Seine Geschichte komme ihm vor wie die von Manuel Neuer, der als Kind in der Bettwäsche von Schalke 04 geschlafen und später selbst für den Verein gespielt habe, sagte Kermani im Deutschlandfunk. Die erste Friedenspreisrede, an die er sich erinnern könne, sei die von Ernesto Cardenal gewesen. Der Dichter aus Nicaragua wurde 1980 ausgezeichnet.
Ihm selbst gehe es bei Arbeit als Autor nicht darum Christen und Muslime zusammenzuführen, diesen "missionarischen Ehrgeiz" habe er nicht. Gleichwohl beschäftige in das Thema, deshalb komme es auch in seinen Büchern vor. Damit stünde er in einer Tradition deutscher Literatur, die immer politisch, und religiös gewesen sei. Beides gemeinsam stelle keinen Widerspruch dar.
"Wer militärisch eingreift, muss Verantwortung übernehmen"
Der 47-Jährige rief außerdem zu mehr Engagement im Kampf gegen die IS-Terroristen auf. Man müsse deren Gegner militärisch stärken. Dass er mit der deutsche Friedensbewegung aufgewachsen sei, habe ihn "nicht naiv gemacht". Es gebe Situationen, in denen Gewalt notwendig sei.
Zugleich betonte Kermani, wer militärisch eingreife, müsse Verantwortung übernehmen. Man könne zwar ein Land durchaus aus hehren Motiven angreifen, aber man dürfe es dann nicht sich selbst überlassen. Deutschland hätte sich anders entwickelt, wenn die USA nach dem Zweiten Weltkrieg die Staatsstrukturen zerstört hätten und abgezogen wären. Im Irak sei genau das geschehen.
Der Schriftsteller und Orientalist mit iranischen Wurzeln war gestern als neuer Friedenspreisträger benannt worden.
Das Interview in voller Länge:
Friedbert Meurer: Seit 65 Jahren wird im Rahmen der Frankfurter Buchmesse der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen, eine der am meisten beachteten Auszeichnungen in unserem Land. Preisträger waren zum Beispiel Albert Schweitzer, Hermann Hesse, Ernst Bloch, Lew Kopelew oder Astrid Lindgren. Ausgezeichnet werden Persönlichkeiten, die in der Literaturwissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen haben. Gestern wurde der Preisträger dieses Jahres mitgeteilt. Er heißt Navid Kermani, ein deutscher Islamwissenschaftler und Schriftsteller mit iranischen Wurzeln. Guten Morgen, Herr Kermani.
Navid Kermani: Guten Morgen.
Meurer: Was bedeutet Ihnen dieser Friedenspreis? Und herzlichen Glückwunsch natürlich!
Kermani: Ja. Erst mal vielen Dank. Ich bin mit diesem Preis groß geworden. Schon wenn Sie diese Namen nennen, da wird einem ja ganz anders im Magen. Das ist wirklich unglaublich. Ich habe schon als Jugendliche diese Friedenspreise verfolgt. Mein Vater sah das immer vor dem "Internationalen Frühschoppen" Sonntagmorgens und ich kann mich an meiste erste Friedenspreisrede erinnern, die ich richtig bewusst erlebt habe. Das war Ernesto Cardenal Anfang der 80er-Jahre aus der nicaraguanischen Friedensbewegung. Und dass ich da jetzt selber stehe, das ist schon sehr, sehr merkwürdig, und ich habe ja noch ein bisschen Zeit, das zu realisieren.
Meurer: Was war Ihre Reaktion, als Sie davon erfahren haben, dass Sie den Preis erhalten sollen?
Kermani: Das hat erst mal ein bisschen gedauert, bis ich das geglaubt habe. Ich habe das gestern irgendwem gesagt. Mir kommt das so vor, wie wenn man Manuel Neuer hört, der früher in Schalke-Bettwäsche geschlafen hat oder in der Fankurve war, und plötzlich im Parkstadion in Gelsenkirchen zwischen den Pfosten stand. Ein bisschen kommt mir das so vor. Ich bin mein ganzes Leben lang Leser gewesen und verehre viele dieser Friedenspreisträger, und dass ich nun selbst irgendwie in diese Reihe gehöre, das ist ganz merkwürdig.
"Ich habe auch gar nicht diesen missionarischen Ehrgeiz"
Meurer: Sie sind in Siegen geboren, zur Schule gegangen, Herr Kermani. Sie gelten sozusagen als derjenige, dem es ein besonderes Anliegen ist, Christentum und Muslime aufeinander zuzuführen. Ist das Ihr großes Thema?
