Das Dogma vom Völkischen verenge die Welt, sagte Emcke. "Pseudoreligiöse und nationalistische Dogmatiker" wollten alle einschüchtern, die sich einsetzen für die Freiheit des einzigartigen, abweichenden Individuellen. Sie beschädigten den öffentlichen Diskurs mit ihrem Aberglauben und ihren Verschwörungstheorien und ihrem "eigentümlichen Mix aus Selbstmitleid und Aggressivität". Um sich gegen alltägliche Formen von Demütigungen aufzulehnen, seien wir alle zuständig.
"Menschenrechte sind kein Nullsummenspiel", sagte Emcke. Niemand verliere seine Rechte, wenn sie anderen zugesichert würden. Man müsse einander nicht mögen oder verstehen, könne einander spießig finden, sagte Emcke, und bemühte einen Fußball-Vergleich: "Ich bin Borussia-Dortmund-Fan, ich habe weniger Verständnis für Schalke-Fans und käme trotzdem nie auf die Idee, Schalke-Fans das Recht auf Versammlungsfreiheit zu nehmen."
Emcke spricht über persönliche Erfahrungen mit Intoleranz
Sie sprach auch über ihre persönlichen Erfahrungen als Homosexuelle. Sie prangerte die mangelnde gesetzliche Gleichstellung an: "Wir dürfen Reden halten in der Paulskirche, aber heiraten oder Kinder adoptieren dürfen wir nicht."
Homosexualität "ist nichts, was man sich aussucht, aber es ist das, was ich mir wieder aussuchte, zu sein. Nicht weil es besser wäre, sondern weil es mich glücklich macht." Sie habe geglaubt, wen oder wie sie liebe, sei eine individuelle Frage, und für andere nicht von Belang. Ihr komme es vor, "als sei die Art wie wir lieben, für andere bedeutungsvoller als für uns selbst." Ähnlich sei es mit dem Kopftuch. Für Islamfeinde bedeute es mehr als für diejenigen, die es tragen. "Als gäbe es eine Obergrenze für Menschlichkeit", so Emcke.
Auszeichung als Aufgabe
Einige, die vor ihr als Preisträger an dieser Stelle gestanden hätten, seien für ihr Denken existenziell gewesen. Die Begegnungen mit unter anderem Nelly Sachs, Jürgen Habermas und Susan Sontag hätten sie zu dem gemacht, was sie heute sei. Mit ihnen in einer Reihe zu stehen lasse sie diese Auszeichnung als eine Aufgabe begreife, so Emcke.
Der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann würdigte Carolin Emcke als eine der bedeutendsten Stimmen, die sich gegen Ausgrenzung einsetzen."Solange wir in einer Welt leben in der überall Hass und Krieg herrscht, braucht es Stimmen, die so etwas anmahnen", so Feldmann.
Benhabib: Emcke legt moralisches Zeugnis über Leid ab
Die Philosophin Seyla Benhabib würdigte Emcke als große Erzählerin. Sie habe eine einmalige Mischung aus Reportage, philosophischer Reflexion und literarischer Komposition geschaffen. Durch die könne sie "moralisches Zeugnis ablegen über menschliches Leid" in gewaltsamen Konflikten, aber auch über andere Formen von Leid und Schweigen, die all jene verspüren, die anders sind, sei es sexuell, psychologisch, religiös oder ethnisch.
Benhabib, die gemeinsam mit Emcke bei Jürgen Habermas studierte, sagte: "Ich feiere dich nicht nur als öffentliche Intellektuelle, sondern als Freundin."
(vic/dk)