetzt den Frieden so auszuverhandeln, dass er für alle tragbar ist". Entscheidend sei, dass bald ein Frieden zustande komme, der die Stabilität im Land sichere. Derzeit befinde sich die Guerilla in einer Hängepartie. Sie wisse nicht, wie die Zukunft sei und ob sie sich verteidigen müsse.
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Ursprünglich waren sich die Beobachter schon einmal relativ einig. Die Chancen stehen gut, dass der Friedensnobelpreis in diesem Jahr nach Kolumbien geht. Schließlich war es der Regierung gelungen, nach Jahrzehnten des Bürgerkrieges Frieden mit der FARC-Guerilla zu schließen. Dann allerdings lehnten die Kolumbianer in einer Volksabstimmung den Friedensvertrag überraschend ab. Und dennoch erhält Kolumbiens Präsident Santos jetzt die bedeutende Auszeichnung.
Am Telefon ist Tom Koenigs, der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag. Außerdem ist er Beauftragter der Bundesregierung für den Friedensprozess in Kolumbien. Schönen guten Tag, Herr Koenigs!
Tom Koenigs: Guten Tag, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Koenigs, als wir Sie vor einer guten Stunde angerufen haben, da haben Sie gesagt, Sie müssten sich jetzt erst mal setzen, so überrascht sind Sie doch von dieser Entscheidung. Warum?
Koenigs: Es war ja zunächst vorige Woche gesagt worden, ja, das wäre möglich, dass der Nobelpreis nach Kolumbien geht. Aber der Rückschlag hat uns doch alle so getroffen, dass wir gedacht haben, nein, das wird das Komitee nicht wagen. Ich finde es jetzt wirklich ein Zeichen der Hoffnung und auch eine sehr mutige Entscheidung, dem Präsident Santos den Friedenspreis doch zu geben, in der Hoffnung, dass das, wofür er seine ganze Präsidentschaft, sein ganzes Prestige und auch sein ganzes Herz eingesetzt hat, nämlich einen verhandelten Frieden hinzukriegen von diesem mehr als 50jährigen Konflikt, dass das honoriert wird und auch alle die, die ihm geholfen haben. Das ist auch eine Mahnung an die, die jetzt mit Nein gestimmt haben, nun konstruktiv dazu beizutragen, dass der Frieden dauerhaft und unumkehrbar ist.
"Das macht ihn preiswürdig"
Barenberg: Es hatte ja schon einmal zwischen 1998 und 2001 so etwas wie eine erste Runde Friedensgespräche gegeben. Präsident Santos hat dann 2012 diesen zweiten umfassenden Friedensprozess auf den Weg gebracht. Sie haben gesagt, das ist natürlich auch eine persönliche Auszeichnung für ihn. Wie bedeutsam war die Entscheidung von Santos damals, das jetzt mit einem großen Versuch zu wagen?
Koenigs: Es gibt umfangreiche Dokumentationen, wie eigentlich das zustande gekommen ist. Aber die zeigt doch sehr deutlich, dass derjenige, der der wirkliche Aktivist war und ständig auch dahinter her war, Santos ist, der auch viel eingesetzt hat, auch viel riskiert hat, den Einsatz auch noch mal erhöht hat durch die Unterschriftszeremonie. Ich finde, die Entscheidung ist deshalb auch wichtig, weil das erste, was Santos nach dem Verlust des Referendums, sehr knappen Verlust gesagt hat, ist: Ich werde alle meine Kräfte bis zum letzten Tag meiner Amtszeit für diesen Frieden einsetzen, und das ist ein verhandelter, nicht im Krieg ausgeschossener Frieden, und das macht ihn preiswürdig.
Barenberg: Papst Franziskus hat ja auch gesagt, Santos hätte für den Frieden alles riskiert. Ist das tatsächlich so bemerkenswert, gerade wenn man die Geschichte der vorher gescheiterten Versuche und beispielsweise die Politik von einem der Vorgänger von Präsident Santos, Alvaro Uribe, in den Vergleich setzt?
Koenigs: Ja, er hat alles riskiert und hat auch im Zweifelsfalle dazu gestanden. Ich war sehr erfreut, dass er in der schwierigsten Stunde - das war dieses Referendum - gesagt hat, wir bleiben dabei, wir wollen den Frieden, ich will mein Volk in diesen Frieden führen. Das ist auch, wie das Nobelpreiskomitee gesagt hat, ein Zeichen der Hoffnung, dass es klappt. Und für die, die mit Nein gestimmt haben, ist es eine Verpflichtung auch der Welt gegenüber, auch dem Nobelpreiskomitee gegenüber, jetzt wirklich den Frieden so auszuverhandeln, dass er für alle tragfähig ist.
Auf Versöhnung setzen
Barenberg: Wo wir bei den Gegnern und ihren Argumenten sind. Muss man im Rückblick nach dem gescheiterten Referendum jetzt doch sagen, es war ein Fehler, der FARC soweit entgegenzukommen?
Koenigs: Ich glaube, ein verhandelter Frieden ist immer schwierig zu finden. Dass man nicht einen verhandelten Frieden ausmacht, wo dann die eine Seite ins Gefängnis geht, ist eigentlich, das weiß jeder, und dass alle da große Kompromisse eingehen, weiß auch jeder. Man hat nicht geglaubt, dass der Widerstand im Lande so groß ist. Man hat vielleicht auch unterschätzt, dass ein Monat Aufklärung über das, was im Friedensvertrag steht, zu kurz ist. Man hat sicher zu wenig die Bevölkerung beteiligt. Die Verhandlungen sind ja in Havanna passiert und unter einer großen Verschwiegenheit. Das alles hätte man besser machen können. Aber zweifellos ist der Wille zum Frieden ja in Kolumbien breit und diejenigen, die bisher noch nicht dabei sind, müssen jetzt sagen, ja wie kommen wir denn dazu, einen verhandelten Frieden hinzukriegen. Ich glaube, auf Versöhnung zu setzen, den Opfern die nötige Rolle zu geben, dass ihre Würde wiederhergestellt wird, ist der richtige Weg. Ob da nun der eine oder andere Satz oder die eine oder andere Vorschrift geändert wird, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass bald ein Frieden zustande kommt, der die Stabilität im Lande sichert. Denn Instabilität in den Nachbarländern haben wir genug!
