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Friedenspreis für Jan und Aleida Assmann
"Eine einmalige Konstellation"

Mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der in diesem Jahr an Aleida und Jan Assmann geht, seien "Leute mit streitbaren Thesen ausgezeichnet worden", sagte der Medienwissenschaftler Jochen Hörisch im Dlf. Die beiden Wissenschaftler hätten entscheidende Stichwörter in kulturwissenschaftlichen Debatten platziert.

Jochen Hörisch im Gespräch mit Tanya Lieske |
    Aleida und Jan Assmann werden 2018 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet
    Aleida und Jan Assmann (dpa / picture alliance / imago (Montage))
    Tanya Lieske: 1950 wurde der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zum ersten Mal vergeben. Wir sind im 68. Jahr, und verliehen wird diese Auszeichnung wie jedes Jahr im Rahmen der Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche. Sie haben es in den Nachrichten gehört, die beiden Preisträger 2018 sind Jan und Aleida Assmann. Der Friedenspreis ist ein Vorschlagspreis, jeder kann Kandidaten vorschlagen, und in diesem Jahr geht der Gewinner zurück auf eine Anregung des Literatur- und Medienwissenschaftlers Jochen Hörisch. Vor der Sendung habe ich mit ihm gesprochen und ihn gefragt: Wer sind Jan und Aleida Assmann?
    Jochen Hörisch: Womit soll man anfangen bei einem intellektuellen Paar, das so produktiv ist. Und ich will es gleich vorweg erwähnen, dass die beiden stolze Eltern von fünf Kindern und einer ganzen Reihe von Enkelkindern sind. Es gibt den schönen alten lateinischen Spruch, "et liberi et libri", Bücher und Kinder in die Welt zu setzen.
    Und das haben beide gemacht: Aleida Assmann als bedeutende Kulturtheoretikerin mit anglistischem amerikanistischem Schwerpunkt, und Jan Assmann als der, man darf wirklich den Superlativ verwenden, weltweit bedeutendste Ägyptologe. Dass es dem Vertreter eines sogenannten Exotenfaches wie der Ägyptologie gelungen ist, absolut entscheidende Stichwörter für kulturwissenschaftliche und analytische Debatten weltweit zu platzieren, in Zusammenarbeit mit seiner Frau Aleida Assmann, das ist eine einmalige Konstellation.
    Verwebungsmuster der individuellen Geschichte in die große Weltgeschichte thematisieren
    Lieske: Ein richtiges Power-Paar. Zentral in ihrem Schaffen ist der Begriff des kulturellen Gedächtnisses. Was kann ich mir darunter vorstellen?
    Hörisch: Das kulturelle Gedächtnis meint, dass nicht nur Sie und ich und alle Hörer ein je individuelles Gedächtnis haben, sondern dass unsere Form des Gedächtnisses eingebettet ist in die Gedächtnisfunktionen der anderen und dass dieses Gedächtnis kulturell gesteuert ist und kulturell auch eine wichtige Funktion übernimmt.
    Wie gehen wir um mit den Erinnerungen, die uns eher unangenehm sind? Wie geht eine Kultur etwa damit um, dass sie traumatisierende Ereignisse in die Welt gesetzt hat? Ich denke an Nazi-Deutschland. Ist das, um das grauenhafte Wort von AfD-Politiker Gauland zu zitieren, ein Vogelschiss, der vergleichsweise unbedeutend ist auf dem Hintergrund tausendjähriger deutscher Geschichte, oder ist das Tausendjährige Reich ein Ereignis, das man auch gedächtnispolitisch ernst nehmen muss?
    Und genau so argumentieren Jan und Aleida Assmann, wenn sie vom kulturellen Gedächtnis sprechen. Es gehört ja zu den eigentümlichen Erfahrungen, die wir machen und die man nicht häufig genug analysieren und herausstellen kann, dass Deutschland in dem Maße, wie es sich seiner Vergangenheit gestellt hat und nicht darum herumgeredet hat, stärker, selbstbewusster und weniger pathologisch geworden ist als etwas mit einer Politik der Verdrängung all der Traumata, die durch Nazi-Deutsche in die Welt gekommen sind.
    Lieske: Sie haben jetzt gleich die wichtige politische Bedeutung dieses Begriffs "Das kulturelle Gedächtnis" hervorgehoben. Jochen Hörisch, hat das Ganze vielleicht aber auch noch eine individuelle, eine persönliche Dimension?
