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Friedensvertrag von Rawalpindi
Als Afghanistan unabhängig wurde

Mit dem Friedensvertrag von Rawalpindi endete im August 1919 der dritte und letzte der anglo-afghanischen Kriege. Wenige Tage später erklärte der spätere König Amanullah die Unabhängigkeit seines Landes. Doch ein Teil „Paschtunistans“ blieb unter britischer Hoheit - mit Folgen bis heute.

Von Matthias Bertsch |
    Der afghanische König Amanullah in einer zeitgenössischen Aufnahme.
    König Amanullah von Afghanistan sicherte die Unabhängigkeit seines Landes und versuchte es zu modernisieren. (dpa)
    "Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt, Ein Reiter vor Dschellalabad hält, "Wer da?" - "Ein britischer Reitersmann, Bringe Botschaft aus Afghanistan."
    So beginnt das Gedicht "Das Trauerspiel von Afghanistan", in dem der damals in London lebende Theodor Fontane 1858 das für Großbritannien traumatische Ende des ersten anglo-afghanischen Krieges beschreibt.
    "Wir waren dreizehntausend Mann, Von Kabul unser Zug begann, Soldaten, Führer, Weib und Kind, Erstarrt, erschlagen, verraten sind."
    Spielbrett zwischen den Supermächten
    Was im Januar 1842 mit der Vertreibung und schließlich vollständigen Vernichtung der britisch-indischen Armee endete, hatte 1839 mit ihrem Einmarsch nach Afghanistan begonnen. Die britische Krone hatte gehofft, in Kabul einen willfährigen Herrscher einsetzen zu können und damit ihre Vorherrschaft in Zentralasien zu sichern. Gefährdet sah sie diese vor allem durch den Aufstieg Russlands, das ebenfalls Ansprüche auf Einfluss in der Region anmeldete. Afghanistan wurde zum Spielbrett des Great Game, des Großen Spiels zwischen den beiden Supermächten – und ihren Schriftstellern.
    "Auf der russischen Seite war es Fjodor Michailowitsch Dostojewski, der einen Essay schrieb: "Was bedeutet Asien für uns?", und auf der anderen Seite war es Rudyard Kipling, der sozusagen das "white man's burden" , die zivilisatorische Mission des weißen Mannes, hervorgebracht hat, dass man also nach Afghanistan die Zivilisation zu bringen hatte - also beiderseits ein Vorwand, um sich dieses Territorium einverleiben zu können."
    Im Grunde ging es um ökonomische Interessen, so der Afghanistan-Experte der Freien Universität Berlin, Hermann Kreutzmann.
    "Großbritannien monopolisierte sich den indischen* Subkontinent und wollte verhindern, dass andere Waren und Warenströme aus anderen Teilen der Welt über die russischen Eisenbahnen, die nach Zentralasien führten, nach Britisch-Indien eingeführt wurden und dann eine Konkurrenz darstellen könnten."
    Afghanistan-Experte: "Das Paschtunistan-Problem"
    Nach dem verlorenen ersten folgte 1878 der zweite anglo-afghanische Krieg. Wieder marschierte die britisch-indische Armee in Afghanistan ein, um ihre Vorherrschaft in der Region zu sichern und den Einfluss Russlands zurückzudrängen. Doch der Versuch, eine gefügige Regierung einzusetzen, scheiterte erneut – nicht zuletzt, weil es niemand gab, der das ethnisch vielfältige Land geeint hätte. Die größte Volksgruppe waren die Paschtunen, die die Herrscher des Landes stellten und im Kampf gegen die britischen Kolonialinteressen die Führungsrolle übernahmen.
    Als der afghanische Sultan und spätere König Amanullah 1919 den dritten anglo-afghanischen Krieg begann, waren die Briten durch den Ersten Weltkrieg geschwächt. Doch der Einsatz ihrer Luftwaffe stoppte den afghanischen Vormarsch, und so kam es am 8. August zum Friedensvertrag von Rawalpindi. Elf Tage später, am 19. August, verkündete Amanullah die Unabhängigkeit seines Landes, obwohl es ihm nicht gelungen war, alle Siedlungsgebiete der Paschtunen in den neuen Staat zu integrieren. Ein Teil "Paschtunistans" blieb unter britischer Hoheit und gehört heute zu Pakistan.
    "Dieses Paschtunistan-Problem ist das ganz große Problem, was aus diesem Vertrag von Rawalpindi übriggeblieben ist. Die Unabhängigkeit konnte nicht so gestaltet werden, wie der afghanische Verhandlungsführer, König Amanullah, sich das vorgestellt hatte."
    Regionale Interessen häufig wichtiger als nationale Interessen
    Der neu ausgerufene Staat wurde als erstes von Russland anerkannt, Deutschland folgte wenig später. Amanullah betrieb eine Politik der Modernisierung, die sich an der Weimarer Republik und der Türkei Kemal Atatürks orientierte. Doch als der König den Schleierzwang in Afghanistan abschaffen wollte, wurde er gestürzt. Große Teile der Landbevölkerung, aber auch viele Stammesfürsten verweigerten sich den Reformen – und diese Vorbehalte blieben. Die Loya Dschirga, die Große Versammlung der Stammesfürsten, ist bis heute für viele Fragen in Afghanistan wichtiger als die Zentralregierung in Kabul.
    "Das ist dasselbe Missverständnis, dass die Alliierten Truppen nach dem 11. September 2001 hatten, dass sie im Petersberg-Abkommen gedacht haben, wenn sie einen Herrscher, Karsai, in Kabul installieren, dass dann das Land befriedet ist. Und das ist in Afghanistan noch nie so gewesen, es hat immer diese regionalen Besonderheiten gegeben, die regionalen Herrscher, manchmal werden sie als warlords bezeichnet. Die regionalen Interessen spielten in Afghanistan häufig eine größere Rolle als nationale Interessen. Dass so ein Nationalstaat 1919 herausgekommen ist, ist eigentlich ein Ergebnis der internationalen Politik, kein Bedürfnis aus Afghanistan heraus."
    Ein Nationalstaat wollten und wollen die Afghanen eigentlich nur in einer Situation sein: wenn ihre Unabhängigkeit von außen bedroht wird.
    (*) Anmerkung der Redaktion: Wir haben an dieser Stelle einen Fehler in der ersten Fassung des Onlinebeitrags korrigiert.