„Ich protestiere gegen dumme Witzbolde und Leser mit schlechten Absichten.“ Diesen Satz von La Bruyère hat Karl-Markus Gauß seinem Journal vorangestellt, und wenn man Gauß’ Bücherproduktion der letzten 20 Jahre verfolgt hat, kann man jedem neuen Buch von ihm eigentlich nur mit besten Absichten begegnen. Gerade wie er in seinen Reisereportagen mit großer Anschaulichkeit und beeindruckender erzählerischer Ökonomie von seinen Begegnungen mit fremden Kulturen, Schicksalen und Sprachen berichtet, ringt einem größten Respekt ab.
Aber in dem Satz von La Bruyère kommt auch ein Wörtchen vor, dass man gemeinhin nicht mit Gauß’ Texten in Verbindung bringt, das in seinem neuen Journal „Die Jahreszeiten der Ewigkeit“ aber erstaunliche 22 Mal vorkommt. Die Rede ist vom Wörtchen „dumm“:
"Ein führender Manager von Apple outet sich via Facebook als schwul, und zwar mit den Worten: 'Ich bin stolz darauf, schwul zu sein.' Vor ein paar Jahren hätte er in den USA noch stolz darauf sein können, sich öffentlich als Schwuler zu bekennen, wie heute stolz sein darf, wer den Mut dafür in Russland oder in arabischen Ländern aufbringt, wo Schwule noch immer missachtet oder gar geächtet, verfolgt, ermordet werden.
Aber stolz auf das sein, was er schlichtweg ist, ohne dass er sich dafür hätte entscheiden müssen oder dagegen hätte entscheiden können? Es ist keine besondere Begabung, schwul, und keine besondere Begabung, nicht schwul zu sein, keine genetische Auszeichnung, weder kultureller Verdienst noch persönliche Lebensleistung. Worauf ist stolz, wer darauf stolz ist, ein Schwuler zu sein? Auf dasselbe, was Dummköpfe stolz darauf sein lässt, keine Schwulen zu sein."
Nicht das eigene Niveau
Es ist sicher alles richtig, was Gauß schreibt. Aber die Leichtigkeit, mit der er nicht nur an dieser Stelle andere Leute als Dummköpfe bezeichnet, erstaunt doch. Das mag in Zeitungsglossen schnell geschrieben oder im Radiogespräch unwillkürlich dahingesagt sein, aber in einem Buch, in dem doch Platz genug sein sollte für feine Unterscheidungen, irritiert die Selbstverständlichkeit, mit der Gauß sich immer wieder des eigenen intellektuellen Niveaus versichert, indem er andere abkanzelt.
"K. schickt mir ein Foto aus Berlin. Vor einer Baustelle haben Sponti ein Transparent aufgehängt: 'Für die sofortige Abschaffung des Alltags.' Sie sehen den Alltag als lebensfeindlichen Ort der Pflichten und träumen vom ewigen Feiertag. Was für Kleingeister! Der Alltag ist es, der humanisiert, gefeiert, geliebt zu werden verdient, sonst wird nix draus: nichts aus dem Alltag, nichts aus dem Festtag. Nichts mit dem guten Leben."
Wir alle werden älter, die meisten von uns werden dabei auch ungeduldiger, ertragen vermeintliche Dummköpfe und Kleingeister immer schlechter, das ist nur natürlich. Ein weiter Horizont, wie Karl-Markus Gauß ihn hat, die Offenheit, mit der er ein Leben lang durch die Welt gereist ist, sollte ihn doch eigentlich dazu befähigt haben, allem Fremden und Abwegigen freundlich und mit Humor entgegenzutreten. Stattdessen stößt er sich an den mitunter gewiss seltsamen Auswüchsen der Gegenwart wie ein Radler, dem ein Porsche die Vorfahrt nimmt. Gauß ist, wenn er den ganzen Diversitätsquatsch bejammert, dieser Widerspruch durchaus bewusst. Man nenne ihn ja sogar den „Minderheiten-Gauß“, weshalb man ihm, so meint er offenbar, auch nicht vorwerfen könne, er habe keine Nachsicht mit Minoritäten.
Das böse Starbucks
"Mittlerweile gibt es jedoch längst nicht mehr nur die leidenden oder um ihre gerechten Anliegen kämpfenden Minderheiten, wir sind vielmehr eine Gesellschaft der Minderheiten geworden. Und wenn etwas den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht, außer der Schweinerei, dass sich eine Minderheit von Profiteuren den Reichtum der Gesellschaft unter den Nagel reißt, dann ist es der Aufstand der hunderterlei Minderheiten."
Also müssen mal wieder die Nichtraucher dran glauben, die den armen Rauchern das Rauchen verbieten wollen, die missionarischen Vegetarier, die sich, das hat man Gauß erzählt, übergeben, wenn sie jemanden Fleisch essen sehen, und dann sind da noch Leute, die mit Starbucks-Plastikbechern über Friedhöfe wandern, Starbucks, dieses imperialistische Unternehmen, das uns verwerflicherweise dazu gebracht hat, Zitat; „Kaffee in Biermengen zu saufen“.
Ja, der Untergang des Abendlandes, er steht garantiert vor der Tür, entkoffeiniert und mit Hafermilch zubereitet. Und dann, auch das geschieht in diesem Moloch Berlin, wurde, unerhört, auch noch ein Friedhof nur für Lesbierinnen eröffnet.
Knie im Unterleib
"Ihr alle, die ihr im Leben mit Menschen auskommen musstet, die anders waren als ihr, könnt euch zuversichtlich ins Jenseits wenden: Wenigstens der Tod wird euch von denen absondern, die gleich euch gestorben sind."
Es hat etwas Abgeschmacktes und wenig Tolerantes, sich über die Intoleranz der Anderen zu echauffieren. Wie es auch nicht unbedingt klug ist, lauthals die Dummheit der Leute anzuprangern. Wer allerdings angesichts von Starbucks-Kaffeebechern darüber fantasiert, seinen Mitbürgern das Knie in den Unterleib zu rammen und sie mit einem Tritt in die Gosse zu befördern, der sollte zumindest - das sei ihm in aller Einfalt geraten - in seiner Dankesrede zum Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung andere Töne anschlagen.
Karl-Markus Gauß: „Die Jahreszeiten der Ewigkeit“
Zsolnay Verlag. 320 Seiten, 25 Euro.
Zsolnay Verlag. 320 Seiten, 25 Euro.