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Friedhöfe in Wien
Wollust des Morbiden

Mozart, Falco und Udo Jürgens - sie alle sind auf Friedhöfen in Österreichs Hauptstadt begraben. Doch Wiener Friedhöfe sind nicht nur letzte Ruhestätte, sondern dienen vielen Besuchern auch als Oasen der Besinnung sowie als Ort, an dem eine intensive Begegnung mit der Natur möglich ist.

Von Werner Bloch |
    Auf dem Wiener Zentralfriedhof - das Grabmal des Musikers Falco
    Auf dem Wiener Zentralfriedhof - das Grabmal des Musikers Falco (dpa / Thomas Muncke)
    "Die Straßenbahn, mit der wir hierher gefahren sind, war der 71er, der Witwenexpress."
    "Die Faszination des Todes, ein schöner Tod, eine schöne Leich’. Ein schönes Begräbnis ist für die Wiener immer ganz wichtig gewesen. Das hat so eine Makabrität, eine gewisse. Der Wiener ist makaber."
    Wenn es schummrig und feucht, wenn im November die Nebel aufziehen und die Krähen schreien, dann zieht es den Wiener hinaus auf seine Friedhöfe. Vor allem auf den Zentralfriedhof. Der ist gleichermaßen Park und Naherholungsgebiet, hier treffen Pensionisten auf schwarz gekleidete Gruftis. Nirgendwo, so scheint es, kommt man dem Tod in Wien näher als hier.
    "Wir sind jetzt beim Tor zwei reingegangen. Das ist der zweitgrößte Friedhof in Europa, nach Hamburg. Circa zwei Millionen Tote liegen hier, in 350.000 Gräbern, darunter vielen Gruftgräbern."
    Einer der größten Friedhofsfans ist Gerhard Strassgschwandner. Auf seiner Visitenkarte steht: "Experte für alles Morbide". Früher war er einmal Künstler, heute leitet er ein Privatmuseum. Doch am liebsten führt Gerhard Strassgschwandner Besucher über den Wiener Zentralfriedhof im Stadtteil Simmering.
    "Ganz besonders schön im November, Anfang Dezember, da gibt es noch mal ein bisschen einen Nebel, und dann hat das was. Dieses Düstere, Morbide, wenn auch die Blätter alle weg sind, teilweise am Boden. Das ist dann morbid und das geht nahe. Und das geht nahe und das liebe ich und das lieben die meisten anderen Wiener. Und wenn sie dann im Herbst so sind, haben sie oft alte Menschen, die nehmen ihre Jause mit, setzen sich auf die Bänke und nehmen ihr Wurschtbrot mit, das ist so, das ist eine eigene Welt."
    Ruhestätte von Kaiserin Maria Theresia
    Wien - ein Totenreich. Die ganze Stadt ist unterhöhlt von Grüften und feuchten Gängen, wie der gewaltigen Kapuzinergruft, in der 149 österreichische Habsburger friedlich vor sich hinmodern. Hier ruhen Blei- und Bronzesärge, auf denen Totenköpfe sitzen, die mit der Krone Österreichs geschmückt sind. Darunter der gewaltige Sarg Kaiserin Maria Theresias, die am Ende ihres Lebens 120 Kilogramm wog, so dass sie kaum in ihre monströse Behausung hineinpasste.
    Mitten in der Wiener Innenstadt: die Pestsäule, ein goldenes, wucherndes Fanal des Hochbarock, das an eine der letzten Pestepidemien erinnert. Danach wurde der Tod ausgelagert, die Friedhöfe mussten an den Stadtrand – oder ganz ins Grüne, wie der Zentralfriedhof, der 1874 seinen Betrieb aufnahm. Inzwischen ist er ein Leuchtzeichen für Wien und seinen Tourismus.
    "Sehr viele Japaner. Das ist teilweise in der Stadtrundfahrt drinnen, weil wenn Sie vom Flughafen kommen, weil der Zentralfriedhof liegt genau zwischen Flughafen und Innenstadt. Am Weg zum Hotel macht man einen Stopp hier. Und dann haben die Japaner schon mal die Chance, dass sie Rosen und so was kaufen. Das machen die auch und legen die zu ihrem Lieblingskomponisten. Werden aber meistens sehr schnell wieder entsorgt."
    "Da ist grad der Linienbus, Rundkurs heißt der, Nr. 106."