Barenberg: Ganz sicher! - Nun ist es so: Wenn ich Ihnen zuhöre, geht es jetzt vor allem ja darum, die Gegner in diesen Friedensprozess mit einzubeziehen, und die Gegner sagen nun vor allem, die Strafnachlässe, die vorgesehen waren für Guerilla-Kämpfer zum einen, und die Chance für ehemalige Guerilla-Kämpfer zum anderen, politische Ämter wahrzunehmen, das sind zwei Punkte, an denen sich die Gegner vor allem stören. Können Sie sich denn vorstellen, wie mit Blick darauf eine künftige Linie, ein Kompromiss möglich sein kann?
Koenigs: Bei allen Verhandlungen ist ein Kompromiss möglich und wenn es einen Willen dazu gibt, dann gibt es dazu auch einen Weg. Ich glaube, man muss alle Beteiligten auffordern, hier konstruktiv zu arbeiten. Man kann immer Kompromisse machen. Auch das, was jetzt vorliegt, ist ja ein Kompromiss. Und man kann auf die eine oder andere Gruppe mehr oder minder zugehen.
Eine Instabilität wäre Gift für den Frieden
Eine Sache, die auch noch in der Luft schwebt, ist die kleinste Guerilla, die ELN, die bisher noch nicht am Verhandlungstisch ist. Vielleicht gibt es ja Gelegenheit, die auch noch dazu zu bringen und die Bevölkerung stärker zu beteiligen. Trotzdem ist Eile geboten, denn eine Instabilität, die sich entwickeln könnte, wäre natürlich auch Gift für den Frieden.
Barenberg: Trauen Sie allen Beteiligten die Eile zu, wenn man bedenkt, dass Santos und Uribe, die beiden Kontrahenten sozusagen, sich ja in keiner Hinsicht einig gewesen zu sein schienen, was die Rahmenbedingungen und die Eckpunkte angeht?
Koenigs: Nach der Kampagne muss man sich auch erst einmal ein bisschen beruhigen und ich glaube, wenn man konstruktiv da herangeht, dann ist das durchaus möglich. Die Vermittler, die bisher gearbeitet haben, allen voran die Regierung von Norwegen, sind ja nun auch dabei und sind erfahren. Ich könnte mir vorstellen, dass es bald zu einem positiven Ergebnis kommt. Ich glaube, dieser Nobelpreis liefert einen Beitrag dazu.
Barenberg: Einen Punkt würde ich gerne noch ansprechen. In dem Beitrag ist es auch erwähnt worden, dass der Guerilla-Führer, der Gesprächspartner von Präsident Santos, nicht den Nobelpreis zugesprochen bekommt. Halten Sie das für einen Fehler, oder ist das genau angemessen, ihn ausschließlich Präsident Santos zuzusprechen?
Koenigs: Das kann ich nicht beurteilen. Ich kann auch nicht beurteilen, ob andere Preisträger vielleicht auch vieles für sich hätten. Ich sehe nur, dass hier sehr deutlich gesagt wird: Derjenige, der als Staatspräsident alle seine Energie für den Frieden eingesetzt hat, ist beispielhaft. Ich würde mir das für viele Staatspräsidenten in dieser Welt wünschen, in der Weise mit dem Frieden umzugehen und von einem Verteidigungsminister, der den Krieg geführt hat, dann in der Präsidentschaft zu einem Präsidenten zu werden, der sein ganzes Prestige für den Frieden einsetzt. Das wäre vielleicht auch mal eine Lösung in anderen Konflikten.
"Die Guerilla ist jetzt in einer Hängepartie"
Barenberg: Wir hören ja jetzt, dass die ersten Kämpfer der FARC sich wieder zurückziehen in ihre Hochburgen im Landesinneren. Weil Sie auch oft jetzt von Eile gesprochen haben und von Dringlichkeit: Wie groß ist denn die Gefahr, dass der Friedensprozess stagniert, ja dass es möglicherweise wieder zu Kämpfen kommt?
Koenigs: Die Guerilla ist jetzt in einer Hängepartie. Die wissen nicht, wie die Zukunft ist. Die wissen auch nicht, wie sie sich verteidigen können, ob sie sich verteidigen müssen, wo die Reise hingeht. Das ist eine äußerst schwierige Situation. Andere Gruppen, auch kriminelle Gruppen versuchen, davon zu profitieren. Ich glaube, die Eile ist schon da, und ich glaube auch, alle Kräfte in Kolumbien müssen sich klar machen, dass die Stabilität ein hohes Gut ist. Man hat jetzt den beidseitigen Waffenstillstand gespürt, das hat erheblich weniger Kriegstote zur Folge gehabt, das kann sich natürlich umdrehen und die menschenrechtliche Situation im Lande ist nach wie vor sehr delikat. Von daher wäre es schon gut, wenn man bald zu einer Einigung käme, die dann auch durch internationale Hilfe überwacht und umgesetzt werden könnte.
Barenberg: Der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag heute hier live im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch, Tom Koenigs. Danke Ihnen.
Koenigs: Danke Ihnen auch, Herr Barenberg.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.