
Im August 1919 erschien auf der Titelseite der „Berliner Illustrirten Zeitung“ ein Foto von zwei älteren Männern in Badehose, die bis zum Knie im Wasser stehen. Sie lachen in die Kamera. Eigentlich nichts Besonderes – und doch sorgte dieses Foto für Aufsehen. Denn die Abgebildeten waren nicht bloß irgendwelche Männer, sondern Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichswehrminister Gustav Noske (beide SPD).

Was heute wahrscheinlich auf Instagram ein Ausdruck von Bodenständigkeit und Volksnähe wäre, sorgte in der jungen Weimarer Republik für Gelächter, Abscheu und Empörung. Da es früher Sitte war, einen Badeanzug zu tragen, wirkten Badehosen vulgär. Erst recht mit diesen unperfekten Körpern. Vor allem aber fanden Konservative, dass sich so etwas für ein Staatsoberhaupt nicht gehört. Beim Kaiser hätt’s das nicht gegeben! Für sie war es ein willkommener Anlass, um den ohnehin verhassten Präsidenten zu diskreditieren. Ebert musste sich gegen einen regelrechten Shitstorm wehren. 173 Strafanträge reichte er ein. Ein Großteil der Pöbler wurde zu Geldstrafen verurteilt.
Ohne Charisma, Witz und Esprit
Diese kleine Episode zeigt, wie schwer es Friedrich Ebert hatte. Die erste deutsche Demokratie war noch nicht mal ein Jahr alt und hatte ihre ersten Krisen überstanden. Der Erste Weltkrieg war verloren, der Kaiser hatte abgedankt und war geflohen, der Versailler Vertrag wurde als Demütigung empfunden, die neue Regierung musste sich gegen Anfeindungen von rechts und Umsturzversuche von links behaupten. Ebert war das Gesicht dieser verhassten Republik. Statt eines Kaisers von Gottes Gnaden hatte man nun einen feisten Sattler und ehemaligen Gastwirt.
„Der halbnackte Präsident erschien ihnen als Inbild eines Vaterlandes ohne Waffen“, schreibt der Autor Harald Jähner in seinem Buch „Höhenrausch“. Er beschreibt Ebert als einen "phänomenologischen Gesamtdeutschen – für einen Reichspräsidenten eigentlich eine Idealbesetzung. (…) Ohne Charisma und Pathos, ohne Witz und Esprit versah er sein Amt, das er als eines des Ausgleichs und der Mäßigung verstand.“
Reformist statt Revolutionär
Deshalb galt Ebert für viele linke Kritiker als „Verräter“ und für die rechten als „Novemberverbrecher“. Dabei war der erste Reichskanzler aus Revolutionstagen gar kein Revolutionär. Im November 1918 wollte Ebert keine soziale Revolution. „Ich hasse sie wie die Sünde“, soll er zu seinem Vorgänger, Prinz Max von Baden, gesagt haben. Deshalb bremste Ebert die Revolution, wo er nur konnte. Er war mehr ein Reformist und Pragmatiker. Als Sozialist war er ein Konservativer, ihm ging es mehr um ökonomischen Ausgleich für die Arbeiter. Bemüht um Kontinuität paktierte er mit dem Militär, ließ Aufstände blutig niederschlagen und trug so dazu bei, dass die Reichswehr zum „Staat im Staat“ werden konnte – und der Republik zum Verhängnis wurde.
Eine tragende Rolle dabei spielte auch Reichswehrminister Gustav Noske, der sich mit seinen Schießbefehlen gegen Kommunisten beim sogenannten Spartakusaufstand, bei den Märzmassakern in Berlin und der Niederschlagung der Münchner Räterepublik ebenfalls zur Hassfigur gemacht hatte. Er nahm die Rolle des „Bluthundes“ freiwillig an. Erst nach dem gescheiterten Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920, als die Reichswehr sich weigerte, auf die Freikorps zu schießen, trat er vom Amt zurück.