    Durch die Nekropole gleiten Autobusse der Wiener Verkehrsbetriebe, als wäre man auf der Ringstraße oder am Prater – mit ganz normalen Tickets. Auch die Haltestellen sehen aus wie überall.
    Am Tor zwei öffnet sich eine breite Allee, mit prächtigen Bäumen und Marmorgräbern. Wunderschöne, halbnackte und sehr irdisch wirkende Göttinnen sind zur Stelle, sie reichen dem Verstorbenen schon einmal die Früchte des Paradieses.
    Der Tod macht nicht alle gleich - in Wien
    Dann die strahlend weiße, wie ein Palast alles überwölbende Friedhofskirche zum Heiligen Borromäus. Und nun:die Ehrengräber.
    Zuerst Beethoven, der lange in Wien lebte - sein Ehrengrab wird von einem Obelisken gekrönt. Dann Mozart. Daneben der wuchtig-emphatische Brahms und der zarte Schubert, an den ein weißes Marmorrelief erinnert. Manchmal gibt es auch nur Kitsch. Udo Jürgens, der 2013 starb, wird unter einem weißem Marmorflügel fast erdrückt.
    Mozart liegt eigentlich auf einem anderen Friedhof begraben, dem St. Marx. Ein alter Biedermeierfriedhof, mit wunderschönen Bäumen und Sträuchern.
    Wo Mozart beerdigt wurde? Niemand weiß es genau. Wahrscheinlich in einem Armengrab. Im 18. Jahrhundert kam der so genannte Josephinische Sparsarg zum Einsatz kam. Ein Sarg mit einem Loch.
    "Das hat man dann diesen Sarg kaufen können, diesen Josephinischen Sparsarg. Der hat so einen Mechanismus, da muss man anziehen, dann geht unten ein Deckel auf und die Oma oder wer auch immer plumpst ins Grab."
    Man hört dieses dumpfe Geräusch. Und das hat dann einen Aufruhr gegeben.
    Dass der Tod alle gleich machen könnte, ist für die Wiener eine absurde Vorstellung. Nein, im Gegenteil: Der Tod meißelt die Unterschiede erst heraus. Erst im Schlussakt, beim Begräbnis, entscheidet sich, ob das Leben eines Menschen erfolgreich war, betont der Schriftsteller Robert Menasse.
    "Für die Hinterbliebenen ist der pompöse Leichenumzug, der schöne Sarg, die schöne Musik, der schöne Leichenumzug, all diese Zeremonien der Hinweis darauf: der hat es geschafft, weil ein armer Teufel – man sagt ja: Teufel - könnte sich das nicht leisten."
    Obsession mit dem Tod
    Auf das Ableben, auch "Abfahren" genannt, bereitet sich der Wiener bestens vor, vor allem finanziell, durch Abschluss einer Sterbeversicherung.
    "Es gibt auch immer wenige Menschen, die für ihre Leiche sparen. Es gab eigene Sparvereine in Wien, wo man gesagt hat ab einem gewissen Alter, man muss vorsorgen, man will keine schlechte Nachrede haben, wie schaut das aus, wenn man kein schönes Begräbnis gehabt hat. Die Wiener Methode, für ein Nachleben zu sorgen war das pompöse Begräbnis."
    Warum aber diese Obsession der Wiener mit ihrem Tod? Viel hat mit dem Umgang der Habsburger mit ihrem Begräbnis zu tun. Denn so schön sterben wie die Adeligen, ein so grandioses Begräbnis genießen und sich der Nachwelt von seiner besten Seite zeigen, das wollten in Wien auch die einfachen Leute.
    "In Wien ist ja das Berühmte "die schöne Leich". Das hat damit zu tun, dass die Habsburger, wenn sie gestorben sind, alle miteinander, ohne Ausnahme, direkt in den Himmel eingefahren sind. Weil sie ihr Leben lang uns Menschen geholfen haben, uns zum richtigen Glauben zu führen, in Allianz mit dem Vatikan. Wenn so ein Habsburger stirbt, kann man nicht heulen, sondern man ist glücklich, er hat’s geschafft."
