Ein unscheinbares Einfamilienhaus mit blauen Holzläden an einer Ausfallstraße der südwestfranzösischen Kleinstadt Saint Alban. Am Eingangstor ein großer schwarzer Wachhund. Drinnen packen Thierry und Nadia Portheault eifrig Umzugskisten. Sie sorgen sich. Vor allem um die dreijährige Tochter und ihren jüngeren Bruder.
"Wir sind Leute, die gesagt haben, was sie gesehen haben. Die Wahrheit. Aber wir wissen auch, mit wem wir es im Front National zu tun hatten, manche sind unberechenbar. Drum haben wir uns entschlossen wegzuziehen und dieses Kapitel zu beenden."
Begonnen hatte das Kapitel 2011 als der 42-jährige Fernlastfahrer sich dem Front National anschloss.
Er sei Gaullist, sagt Thierry. Was ihn bei Marine Le Pen angezogen habe, sei ihr Wunsch zur Einigung der Franzosen gewesen. Die Regierungen in Paris, egal ob rechts oder links, sie spalteten das Volk. Patriotismus, das sei für ihn die Einigung aller Bürger mit ihren Rechten und Pflichten hinter einer Nation, egal welcher Religion oder Hautfarbe sie seien. Er habe Marine Le Pen all das geglaubt, für ihn sei sie eine Figur wie Nelson Mandela gewesen, den er sehr verehre.
Seine Frau Nadia, Tochter eines algerischen Einwanderers und einer kommunistischen Mutter, war zunächst skeptisch. Doch nachdem die ausgebildete Verkäuferin ihren Job verloren und zwei Kinder geboren hatte, fühlte sie sich ein wenig verloren im neuen Heim. So schloss auch sie sich dem Front National an. Die 26-Jährige mit schulterlangem schwarzen Haar wirkt blass und angegriffen:
"Ich kann es mir selbst nicht so recht erklären, wie man 2002 gegen die Politik von Jean-Marie Le Pen, den Vater von Marine, demonstrieren kann und 2013 Spitzenkandidatin des Front National sein kann. Auch deshalb haben wir das Buch "Revenus du Front" geschrieben, um zu erklären, wie ganz normale Leute, die Gegner von Vater Le Pen und seiner Politik sind, sich von seiner Tochter Marine verführen lassen und Partei-Aktivisten werden."
Im Buch "Revenus du Front" haben sie ihre Erfahrungen niedergeschrieben
Für Nadia war Marine Le Pen attraktiv, weil sie eine kraftvolle Frau darstellte, die Beruf und Familie vereinte, die überzeugend redete und die versprach, sich besonders für Mütter wie Nadia einzusetzen. Als Nadia und Thierry schließlich in Toulouse öfter zu Parteitreffen gingen, kam das jähe Erwachen. Sie sahen sich mit Rassismus, faschistischem Gedankengut und einer Verherrlichung des Nazi-Regimes konfrontiert. Nadia:
"Ich wollte unter meinem Mädchennamen kandidieren. Das wurde mit dem Argument abgelehnt, die Wähler würden meine algerische Herkunft erkennen und das sei nicht mögen. Dann sagte mir ein hochrangiges Parteimitglied, obwohl mein algerisches Blut mit weißem gemischt sei, taugten ich und meine Kinder nur für den Ofen."
Ein anderer Parteifreund rühmte sich, Enkel eines SS-Führers zu sein. Nazisymbole waren keine Seltenheit. Die Beschwerden von Nadia und Thierry bei der Parteihierarchie wurden systematisch heruntergespielt, von Marine Le Pen selbst erhielten sie nie eine Antwort. Schließlich gaben sie enttäuscht ihre Parteibücher zurück. Heute warnt Thierry vor der Front-National-Chefin:
"Für mich ist Marine Le Pen gefährlicher als ihr Vater. Denn den erkannte man schnell durch seine Entgleisungen. Marine ist so gefährlich, weil sie an die Macht will, sie tut alles dafür und sie verkauft den Leuten erfolgreich, dass sie eine lautere und gute Politikerin ist."
Thierry und Nadia Portheault sehen sich heute als Opfer, zumal sie vom Front National wegen Diffamierung juristisch belangt werden. Dabei haben sie nur geglaubt, auch weil sie es glauben wollten, dass sich die Partei unter der Tochter Marine gewandelt hatte. Wie viele Franzosen. Tatsächlich sei Marine aber nur ein Aushängeschild, so Nadia. Hinter den Kulissen sei alles wie beim Vater, alles beim Alten geblieben.