Gisa Funck: Hallo, Frau Mika, Sie sitzen schon länger im neunköpfigen Stiftungsrat des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, der alljährlich über den Friedenspreisträger entscheidet. Und im Oktober 2019 wird nun der 1944 in Brasilien geborene Fotograf Sebastiao Salgado (so wurde heute Vormittag bekannt), die ehrenvolle Auszeichnung erhalten. Das ist ja schon etwas ungewöhnlich für einen Preis, der vom Berufsverband der Verlage und Buchhandlungen gestiftet wird. Denn Salgado ist ja Fotograf, also nicht wie quasi alle seine Preis-Vorgänger ein Publizist, Gelehrter oder Schriftsteller?!
Erstmals ein Fotograf als Friedenspreisträger
Bascha Mika: Das ist richtig, aber es ist trotzdem, wie ich finde, eine großartige Wahl! Denn Sebãstiao Salgado ist ein Bildkünstler, der natürlich trotzdem sehr viele Bücher, also Fotobände veröffentlicht hat. Und das, was er in seinen Bildern beschreibt und versucht hat, über viele Jahrzehnte einzufangen, das sind ganz aktuelle Themen, die uns gerade beschäftigen. Es geht um Flüchtlinge. Es geht um Umweltzerstörung. Es geht darum, wie Menschen heute arbeiten müssen. Es geht um Not und Elend und Krieg. Das hört sich jetzt alles ganz furchtbar an. Aber es sind ja nicht nur Schreckensbilder, sondern Salgado hat ja auch versucht, die Schönheit der Natur einzufangen in seinen Bildern: Etwa das Ungewöhnliche einer Baumrinde, das Wunderbare eines Steines. Also er ist ein großartiger Bildkünstler! Und auch wenn die Entscheidung für ihn ungewöhnlich ist, ist Sebastiao Salgado gerade in diesem Jahr genau der richtige Preisträger!
Funck: Von Beginn an hat sich Salgado bei seinen fotografischen Langzeitprojekten mit Armut, Krieg, Flucht, Heimatlosigkeit und Ausbeutung beschäftigt. Vor allem in Afrika, aber auch in seiner Heimat Brasilien. Und er bevorzugte dafür ja immer die Schwarz-Weiß-Fotografie. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Salgado bei seinen oft opulenten Fotos so strikt auf Schwarz-Weiß setzt?
"Seine Schwarz-Weiß-Bilder haben etwas Zeitloses"
Mika: Also ich glaube, Schwarz-Weiß-Fotografien arbeiten die Kontraste stärker heraus. Und sie haben gleichzeitig etwas Zeitloses. Viele seiner Fotografien muten ja an wie Gemälde. Da gibt es sozusagen die Anordnung von Personen in bestimmten Ecken des Bildes. Da gibt es den Vorder- und den Hintergrund, die wie inszeniert aussehen. Und ich glaube, diese Art zu fotografieren, lässt sich sehr viel besser in Schwarz-Weiß einfangen. Wenn man Salgados Fotos sieht, hat das immer auch etwas mit Verharren und Versenken zu tun. Das heißt, er wartet immer auf den richtigen Moment. Und ich glaube auch tatsächlich, dass er manche seiner Bilder gestellt hat, indem Sinne, dass er manchmal auch gewartet hat oder Menschen auch mal so in die eine oder andere Position gerückt hat, dass ihm die Komposition gefallen hat. Aber er hat sich ja auch nie als Fotojournalist, sondern als Fotokünstler verstanden. Und deswegen finde ich das auch legitim. Und dieses teilweise sehr grobkörnige Schwarz-Weiß schafft einerseits in unserer Sichtweise ein bisschen Distanz, aber gleichzeitig auch ein Stück Ewigkeit in diesen Bildern. Wenn Sie sich zum Beispiel seine Flüchtlingsbilder anschauen, er ist in der ganzen Welt herumgereist und hat entwurzelte Menschen fotografiert. Und wenn Sie sich diese Bilder anschauen, dann haben Sie den Eindruck, das könnte das Lager Moria (auf Lesbos) sein. Oder es könnte eines dieser grässlichen, KZ-ähnlichen Lager in Libyen sein. Darin steckt auch so ein Stück Zeitlosigkeit (in Salgados Bildern).
Funck: Saldago hat zunächst als Fotograf mit "Ärzte ohne Grenzen" oder auch mit "Reporter ohne Grenzen" zusammengearbeitet und Fotobände veröffentlicht wie "Migration" oder "Kinder der Migration", die beide im Jahr 2000 erschienen sind. Das waren Bücher, die auf das Schicksal der mittlerweile knapp 60 Millionen. Flüchtlinge weltweit aufmerksam gemacht haben. 1994 war er als Fotograf auch direkt mit dem Völkermord in Ruanda konfrontiert. Und das hat ihm nach eigener Aussage schwer zu schaffen gemacht. Denn seit der Ruanda-Erfahrung reist Salgado nicht mehr als Fotograf in Krisen- und Kriegsregionen, sondern er hat sich seit Ende der 90er Jahre der Natur- und Landschaftsfotografie zugewandt. Und macht nun Bilder, die gerade die Schönheit und Naturwunder der Erde erzählen. Kann man sagen, dass Sebastiao Salgado sich mit dem Band "Afrika" (2007) heraus oder mit dem Mammutwerk "Genesis" aus dem Jahr 2013 noch einmal selbst als Kunstfotograf neu erfunden hat?
"Seine Naturbilder zeigen, die Welt ist nicht nur fürchterlich!"
Mika: Nein, ich glaube nicht. Sondern ich glaube, Salgado versucht nur die andere Seite der Medaille zu zeigen. Denn jeder kann nachvollziehen, dass ein Mensch, der sich so viel Tod, Leid und Schrecken ausgesetzt hat, wie es Salgado bei seiner fotografischen Arbeit getan hat, dass so jemand auch irgendwann mal zeigen will: Die Welt ist nicht nur so fürchterlich, die Welt ist auch anders.
Funck: Der seit 1950 vergebene "Friedenspreis des deutschen Buchhandels" gilt traditionell als eine Auszeichnung, die ein gesellschaftspolitisches Signal aussendet. Und die durchaus auch öffentliche Debatten befördern soll. Kann/soll man die Entscheidung für den bekennenden Umweltaktivisten und Flüchtlings-Chronisten Salgado nun auch als ein politisches Statement verstehen?
Mika: Ich denke ja! Der Friedenspreis war nie unpolitisch. Und bei "Fridays for future", da zeigen uns junge Menschen jeden Freitag seit vielen Monaten, dass wir etwas tun müssen, um diese Erde zu bewahren. Dass wir sie nicht weiter schänden dürfen. Und in diesem Zusammenhang, aber auch wegen seines Einsatzes für Menschen und Menschenrechte ist Salgado ein großartiger Preisträger!