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Fritz Bauer
Engagierter Aufklärer und progressiver Jurist

In der jungen Bundesrepublik war Fritz Bauer, Generalstaatsanwalt in Hessen, eine umstrittene Figur - denn wohl kein anderer Jurist kämpfte zu dieser Zeit so hartnäckig für die Aufklärung der nationalsozialistischen Verbrechen. Er sorgte dafür, dass einige der Mörder von Auschwitz vor Gericht kamen.

Von Niels Beintker |
    Fritz Bauer war seiner Zeit voraus. Das zeigte er etwa 1952 am Braunschweiger Landgericht. Vordergründig ging es da um eine öffentliche Beleidigung, doch eigentlich stand so viel mehr zur Debatte: War der Widerstand der Männer um Claus Schenk Graf von Stauffenberg Verrat oder ein Ausdruck von Zivilcourage? Eine Frage, die heute längst entschieden ist, in den frühen 50er-Jahren allerdings nicht so eindeutig beantwortet wurde.
    Otto Ernst Remer, am 20. Juli 1944 einer der Gefolgsleute Hitlers und in der jungen Bundesrepublik Spitzenpolitiker der rechtsextremen Sozialistischen Reichspartei, nannte die Widerstandskämpfer Landesverräter - und musste sich deshalb vor Gericht verantworten. Sein Gegner in der Verhandlung, Fritz Bauer, seit kurzem Generalstaatsanwalt in Braunschweig, würdigte das Attentat als mutigen, sogar patriotischen Widerstand, wie sein Biograf Ronen Steinke beschreibt:
    "Das ist der Moment, in dem Fritz Bauer auf die Bühne tritt, in dem er auch seine große Kunst zeigt, virtuos von der kleinen Bühne des Gerichtssaals ein großes Drama zu entfalten, das die Aufmerksamkeit des ganzen Landes dorthin zieht. Und für das Land ist das ein Wendepunkt insofern, als dass die Männer des 20. Juli danach zum ersten Mal als die Helden des 20. Juli bezeichnet werden."
    Fritz Bauer - ein engagierter Aufklärer und progressiver Jurist: Das ist das Leitmotiv in Ronen Steinkes anschaulich geschriebener Biografie, die an manchen Stellen leider etwas oberflächlich bleibt. Auf 350 Seiten wird das Leben eines Mannes skizziert, ohne dessen Wirken die Rechts- aber auch die Erinnerungsgeschichte in Deutschland eine andere gewesen wäre.
    Steinke greift in seiner Darstellung auf die eigenen Veröffentlichungen Fritz Bauers zurück, ebenso auf Zeitzeugengespräche und einige neue Archivfunde. Dazu gehören auch die Berichte der dänischen Polizei über eine Verhaftung des ins Exil geflohenen Juristen wegen - Zitat - "homosexueller Handlungen" aus dem Jahr 1936.
    Bauers berufliches und politisches Engagement stehen im Vordergrund
    Glücklicherweise wird daraus in der Biografie keine nachträgliche Sensationsmeldung gemacht, für die Beurteilung der Lebensleistung Bauers ist die Spekulation über seine sexuelle Orientierung unerheblich. Viel wichtiger sind neue Erkenntnisse über sein Leben vor 1933, sein berufliches und auch politisches Engagement in der Stuttgarter Sozialdemokratie und seine Auseinandersetzung mit der jüdischen Identität.
    Als Fritz Bauer, sechs oder sieben Jahre alt, einmal zu Hause wissen möchte, was eigentlich Gott sei, da gibt ihm seine Mutter Ella keine Definition, sondern erklärt dem Buben, er solle sich einfach ein Prinzip merken: 'Was du nicht willst, dass man dir tu', das füg' auch keinem andern zu.' Ein Zeichen dafür, dass man der Religion fernstand? Nicht unbedingt, diese Worte können auch schlicht dafür stehen, dass die Mutter es verstand, die Quintessenz ihres Glaubens kindgerecht zu erklären.