    Der Tod in Wien - das ist auch Triumph, Glückseligkeit und Dankbarkeit. Allerdings hat dieser Triumph einen Preis: Die Ausweidung des Herrscherkörpers, dem die Organe entnommen wurden - und ein dreifaches Begräbnis, denn die meisten Habsburger liegen an drei verschiedenen Orten begraben: der Körper in der Kapuzinergruft, die Eingeweide im Stephansdom und das Herz in der Augustinerkirche.
    "Drei Stunden nah dem Tod sollten drei Ärzte kommen, wie im Schlachthof mit einem scharfen Schnitt von der Kehle runter bis zum Schritt aufgeschlitzt, alles aufgebrochen, rausgeholt, und hat alles rausgenommen: Das Herz, die Niere, Leber, Lunge, die Eingeweide hat man dann in diesen großen Kupferurnen durch die Innenstadt gezogen, mit vier schwarzen Rappen."
    An jeder Kirche, an der der Trauerzug vorbeikam, wurden die Glocken geläutet, der Stephansdom umkreist – schließlich versank der Körper in der Gruft – doch oben wurde ausgelassen gefeiert.
    "Für diese eine Zeremonie hat man riesige Trauergerüste aufgebaut, die Leute haben zu trinken bekommen, schwarz geflaggt, aber glücklich. Habsburger Himmel - was gibt es Schöneres im Katholizismus als mit dem Himmel belohnt zu werden.
    Wien liebt seine Museen
    Der Tod in Wien – das ist auch Pop. Ein Halleluja für die Gegenwart. Wie weit das gehen kann, zeigt das Beispiel des zeitweise gottgewordenen Popstars Falco.
    "Falco liegt in einem geschmacksfreien Grab auf dem Zentralfriedhof, rund 400 Metern von Mozarts Ehrengrab, vielleicht etwa 300 Meter hinter Udo Jürgens. Das Grab hat die Form einer zerborstenen CD, auf der seine größten Hits eingraviert sind."
    "Jetzt kommen wir zu... Ich seh das Falco-Grab vorne schon, eine zerbrochene CD, das war seine Mama, die wollte diesen Falco-Kult weiterleben lassen auch im Tode, und nun ist sie mittlerweile selbst gestorben, die Frau Hölzel."
    Und dann diese Mädchen, die verliebten Mädchen haben jeden Tag Geschenke gebracht, Turnschuhe, einen liegen lassen, einen mitgenommen, Liebesbriefe, bitte mach mir ein Kind, ich bin bereit, heute Mitternacht für dich. Ja, das war der Falco-Kult. Das ist vorbei.
    Wien liebt seine Museen. Und deshalb gibt es auch ein Bestattungsmuseum auf dem Zentralfriedhof.
    Friedhof zum selber basteln
    Man folgt einem engen schwarzen Gang hinunter ins Reich der Särge und der Skurrilitäten. In einem der Särge kann man zu gewissen Zeiten schon einmal Probe liegen. Motto des Bestattungsmuseums: Hier liegen Sie richtig.
    Selbst Nudeln werden in Form von kleinen Totenköpfen feilgeboten. Feuerzeuge tragen die Inschrift: "Bestattung Wien. Motto: Rauchen sichert Arbeitsplätze.
    Auch für die Kinder gibt es auch etwas: einen Friedhof zum Selberbasteln.
    Und den Großen wird erklärt, welches Automobil wirklich wichtig ist: "Der letzte Wagen ist immer ein Kombi."
    Daneben gab es die so genannte Rettungsglocke, ursprünglich die Idee eines Hamburger Ingenieurs. Dem Toten wurde ein Seil um den Finger gewickelt, das mit einer Glocke im Haus des Friedhofswärters verbunden war. Wenn sich der Körper rührte, klingelte es. Der möglicherweise Scheintote konnte gerettet werden.
    "Wie oft ist das vorgekommen? Natürlich nie. Glaub ich nicht. Es gab schon die Angst, lebendig begraben zu werden, wegen Ohnmacht."
    Andreas Schindl, im Hauptberuf Arzt, hat ein ganzes Buch über Berufsbezeichnungen auf Wiener Friedhöfen geschrieben. Denn Titel und Beruf sind dem Wiener fast so wichtig wie der Tod selbst. Die häufigste Berufsbezeichnung ist Hausbesitzer oder Hausbesitzerwitwe.
