Jasper Barenberg: Zum zweiten Mal innerhalb von Tagen kann sich Finanzminister Wolfgang Schäuble großer Aufmerksamkeit sicher sein. Erst ließ er mit einem kurzen Satz - halb auf Englisch, halb auf Deutsch - durchblicken, dass die Bundesregierung Griechenland um jeden Preis in der Eurozone halten will; jetzt setzt er eine weitere politische Duftmarke in der anlaufenden Diskussion darüber, welche Gestalt Europa eines Tages bekommen soll, wenn die Krise denn überstanden sein wird. Deutlich mehr Kompetenzen der Kommission gegenüber den Mitgliedsstaaten, diese Forderung steht im Mittelpunkt. Wie das im Vorfeld in Brüssel aufgenommen und diskutiert wird?
Nicht alle sind also begeistert von dem deutschen Vorstoß, und das gilt auch für den französischen Präsidenten: Die Reaktion aus Paris auf die Gedankenspiele des deutschen Finanzministers, sagen wir, frostig.
Am Telefon begrüße ich jetzt Joachim Fritz-Vannahme, er leitet die Europaprojekte bei der Bertelsmann-Stiftung. Schönen guten Tag.
Joachim Fritz-Vannahme: Schönen guten Tag.
Barenberg: Herr Vannahme, EU-Präsident Herman van Rompuy, seine Pläne, seine Mitstreiter, allesamt jetzt düpiert von dem Vorstoß von Wolfgang Schäuble?
Fritz-Vannahme: Na ja, ein bisschen wahrscheinlich schon. Allerdings darf man natürlich nicht unterschätzen: Die Aufgabe von van Rompuy war eine ganz andere als die Aufgabe, die Wolfgang Schäuble sich selbst gestellt hat. Van Rompuy musste zumindest mal die 17 unmittelbar am Euro beteiligten Regierungen und dahinter die zehn weiteren, also insgesamt 27 auf einen gemeinsamen Text irgendwo vereinigen. Das ist ihm mehr schlecht als recht gelungen. Das erleben wir aber nicht zum ersten Mal, das wäre kein Vorwurf an ihn selbst, da ist sehr wohl ordentlich gearbeitet worden. Aber er war natürlich nicht in der Rolle eines EU-Präsidenten, sondern in der Rolle eines EU-Generalsekretärs. Und Herr Schäuble wiederum scheint wohl mit dem Ergebnis am Ende doch sehr unzufrieden gewesen zu sein, sonst hätte er diesen Vorstoß auf der Rückreise von der IWF-Tagung in Asien nicht von sich aus gemacht, und er hat natürlich Tacheles geredet, wobei allerdings in der Substanz viele Argumente, die Schäuble vorbringt, lange aus Kreisen der Bundesregierung bekannt sind und der Kern, um nicht zu sagen der Gedanke des Kerneuropas ja eine Idee ist, die Schäuble seit Mitte der 90er-Jahre bereits konsequent und beharrlich verfolgt.
Barenberg: ... und die er jetzt wieder ins Spiel bringt, jetzt in einer Situation, wo, wie Sie es geschildert haben, Herman van Rompuy und die anderen Beteiligten an diesem sogenannten Masterplan Wochen und Monate damit verbracht haben, eben zu klären, was die einzelnen Mitgliedsstaaten bereit sind zu unternehmen, welche Schritte sie bereit sind zu gehen. In dieser Situation mit einem eigenen Papier im Vorfeld aufzutauchen, ist das nicht tatsächlich ein politischer Fehler geradezu?