    Hörisch: Wir sind in Geschichten verstrickt. Unsere jeweilige individuelle, unverwechselbare Lebensgeschichte ist ja eingewebt in die große Weltgeschichte, in die Geschichte unserer Region, in die Geschichte unseres Landes, unserer, wenn man religiös ist, Religion, unserer Kultur.
    Und dieses Verwebungsmuster der individuellen Geschichten in die große eine Weltgeschichte, die ist es wirklich wert, thematisiert und analysiert zu werden. Das ist vollkommen nachvollziehbar, dass jeder dann seine individuellen Akzente setzen kann und auch Anspruch darauf hat, in der Individualität seiner Erinnerungs-, seiner Gedächtnisleistung ernst genommen zu werden.
    Da finden Differenzen statt und gerade diese Differenzen setzen einen Kommunikationsbedarf frei, der enorm ist. Insofern muss man dem kulturellen Gedächtnis als dem geteilten Gedächtnis einer größeren Menschengruppe das kommunikative Gedächtnis gegenübersetzen.
    Ich will es einfach illustrieren: Das kommunikative Gedächtnis ist das, was man in der engeren Privatsphäre weitergibt, was der Opa, der Uropa vom Krieg erzählt, was die Eltern für Erfahrungen versuchen, weiterzugeben an die Kinder. Aber auch die Kinder können schon mit dem eigenen Gedächtnis kommunikativ gegen das halten, was ihnen Eltern und Großeltern vermitteln. Kommunikatives Gedächtnis ist das individualisiert-akzentuierte Gedächtnis, das man vom kulturellen Gedächtnis wenn nicht absetzen, so doch differenzieren kann.
    "Es sind Leute mit streitbaren Thesen ausgezeichnet worden"
    Lieske: Erinnerung und Gedächtnis ist ein Schwerpunkt, den Aleida Assmann in die gemeinsame Arbeit hineingebracht hat. Jan Assmann – er ist Ägyptologe – hat sich sehr mit der Hinterfragung des Monotheismus beschäftigt.
    Was genau hat er gesagt? Und vielleicht auch schon in einem zweiten Gedanken: Er hat ja immer nicht nur Fürsprecher bekommen für seine Gedanken, Jochen Hörisch.
    Hörisch: Das macht ja diese Preisvergabe zu so einer großartigen Preisvergabe, dass Leute, die nicht Triviales sagen – das Triviale kann ja angenehm und zustimmungspflichtig sein; man ist dann für einen Konsens oder für wechselseitige Anerkennung -, sondern dass wirklich Leute mit streitbaren Thesen ausgezeichnet worden sind. Und besonders umstritten ist die für mich absolut überzeugende These von Jan Assmann, dass monotheistische Religionen, die an einen Gott und an nur einen Gott glauben, ein großes Eskalationspotenzial haben.
    Man kann sich die Überlegung sofort plausibel machen. Der Polytheismus hat heitere Dimensionen, wir überlassen den anderen ihre Götter, machen uns darüber lustig. Es gibt aber kein großes Konfliktpotenzial, weil die Götter der anderen uns allenfalls aus einer heiteren Perspektive amüsieren. Wir nehmen sie nicht ernst. Und wir ahnen dunkel, dass wir auch unsere eigenen Götter, wenn wir Polytheisten sind, also an mehrere Götter, einen für die Ernährung, einen für die Liebe, einen für den Krieg und so weiter glauben, dass wir dann kein großes Problem haben.
    Wenn ich unterscheide zwischen der wahren Religion, die sich offenbart hat, muss ich sofort auch die Unterscheidung machen von Gläubigen und Ungläubigen, von Heiden und von Christen. Man merkt dann sehr schnell, wie stark das polemische Potenzial ist. Jan und Aleida Assmann befinden sich da in einer besten Gesellschaft. Sie argumentieren wie Goethe, nämlich so, dass man sagt, es ist offenbar, dass Gott nicht offenbar ist. Wer anders argumentiert, versündigt sich gegen den Gott, den er glaubt, verteidigen zu müssen.
    Gerade die Monotheismus-kritische Analyse von Jan Assmann hat ganz großes Befriedigungs- und Befriedungspotenzial, weil sie die allgemeine falsch verstandene Toleranz nicht mitmacht. Man ist nicht tolerant, wenn man monotheistisch argumentiert. Man ist dann geradezu verpflichtet, intolerant zu sein.
    Besondere Leistung: Den fremden Blick auf die eigene Kultur richten
    Lieske: Wie hat er das wissenschaftlich hergeleitet?