Kermani: Nein. Selbst wenn man meine Bücher sieht, ist das nicht mein großes Thema. Ich habe auch gar nicht diesen missionarischen Ehrgeiz, irgendwen zusammenzuführen. Es ist einfach so, dass mich vieles beschäftigt und ich einfach sehr viel mich mit dem Christentum beschäftige, auch mit dem Islam, aber mit so viel anderem auch, und das kommt einfach in meinen Büchern zusammen. Ich sehe da nicht, dass da irgendwie ein Christ und ein Muslim zusammensitzen sollten und sich verständigen sollten. Die, die sich verstehen wollen, die tun das ja auch, und das Problem sind eher diejenigen, die gar keine Lust haben, sich zu verstehen, und die erreicht man mit solchen Büchern auch wahrscheinlich gar nicht. Nein, ich bin einfach neugierig und all die verschiedenen Welten in meinem Kopf und in meinem Bücherregal, die kommen dann auch in meinen Büchern zusammen.
Meurer: Diese Neugierde, ist das der Grund, warum Ihr nächstes Buch nach vielen Büchern über den Islam vom Christentum handeln wird?
Kermani: Ja. Da geht es dann in der Tat darum, dass ich nach vielen Jahren auch ein Buch über das Christentum schreibe, das mich schon so früh und viele Jahre schon begleitet, mit dem ich ja auch aufgewachsen bin in Deutschland, und der Titel "Ungläubiges Staunen" ist ein bisschen auch meine Haltung. Ohne dass ich jetzt da konvertiere, ist es doch ein empathisches und wohlgesonnenes Staunen, und das versuche ich auch in dem neuen Buch zu vermitteln.
Meurer: Einige werden sich erinnern, Herr Kermani. 2009 haben Sie den hessischen Kulturpreis bekommen mit einigen Preisträgern zusammen. Da gab es gewaltigen Ärger. Da wurde Ihnen, kurz gesagt, vorgeworfen, das christliche Kreuz zu kritisieren. Sind Sie da völlig damals missverstanden worden? Was ist davon für Sie geblieben aus dieser Episode?
Kermani: Nichts. Ich glaube, das war ja auch klar, dass das praktisch von der gesamten Öffentlichkeit und vor allem auch von den Kirchen damals nicht so gesehen wurde, und es war damals auch sehr, sehr schön, wie gerade auch aus den Kirchen so viel Zuspruch kam.
Meurer: Aber Kardinal Lehmann hat Sie ziemlich frontal kritisiert.
Kermani: Ja, aber er war der Einzige und er blieb praktisch isoliert und es gab niemanden, der öffentlich zumindest das so gesehen hätte. Und vor allem: Wir haben uns ja dann auch verstanden und wir haben uns getroffen und diese Preisvergabe verlief dann ja auch sehr friedlich und freundschaftlich.
Meurer: Sie sind damals ein bisschen so verstanden worden, dass Sie den christlichen Märtyrer-Kult kritisieren, der sich da am Kreuz festmacht. Wie hatten Sie das gemeint?
Kermani: Herr Meurer, das ist schon so lange her und da ist so viel drüber damals geschrieben worden. Ich habe das alles schon vergessen. Ich habe so viele Bücher geschrieben und ich glaube wirklich nicht, dass das jetzt irgendwie der Grund war jetzt für diesen Friedenspreis. Das war nicht angenehm, da von sehr ehrenwerten Personen aus meiner Sicht so missverstanden zu werden, und vor allem, es ist wirklich ein absoluter Nebenaspekt meiner Bücher. Das ist nun wirklich nicht das, was im Mittelpunkt meines Werkes steht.
Meurer: Haben Sie schon eine Idee, Herr Kermani, was Sie in den Mittelpunkt Ihrer Rede in der Paulskirche stellen werden?
Kermani: Ja, Ideen habe ich viele. Aber was sich nun dann am Ende herauskristallisiert, das weiß ich noch nicht.
Meurer: Thema Islam zum Beispiel?