Fritz-Vannahme: Ich glaube nicht, dass es ein politischer Fehler ist, weil die Debatte - das zeigt ja auch die schnelle Reaktion etwa des französischen Präsidenten - im Fluss ist. Wir werden hier nicht innerhalb der nächsten Wochen klare Resultate erwarten können. Dazu ist die Materie zu komplex. Das zeigte ja bereits Debatte um Schäuble-Vorstellung (MP3-Audio) Ihr Berichterstatter aus Brüssel, der ja drei, vier Punkte nennen musste, die alle hier im Spiel sind, drei, vier Bälle, die alle umlaufen. Und zum Zweiten sind natürlich auch manche Standpunkte auf eine merkwürdige Art und Weise eher zur Profilierung formuliert worden, inklusive der Position, die Herr Schäuble jetzt vorgetragen hat. Wenn die französische Position im Augenblick die Forderung nach solidarischer Integration - so hieß ja der Begriff von Francois Hollande - lautet, dann kann man sagen, das ist richtig, an der Solidarität ist zu arbeiten, daran ist nicht zu zweifeln, die wird es am Ende auch geben müssen. Auf der anderen Seite steht die Stabilität und Solidität als Leitbegriffe etwa eines Wolfgang Schäuble, die genauso ihre Berechtigung haben, wenn wir nicht weiterhin haltlose Zustände innerhalb der Eurozone und innerhalb der Europäischen Union dulden wollen.
Barenberg: Kann man das auf diesen Nenner vielleicht bringen - Sie haben es angedeutet, ich will es noch mal versuchen, auf eine andere Formel zu bringen -, Solidarität auf der einen Seite, die ist sozusagen das Schlüsselwort, das uns aus Paris erreicht, und Solidität oder Kontrolle oder strenge Haushaltsführung auf der anderen Seite? Sind das die Pole, um die sich die Debatte im Moment rankt?
Fritz-Vannahme: Das sind die Pole, um die sie sich rankt, und man muss diese Pole natürlich rückübersetzen in die jeweilige nationale Politik. Francois Hollande hat einen Präsidentschaftswahlkampf geführt, wo von der Solidität nicht so schrecklich viel die Rede war, und er hat letzte Woche in der französischen Nationalversammlung den Fiskalpakt nur dadurch durchbekommen, indem er ihn gegenüber seiner eigenen Mehrheit heruntergeredet hat. Das lässt natürlich sehr wohl den Beobachter etwas zweifeln, wie er aus diesem Dilemma, das er sich selbst ja geschaffen hat, herauskommen will. Umgekehrt: Jeder, der die französische Stimmung irgendwo wahrnimmt und ernst nimmt, wird sagen müssen, die Franzosen sind, was das angeht, im Augenblick sehr orientierungslos, auch sehr gereizt. Das darf man nicht unterschätzen. Politiker können nicht immer nur gegen ihre Mehrheiten Politik machen, und dafür ist zum Beispiel ja Herr Schäuble ein Beispiel, der sehr wohl das ganz starke Soliditätsbedürfnis in der deutschen Bevölkerung, in den deutschen Umfragen aufzugreifen versucht und in eine Politik umzusetzen versucht.
Barenberg: Und wenn wir das aufgreifen und zur Grundlage nehmen, ist dann der Vorstoß von Schäuble mit diesen stärkeren Durchgriffsrechten für den Währungskommissar, ist das sozusagen der erste Schritt hin zu einem europäischen Finanzminister?
Fritz-Vannahme: Ich glaube, ja. Das Wort lief ja auch in der Vergangenheit - übrigens nicht nur in Deutschland - durchaus um. Mancher mag sich da ja auch gar nicht mehr an seine klugen Ideen von gestern oder vorgestern erinnert fühlen. Aber ich denke, es ist tatsächlich eine Logik, die auf der einen Seite Dringlichkeit bedienen muss, hier muss zügig gehandelt werden, damit man aus dieser Krise innerhalb des Euroraums herauskommt, und auf der anderen Seite werden natürlich nur dadurch Verträge berührt und übrigens auch Demokratiekonzepte eingefordert, die so schemenhaft inzwischen entstehen, aber wo sich noch niemand so richtig traut, ranzugehen und zu sagen, da müssen wir ran, weil alle wissen, das geht nur über eine Vertragsänderung, und die Vertragsänderung ist mit den jetzigen 27 Beteiligten wahnsinnig schwer. Unter Umständen wird man über einen Zusatzvertrag wie beim Fiskalpakt gehen, was ein sehr, sehr unschöner Weg ist, aber er ist gangbar, wie man ja gesehen hat, um eine Brücke hin zu einem demokratischen, solidarischen, aber auch eben halt soliden Europa zu schlagen. Diese Brücke erahnen viele, sehen manche, aber es wagt keiner, seine Schritte in dieser Richtung zu lenken. Ich glaube, auch Herr Schäuble ist da viel zögerlicher, als das auf den ersten Blick aussieht.
