Die EU verschärft den Schutz vor Stickoxiden, Quecksilber und Feinstaub, aber Berlin schludert offenbar bei der Umsetzung. Kraftwerksbetreiber, Umweltverbände und Oppositionspolitiker werfen der Bundesregierung vor, dass sie bei der Einführung der neuen EU-Schadstoffgrenzen für Kohlekraftwerke vorgeschriebene Fristen verstreichen lasse. Im August des vergangenen Jahres legte die EU die neuen Grenzwerte fest. Innerhalb von vier Jahren müssen sich bis auf etwaige Ausnahmen alle Betreiber daran halten. Die deutschen Vorschriften sollen aber bereits nach einem Jahr an die EU-Vorgaben angepasst werden. So sieht es das Bundes-Immissionsschutzgesetz vor. Fabian Hübner von der Klima-Allianz Deutschland:
"Bis zum 16. August müsste die Bundesregierung die neuen EU-Gesundheitsstandards in deutsches Recht umsetzen. Und damit wäre auch klar, welche Kohlekraftwerke diese Gesundheitsstandards nicht einhalten und somit entweder nachgerüstet werden müssten oder abgeschaltet werden müssten."
Das Bundesumweltministerium mache trotz dieser Frist aber keine Anstalten, das neue Gesetz auf den Weg zu bringen. Das bedeute, dass Behörden und Betreibern weniger Zeit bleibe, Genehmigungen anzupassen und Kraftwerke entsprechend umzurüsten. Dafür ist die frühzeitige Umsetzung von EU-Vorgaben in deutsches Recht nämlich gedacht. Hübner befürchtet, dass der bessere Emissionsschutz durch die Verzögerung nicht wie beabsichtigt greifen kann, wenn am Ende nur anderthalb bis zwei Jahre statt der eigentlich beabsichtigten drei Jahre bleiben.
"Für verschiedene Nachrüstungen ist dieser Zeitraum viel zu knapp bemessen, so dass es dann auch voraussehbar ist, dass die Kraftwerksbetreiber Ausnahmegenehmigungen fordern werden."
Das Bundesumweltministerium weiß um den Sinn der Jahresfrist, hält sich aber nicht daran gebunden. Ministeriumssprecher Stephan Gabriel Haufe:
"Wenn wir jetzt eine übergreifende europäische Regel haben, und das haben wir ja auch bei den Vorgaben für die großen Feuerungsanlagen, dann ist es so, dass die EU einen gewissen Zeitraum vorgibt, das sind ja hier vier Jahre für die Umsetzung. Und dann relativiert sich diese innerstaatliche Regelung mit einem Jahr etwas und dann können wir sagen, wir müssen unsere Verordnung nicht innerhalb eines Jahres vorlegen, wir können sie auch etwas später vorlegen."
Diese Rechtsauslegung verdutzt allerdings nicht nur Umweltverbände. Auch Kraftwerksbetreiber sind von dem Aufschub, den sich das Bundesumweltministerium genehmigt, alles andere als überzeugt. Der Deutsche Braunkohlen-Industrie-Verein, kurz DEBRIV, gab dem Deutschlandfunk dazu folgende Stellungnahme ab:
"Die gesetzlich verankerte Umsetzungsfrist von einem Jahr, die die Bundesregierung einhalten muss, schützt die Unternehmen. Sie soll ihnen hinreichend Zeit für ggf. notwendige Nachrüstungen geben. Die verbleibende Zeit für etwa notwendige Anpassungen der Anlagen wird ansonsten immer knapper. Man muss nämlich bedenken, dass Planungen und Genehmigungen erforderlich und dass Kapazitäten im Anlagenbau nicht unbeschränkt verfügbar sind. Wir würden es daher begrüßen, wenn die Bundesregierung nun endlich einen angemessenen Verordnungsentwurf vorlegen würde."
Auch die Bundesvorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, kritisierte, dass der Umbau von Kohlekraftwerken so verzögert werde.
"Dass die Bundesregierung dafür die gesetzlichen Vorgaben in Deutschland nicht schafft, ist eigentlich ein Skandal, denn was am Ende dabei rauskommt, ist, dass man die Laufzeit von alten Kohlemeilern zu Lasten der Gesundheit der Bevölkerung verlängern will. Und das geht gar nicht."
Das Umweltministerium begründet die Verzögerung damit, dass die EU-Vorgaben so "komplex" seien. Wann die Anpassung kommen soll, werde in den kommenden Monaten beschlossen. Die Klima-Allianz Deutschland berichtet aus informellen Gesprächen im Ministerium, dass die Umsetzung erst Ende 2019 geplant sei.