Kermani: Hier ist das ein Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Zunächst mal bin ich Schriftsteller und .... ich bin noch nicht mal Islamwissenschaftler. Das muss ich vielleicht auch noch korrigieren. Ich bin Orientalist, also Philologe, und kein Religionswissenschaftler, auch wenn das gelegentlich immer wieder so heißt. Erst mal bin ich ein Schriftsteller und beschäftige mich mit Literatur. Das ist mein Hauptthema und das ist der Ausgangspunkt natürlicherweise auch in einer Preisrede für den Preis, der vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergeben wird. Aber Literatur ist natürlich nicht unpolitisch und gerade die deutsche Literatur, bis zum Zweiten Weltkrieg vor allem, ist nicht areligiös. Gerade die deutsche Literatur hat ja immer diesen metaphysischen Bezug gehabt, von Lessing über Goethe bis zu Kafka, und insofern ist das kein Widerspruch.
Meurer: Die Deutschen diskutieren seit Jahr und Tag, ob sie an Friedensmissionen, an militärischen Aktionen teilnehmen sollen. Wir hatten die Diskussion gehabt, was sollte man tun, um den Syrern zu helfen, die Diskussion um den "Islamischen Staat". Sind die Deutschen da zu pazifistisch geworden?
Der Irak-Krieg: "Ein kapitaler Fehler"
Kermani: Das will ich so pauschal nicht sagen und lieber zu pazifistisch als militaristisch. Aber es ist schon so, dass auch aufgrund der wirklich fatalen und falschen Kriege der letzten Jahre man vielleicht nicht dann früh genug reagiert hat, als es wirklich die konkrete Chance gab, Völkermord oder den Angriff auf die Zivilbevölkerung in Syrien zu verhindern. Das hat ja dazu geführt, dass die Extremisten stärker wurden. Ich glaube, so wie der Irak-Krieg ein kapitaler Fehler war, so war auch das absolute Nichteingreifen. Es ging ja nicht darum, dass man Bodentruppen sendet, aber zum Beispiel so etwas wie UNO-Beobachter oder eine Flugsicherheitszone, Flugschutzzone in Syrien. Solche Dinge wären ja Anfangs der syrischen Revolution möglich gewesen. Aufgrund der fatalen Fehler im Vorhinein war die Weltgemeinschaft dann zu zurückhaltend, auch zu müde vielleicht, und das hat dann zu dieser Eskalation geführt. Jetzt ist es natürlich sehr, sehr schwierig, da noch angemessen zu reagieren. Der Krieg ist ja in vollem Gange und man muss versuchen, diejenigen Kräfte zu stärken natürlich, und das heißt auch, militärisch zu stärken - das will ich doch durchaus sagen -, die sich gegen den IS stemmen.
Meurer: Frieden schaffen also mit Waffen, zum Beispiel gegenüber dem Islamischen Staat?
Kermani: Ich bin aufgewachsen mit der deutschen Friedensbewegung. Das hat mich politisch sozialisiert, aber das hat mich nicht naiv gemacht. Es gibt Situationen, die hat es in der Geschichte immer wieder gegeben, und gerade als Deutsche müssten wir das doch wissen. Es gibt Situationen, wo militärische Gewalt notwendig ist. Nur - und das ist der Fehler der letzten Jahre gewesen - wer militärisch eingreift, der übernimmt Verantwortung. Man kann nicht ein Land wie Afghanistan oder ein Land wie Irak angreifen, eventuell sogar aus hehren Motiven. Dieser oder jener muss das gehabt haben. Aber dann muss man Verantwortung für dieses Land übernehmen. Man kann es nicht einfach sich selbst dann überlassen. Stellen Sie sich vor, die Amerikaner hätten das, was sie im Irak gemacht haben, in Deutschland gemacht, hätten Deutschland erobert, aber dann den gesamten deutschen Staat abgeschafft und geplündert, die Rohstoffe, die es ja nun nicht gab, aber jedenfalls die Industrie geplündert, und hätten dieses Land wirklich mit Verachtung gestraft. Ich glaube nicht, dass Deutschland sich so auch auf eine Weise wunderbar entwickelt hätte wie in den letzten 50, 60 Jahren. Insofern gehört selbst zum gelegentlichen notwendigen Einsatz militärischer Mittel immer eine Friedensstrategie.
Meurer: Navid Kermani, Orientalist, Schriftsteller, erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2015. Das wissen wir seit gestern. Herr Kermani, noch mal herzlichen Glückwunsch zu diesem Preis und danke schön für das Interview hier bei uns im Deutschlandfunk.
Kermani: Ja, vielen Dank.
Meurer: Auf Wiederhören!
Kermani: Tschüss.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.