    Ronen Steinke: "In der Nachkriegszeit hat Fritz Bauer nie über seine jüdische Identität gesprochen. Wenn man ihn danach gefragt hat, hat er das abgewiegelt, das kleingeredet, sich als glaubenslos bezeichnet. Wenn man sich aber mit dem jungen Fritz Bauer näher auseinandersetzt, dann lernt man einen ganz anderen Fritz Bauer kennen. Nämlich einen, der sich in seiner Jugend in Stuttgart sehr wohl fühlt in der jüdischen Gemeinde und der, auch wenn er bekennender Atheist ist, doch eine große Sympathie für die jüdische Lehre, die jüdische Kultur zeigt."
    1964, während des großen Auschwitz-Prozesses in Frankfurt, antwortete Fritz Bauer auf die Frage eines Studenten, ob er eigentlich Jude sei: "Im Sinne der Nürnberger Gesetze, ja." Das war alles. Fritz Bauer wollte den angeklagten SS-Männern als hessischer Generalstaatsanwalt gegenübertreten, nicht als deutscher Jude und Verfolgter des Nazi-Regimes - also als vermeintlicher Rächer. Auch deshalb beauftragte er drei junge Staatsanwälte mit der Prozessführung und hielt sich während des langen Verfahrens eher im Hintergrund, zog von dort die Fäden.
    Ronen Steinke zeigt, dass Bauer die "Strafsache gegen Mulka und andere" als paradigmatisches Verfahren betrachtete. Einerseits sollten sich einzelne Männer für ihre Verbrechen verantworten. Andererseits sollte deutlich werden, wie das Räderwerk der nationalsozialistischen Todesmaschine funktionierte:
    In Frankfurt kommt nicht ein einzelner Täter vor Gericht, die Verhandlung läuft nicht auf eine bestimmte Person zu. Sondern auf ein soziales Phänomen. Es geht um die Arbeitsteilung, die nötig war, um so reibungslos zu morden - das, was Historiker später als das zentrale Strukturmerkmal des Holocaust bezeichnen werden.
    Ein Ankläger aus verzweifelter Liberalität
    Mit Blick auf die historische Bedeutung des ersten Auschwitz-Prozesses wünscht man sich auch in einer Biografie des leitenden Generalstaatsanwaltes eine systematische Analyse dieses zentralen Verfahrens. In Ronen Steinkes Buch bleibt sie leider aus. Der Prozess wird zwar in einem längeren Kapitel beschrieben, das aber eher in einer historischen Reportage. Das Bild der Cola trinkenden Angeklagten scheint da wichtiger zu sein als die Schilderung eines Verhandlungstages.
    So ist eher in einer Art Einführung zu erfahren, wie Auschwitz damals vor Gericht stand - um den Untertitel der Biografie aufzugreifen. Der Mann im Hintergrund steht immer wieder allein im Fokus dieser Lebensgeschichte - ein Ankläger nicht aus Härte oder Vergeltungsdrang, wie Steinke schreibt. Sondern ein Ankläger aus verzweifelter Liberalität:
    "Es ging ihm nicht darum, Prozesse, Strafverfahren zu machen, weil das alte Deutschland sie verdient hat. Sondern weil das neue Deutschland sie braucht, um sich selber klar zu werden, was die Werte sind, sich selber klar zu werden, dass es Zivilcourage braucht und nicht Kadavergehorsam. Und das, kann man sagen, war der Kern seiner politischen These."
    Diese Perspektive wiederum spricht für Ronen Steinkes Biografie - auch wenn sie sich bisweilen zu sehr allein auf Fritz Bauer als öffentlich handelnde Person konzentriert. Der von seinen Gegnern immer wieder als links geschmähte Richter war in vieler Hinsicht ein Vordenker der deutschen Justiz, in der Ahndung der nationalsozialistischen Verbrechen ebenso wie in der Diskussion um ein humanes Strafrecht oder im Kampf um die Abschaffung des Paragrafen 175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte. Ronen Steinkes würdigende Biografie ist eine Einladung, die Bedeutung eines großen deutschen Juristen genauer zu erkunden.