    Hörisch: Wissenschaftlich hergeleitet hat er das als grandioser Ägyptologe, nämlich mit der These, dass die Idee des Monotheismus im Ägypten des Echnaton in die Welt kommt. Man muss ja auf diese Idee erst einmal verfallen, dass man nicht Stammesgottheiten hat, die dann für den Stamm alleine Geltung beanspruchen, sondern dass es einen Gott mit universaler Zuständigkeit für alle Lebensbereiche in allen Regionen der Welt und zu allen Epochen der Welt gibt.
    Das ist die Idee, die bei Echnaton im alten Ägypten entsteht, und da brauchte man die unglaubliche Kompetenz von Jan Assmann, dem es gelungen ist, als Vertreter eines Exotenfaches den fremden Blick auch auf die eigene Kultur zu werfen – übrigens nebenher eine kleine Werberede dafür, wie gut Universitäten beraten sind, wenn sie sogenannte Exotenfächer wie Byzantinistik oder Ägyptologie pflegen. Da kann man zu Thesen kommen, gerade aus der Entfernung, aus der Distanz zur eigenen Kultur, die unendlich produktiv sein können.
    "Beide sind der Verpflichtung nachgekommen, sich verständlich auszudrücken"
    Lieske: Das klingt alles sehr einleuchtend. Es klingt sehr intelligent. Es klingt auch sehr komplex. Wie verständlich sind denn die Bücher der beiden?
    Hörisch: Wunderbar lesbar. Wenn wir überlegen, dass sehr viele Wissenschaftler glauben, sie müssten schlecht schreiben, damit jeder merkt, dass es um die Sache und nur um die Sache geht, dann können Sie sich von Aleida und Jan Assmann eines Besseren belehren lassen. Beide sind, wenn ich leicht ironisch sein darf, wahrscheinlich auch auf dem Erfahrungshintergrund, fünf Kinder zu haben, der Verpflichtung nachgekommen, sich verständlich auszudrücken, und beide haben deshalb auch ein Publikum bekommen, was ja nicht selbstverständlich ist für Wissenschaftler.
    Viele Wissenschaftler schreiben bloß für die Kolleginnen und Kollegen. Jan und Aleida Assmann schreiben für die Welt und die Welt ist gut beraten, wenn sie hinhört und liest. Tolle lege, nimm und lies – das ist ein Impuls, den Augustinus ausgesprochen hat, als er zur Bibel griff. Man ist, glaube ich, gut beraten, wenn man diesem augustinischen Impuls, tolle lege, nimm und lies, schlag das Buch auf, mach dich schlauer als du bist, auch im Hinblick auf Jan und Aleida Assmann nachkommt.
    Jan und Aleida Assmann: Liebenswürdig, bescheiden, hinhörend auftretend
    Lieske: Vom Besuch an der Frankfurter Buchmessen sind die freundlichen und offenen Gesichter der beiden bekannt. Sie, Jochen Hörisch, haben das Vergnügen, die beiden auch privat zu kennen. Was ist denn zu den Privatmenschen Aleida und Jan Assmann zu sagen?
    Hörisch: Dass sie auf eine Art und Weise liebenswürdig, bescheiden, hinhörend auftreten, was ganz ungewöhnlich ist, wenn man überlegt, wieviel Arroganz, wieviel Besserwisserei, auch wieviel Konkurrenzverhältnisse im Wissenschaftsbetrieb eine Rolle spielen. Dann würde ich, wenn ich nach einem und nur einem Wort suchen müsste, das die beiden auszeichnet, von Großzügigkeit, von Gastgebergroßzügigkeit, von intellektueller Großzügigkeit, von hermeneutischer Großzügigkeit sprechen. Da finden Sie so schnell nicht ihresgleichen.
    Lieske: Wie oft haben Sie, Jochen Hörisch, dem Stiftungsrat des Deutschen Börsenvereins schon künftige Gewinner des Friedenspreises vorgeschlagen?
    Hörisch: Genau einmal! Ich habe mit einer gewissen Insistenz in den letzten, ich weiß nicht mehr, vier, fünf Jahren diese beiden Namen genannt. Aber ich bin vielleicht auch nicht der einzige. Ich denke, dass der Vorschlag auf eine wunderbare Art und Weise plausibel ist, und kann mir lebhaft vorstellen, dass die Jury beeindruckt war, dass diese Namen aus unterschiedlichen Ecken häufiger genannt worden sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.