Barenberg: Joachim Fritz-Vannahme leitet die Europaprojekte bei der Bertelsmann-Stiftung. Ich danke für das Gespräch heute Mittag.
Fritz-Vannahme: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Nicht alle sind also begeistert von dem deutschen Vorstoß, und das gilt auch für den französischen Präsidenten: Die Reaktion aus Paris auf die Gedankenspiele des deutschen Finanzministers, sagen wir, frostig.
Am Telefon begrüße ich jetzt Joachim Fritz-Vannahme, er leitet die Europaprojekte bei der Bertelsmann-Stiftung. Schönen guten Tag.
Joachim Fritz-Vannahme: Schönen guten Tag.
Barenberg: Herr Vannahme, EU-Präsident Herman van Rompuy, seine Pläne, seine Mitstreiter, allesamt jetzt düpiert von dem Vorstoß von Wolfgang Schäuble?
Fritz-Vannahme: Na ja, ein bisschen wahrscheinlich schon. Allerdings darf man natürlich nicht unterschätzen: Die Aufgabe von van Rompuy war eine ganz andere als die Aufgabe, die Wolfgang Schäuble sich selbst gestellt hat. Van Rompuy musste zumindest mal die 17 unmittelbar am Euro beteiligten Regierungen und dahinter die zehn weiteren, also insgesamt 27 auf einen gemeinsamen Text irgendwo vereinigen. Das ist ihm mehr schlecht als recht gelungen. Das erleben wir aber nicht zum ersten Mal, das wäre kein Vorwurf an ihn selbst, da ist sehr wohl ordentlich gearbeitet worden. Aber er war natürlich nicht in der Rolle eines EU-Präsidenten, sondern in der Rolle eines EU-Generalsekretärs. Und Herr Schäuble wiederum scheint wohl mit dem Ergebnis am Ende doch sehr unzufrieden gewesen zu sein, sonst hätte er diesen Vorstoß auf der Rückreise von der IWF-Tagung in Asien nicht von sich aus gemacht, und er hat natürlich Tacheles geredet, wobei allerdings in der Substanz viele Argumente, die Schäuble vorbringt, lange aus Kreisen der Bundesregierung bekannt sind und der Kern, um nicht zu sagen der Gedanke des Kerneuropas ja eine Idee ist, die Schäuble seit Mitte der 90er-Jahre bereits konsequent und beharrlich verfolgt.
Barenberg: ... und die er jetzt wieder ins Spiel bringt, jetzt in einer Situation, wo, wie Sie es geschildert haben, Herman van Rompuy und die anderen Beteiligten an diesem sogenannten Masterplan Wochen und Monate damit verbracht haben, eben zu klären, was die einzelnen Mitgliedsstaaten bereit sind zu unternehmen, welche Schritte sie bereit sind zu gehen. In dieser Situation mit einem eigenen Papier im Vorfeld aufzutauchen, ist das nicht tatsächlich ein politischer Fehler geradezu?
Fritz-Vannahme: Ich glaube nicht, dass es ein politischer Fehler ist, weil die Debatte - das zeigt ja auch die schnelle Reaktion etwa des französischen Präsidenten - im Fluss ist. Wir werden hier nicht innerhalb der nächsten Wochen klare Resultate erwarten können. Dazu ist die Materie zu komplex. Das zeigte ja bereits Debatte um Schäuble-Vorstellung (MP3-Audio) Ihr Berichterstatter aus Brüssel, der ja drei, vier Punkte nennen musste, die alle hier im Spiel sind, drei, vier Bälle, die alle umlaufen. Und zum Zweiten sind natürlich auch manche Standpunkte auf eine merkwürdige Art und Weise eher zur Profilierung formuliert worden, inklusive der Position, die Herr Schäuble jetzt vorgetragen hat. Wenn die französische Position im Augenblick die Forderung nach solidarischer Integration - so hieß ja der Begriff von Francois Hollande - lautet, dann kann man sagen, das ist richtig, an der Solidarität ist zu arbeiten, daran ist nicht zu zweifeln, die wird es am Ende auch geben müssen. Auf der anderen Seite steht die Stabilität und Solidität als Leitbegriffe etwa eines Wolfgang Schäuble, die genauso ihre Berechtigung haben, wenn wir nicht weiterhin haltlose Zustände innerhalb der Eurozone und innerhalb der Europäischen Union dulden wollen.