Über 200 Verleumdungsprozesse
Ebert handelte in bester Absicht, um Schlimmeres abzuwenden, doch er verteidigte die Demokratie nicht immer mit demokratischen Mitteln. Vom Artikel 48 der Weimarer Verfassung, der es dem Präsidenten erlaubte, „zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ einzugreifen, machte er reichlich Gebrauch. Allein im Krisenjahr 1923, als infolge der Ruhrbesetzung die Hyperinflation für eine schwere Wirtschaftskrise und Aufstände sorgte, erließ er 42 Notverordnungen.
Eine davon war die Reichsexekution in Sachsen. Weil man einen Linksputsch befürchtete, ließ Reichskanzler Gustav Stresemann die Reichswehr einmarschieren, um die Landesregierung von SPD und KPD abzusetzen. (In Thüringen wurden daraufhin die kommunistischen Minister zum Rücktritt gezwungen.) Eberts Amtsnachfolger Paul von Hindenburg sollte dieses Instrument missbrauchen, um das Parlament zu entmachten, die Republik zu einem Präsidialregime auszuhöhlen und so den Weg für Hitler zu bereiten.
Als wäre die Politik dieser Jahre nicht schon schwer genug, musste Ebert auch insgesamt über 200 Verleumdungsprozesse überstehen. Mehrere warfen ihm „Landesverrat“ vor , wie etwa der völkische Journalist und Redakteur der „Mitteldeutschen Presse“, Erwin Rothardt. Anlass war, dass sich Ebert am Berliner Munitionsarbeiterstreik von Januar 1918 beteiligt hatte. Gegen ihn gewann Ebert zwar den Prozess Ende 1924, der Angeklagte musste wegen Beleidigung für drei Monate ins Gefängnis, doch das Gericht stellte fest, dass der Vorwurf des Landesverrats im strafrechtlichen Sinne zutreffend sei. Daher verurteilte es Rothardt nicht wegen übler Nachrede – ein „typischer Fall von justizförmiger Republikfeindschaft“, wie Heinrich August Winkler schreibt.
Der Stress setzte Ebert zu, er vernachlässigte seine Gesundheit. Am 28. Februar 1925 starb er an einer verschleppten Blinddarm- und Bauchfellentzündung. Er war erst 54 Jahre alt – wie das Deutsche Reich. Mehr als eine Million Menschen soll seinen Trauerzug am Berliner Tiergarten begleitet haben. Die Menge hinterließ an dem Gartenanlagen und Denkmälern einen Schaden von 3600 Reichsmark.
Kritik von Kurt Tucholsky
In den Nachrufen gaben sich viele Kritiker versöhnlich. Nicht so Kurt Tucholsky. „Wir sind auch heute noch der Meinung, dass das politische Wirken des Mannes unheilvoll, verderblich und falsch orientiert gewesen ist“, schrieb er im März 1925 in der „Weltbühne“. Ein Jahr später noch nannte er ihn einen „Feigling“ und „Verräter an der eignen Sache“ und beschuldigte ihn der „bodenlosen Charakterlosigkeit“, er sei verantwortlich für „Arbeitermorde“ und den „vollständigen Sieg der deutschen Reaktion“. „Von Ebert ist heute noch etwas übrig: seine Niederlagen, sein Mangel an Mut, sein Verrat der Genossen.“
Wohlwollender fiel das Urteil Thomas Manns aus, der seit Kriegsende eine Wandlung vom Konservativen zum Demokraten vollzogen hatte. Seine Sympathie für „Vater Ebert“ sei „grenzenlos“.
Wehrhafte Demokratie
Unter Historikern ist man heute differenzierter. „Zu den Staatsmännern und den Großen der deutschen Geschichte wird man Friedrich Ebert nach alledem nicht rechnen können“, schreibt Heinrich August Winkler. „Der erste Reichspräsident war ein überzeugter Demokrat, ein deutscher Patriot und ein Mann der friedlichen Verständigung zwischen Völkern.“
Friedrich Eberts Biograf Walter Mühlhausen beschreibt dessen Vermächtnis so: "Zum einen ist es der unbedingte Wille zur Demokratie. Vor allen Dingen auch zum parlamentarischen Gefüge, wo der Kompromiss eines der wesentlichen Elemente ist. Und das zweite ist, das erscheint in der heutigen Zeit besonders wichtig, dass er diese Demokratie immer als eine wehrhafte verstanden hat."