    Natürlich, das Größte wäre für viele Wiener ein Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof zu bekommen – eigentlich chancenlos. Aber es funktioniert - mit einem Trick. Man überschreibt seine Leiche – rechtzeitig - der anatomischen Fakultät der Universität Wien. Damit tut man etwas für die Wissenschaft, und die sterblichen Überreste kommen letztlich ins Ehrengrab der medizinischen Fakultät.
    "Das Billigste wär, sich wissenschaftlichen Zwecken zu verschreiben, wo sie zerlegt werden ein bissel für die Studenten, das ganze wieder zusammengeschneidert, kostet 700 Euro."
    "Ist durchaus beliebt, da gibt es einige Tausend Vormerkungen, und damit lässt sich auch ein gutes Geschäft machen, Wien ist ein Zentrum für Seziertourismus geworden, vor allem Chirurgen, die Operationen an der Leiche üben müssen und sollen, kommen sehr gern nach Wien."
    Der Friedhof ist Abbild der Gesellschaft und der manchmal brutalen Zeitgeschichte. Der jüdische Teil des Zentralfriedhofs Friedhof erzählt die Geschichte des Nationalsozialismus in Österreich.
    Wir stapfen zu einem abgelegenen Teil des Zentralfriedhofs, ganz weit rechts von Tor zwei. Niemand ist hier, das Gras lang und ungemäht. Man sieht umgeworfene Grabsteine, beschädigte Grabsteine.
    "Hinten kommt dann der muselmanische Friedhof, dann kommt der neue jüdische Friedhof, vorne ist der alte jüdische Friedhof. Auch sehr schön. Wo man bei einigen Grabsteinen noch Spuren hat von Maschinengewehren, was man so verschossen hat. Auch den Nazis war das zu viel. Das sind hier 60.000 Gräber. Jetzt hat man nur die Vordergräber ein bisschen verschossen."
    Sterben ist nicht mehr, was es mal war
    Besonders berührend: der so genannte Babyfriedhof. Auf den kleinen Holzgräbern stapeln sich Stoffelefanten und Holzpuppen. Das ist eigentlich verboten, aber hier drücken die strengen Friedhofswächter mal ein Auge zu. Besonders viel Spielzeug findet man an den Gräbern aus dem ehemaligen Jugoslawien.
    Wann stößt der Zentralfriedhof an seine Grenzen? Gerhard Strassgschwandner beruhigt:
    "Der Friedhof hier ist noch sehr sehr groß - das sind momentan noch richtige Weiden. Da kann man noch Hunderttausende reinlegen in der nächsten Zukunft."
    Allerdings ist die alte Wiener Todeskultur bedroht. Sterben in Wien ist auch nicht mehr, was es einmal war. Die Globalisierung schadet dem schönen Sterben, meint Robert Menasse.
    "Ich glaube, dass sich die Globalisierung ausbreitet, dass sich das Verhältnis der Wiener zum Tod auf eine schale und laue weise normalisiert."
    Die Wollust am Morbiden, die Begeisterung an der schönen Leiche, das Entzücken, das mit Tod und Verwesung zu tun hat, weicht einer ganz normalen Todesangst.
    Der Schauspieler Harald Krassnitzer, bekannt als österreichischer Tatort-Kommissar, sieht das anders. Krassnitzer streitet eine Besonderheit des "Todes in Wien" überhaupt ab.
    "Ich glaube, dass er in Wien kein besonderes Ereignis ist. Ich glaube, das ist ein Folklore-Phänomen wie die Lipizaner und die Mozart-Kugeln, die Hofreitschule oder die Wiener Oper, all das was dazugehört. Wenn Sie schöne Friedhöfe sehen wollen, die gibt es auch in Hamburg oder Venedig."
    Krassnitzer behauptet, der Tod in Wien sei nur ein Mythos, Folklore, etwas durch die Literatur Aufgeblähtes.
    Aber ist das wirklich so? Hat nicht die Todesbesessenheit der Wiener erst jene Wiener Kultur hervorgebracht, die wir alle kennen, die Musik, das Theater, die Kunst, manchmal auch der Kitsch – Dinge, die uns helfen, mit der Realität fertig zu werden?
    Der Tod in Wien – das war immer schon Show und Pop, Getöse und Konzert und Verzückung, das ganz große Theater. Die Helden dieses Theaters werden erst im Tod unsterblich. Der Kabarettist Helmut Qualtinger formuliert das so: "In Wien musst’s erst sterben, damit’s dich hochleben lassen, aber dann lebst lang."