Barenberg: Kann man das auf diesen Nenner vielleicht bringen - Sie haben es angedeutet, ich will es noch mal versuchen, auf eine andere Formel zu bringen -, Solidarität auf der einen Seite, die ist sozusagen das Schlüsselwort, das uns aus Paris erreicht, und Solidität oder Kontrolle oder strenge Haushaltsführung auf der anderen Seite? Sind das die Pole, um die sich die Debatte im Moment rankt?
Fritz-Vannahme: Das sind die Pole, um die sie sich rankt, und man muss diese Pole natürlich rückübersetzen in die jeweilige nationale Politik. Francois Hollande hat einen Präsidentschaftswahlkampf geführt, wo von der Solidität nicht so schrecklich viel die Rede war, und er hat letzte Woche in der französischen Nationalversammlung den Fiskalpakt nur dadurch durchbekommen, indem er ihn gegenüber seiner eigenen Mehrheit heruntergeredet hat. Das lässt natürlich sehr wohl den Beobachter etwas zweifeln, wie er aus diesem Dilemma, das er sich selbst ja geschaffen hat, herauskommen will. Umgekehrt: Jeder, der die französische Stimmung irgendwo wahrnimmt und ernst nimmt, wird sagen müssen, die Franzosen sind, was das angeht, im Augenblick sehr orientierungslos, auch sehr gereizt. Das darf man nicht unterschätzen. Politiker können nicht immer nur gegen ihre Mehrheiten Politik machen, und dafür ist zum Beispiel ja Herr Schäuble ein Beispiel, der sehr wohl das ganz starke Soliditätsbedürfnis in der deutschen Bevölkerung, in den deutschen Umfragen aufzugreifen versucht und in eine Politik umzusetzen versucht.
Barenberg: Und wenn wir das aufgreifen und zur Grundlage nehmen, ist dann der Vorstoß von Schäuble mit diesen stärkeren Durchgriffsrechten für den Währungskommissar, ist das sozusagen der erste Schritt hin zu einem europäischen Finanzminister?
Fritz-Vannahme: Ich glaube, ja. Das Wort lief ja auch in der Vergangenheit - übrigens nicht nur in Deutschland - durchaus um. Mancher mag sich da ja auch gar nicht mehr an seine klugen Ideen von gestern oder vorgestern erinnert fühlen. Aber ich denke, es ist tatsächlich eine Logik, die auf der einen Seite Dringlichkeit bedienen muss, hier muss zügig gehandelt werden, damit man aus dieser Krise innerhalb des Euroraums herauskommt, und auf der anderen Seite werden natürlich nur dadurch Verträge berührt und übrigens auch Demokratiekonzepte eingefordert, die so schemenhaft inzwischen entstehen, aber wo sich noch niemand so richtig traut, ranzugehen und zu sagen, da müssen wir ran, weil alle wissen, das geht nur über eine Vertragsänderung, und die Vertragsänderung ist mit den jetzigen 27 Beteiligten wahnsinnig schwer. Unter Umständen wird man über einen Zusatzvertrag wie beim Fiskalpakt gehen, was ein sehr, sehr unschöner Weg ist, aber er ist gangbar, wie man ja gesehen hat, um eine Brücke hin zu einem demokratischen, solidarischen, aber auch eben halt soliden Europa zu schlagen. Diese Brücke erahnen viele, sehen manche, aber es wagt keiner, seine Schritte in dieser Richtung zu lenken. Ich glaube, auch Herr Schäuble ist da viel zögerlicher, als das auf den ersten Blick aussieht.
Barenberg: Joachim Fritz-Vannahme leitet die Europaprojekte bei der Bertelsmann-Stiftung. Ich danke für das Gespräch heute Mittag.
Fritz-Vannahme: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.