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Froschkonzert in Moll

Als die Goldkröte ging, da dämmerte den Forschern, dass etwas nicht stimmte. Goldkröten stammen aus Costa Rica, aus einem winzigen Gebiet am Fuß des Monte Verde. Jedes Jahr zur Regenzeit, zwischen April und Juni, kamen sie dort zusammen um sich zu paaren. 1988 wollten Amphibienforscher das Schauspiel zum ersten Mal dokumentieren. Aber es kamen gerade einmal eine Handvoll Goldkröten, ein Jahr später keine einzige mehr. "Amphibian Decline" haben die Forscher das Phänomen genannt: Niedergang der Amphibien. Während die Ursachenforschung in den Tümpeln und Wäldern noch läuft, beginnt andernorts bereits die Vorbereitung auf den Ernstfall.

Von Marieke Degen |
    " Also wir haben hier so ein Gefäß mit Alkohol, wo sich so ungefähr zehn, zwanzig Harlekinfrösche der Art Atelopus pachydermus drin befinden, das ist eine Art, die ist Mitte des 19. Jahrhunderts schon entdeckt worden."

    Harlekinfrösche sind eigentlich kleine Kröten.

    "Man wusste nicht, wo kommt sie denn eigentlich her. Wenn die gesammelt worden sind, damals durch so genannte Naturaliensammler, gab's dann immer sehr generelle Angaben, wie Südamerika zum Beispiel."

    In Südamerika leben mehr als 100 Harlekin-Froscharten. Noch leuchten die meisten von ihnen in allen erdenklichen Farben und Mustern.

    "Und wir sind vor kurzem da gewesen an der Stelle, die Frösche sind aber nicht mehr zu finden."

    Als die Goldkröte ging, da dämmerte den Amphibienforschern, dass etwas nicht stimmte. Goldkröten leben in Costa Rica, in einem winziges Gebiet am Fuß des Monte Verde. Jedes Jahr zur Regenzeit, zwischen April und Juni, kamen sie dort zusammen, um sich zu paaren: Hunderte, die Männchen goldgelb leuchtend, wie kleine Juwelen in den Wasserpfützen. 1988 wollten Amphibienforscher das Schauspiel zum ersten Mal dokumentieren. Aber es kamen gerade einmal eine Handvoll Goldkröten, ein Jahr später keine einzige mehr. "Amphibian Decline" haben die Forscher das Phänomen genannt: Niedergang der Amphibien.

    Im Jahr 2004 hat die IUCN, die internationale Naturschutzunion der Vereinten Nationen, einen Bericht zur Lage der Amphibien veröffentlicht. Spätestens seitdem ist klar: Die Amphibien stecken in der Krise, weltweit. Seit 1980 sind 122 Arten komplett verschwunden. Weitere 2000 könnten folgen, ein Drittel aller Kröten, Frösche, Molche und Salamander. Der Erde steht das größte Artensterben seit den Dinosauriern bevor.

    Zürich, ein Militärgelände, direkt in der Einflugschneise des Flughafens in Zürich-Kloten. Panzer haben tiefe Furchen auf der Wiese hinterlassen. Der Regen hat sie in kleine Tümpel verwandelt. Lebensraum für Wasserfrösche, Teichfrösche, Laubfrösche und Gelbbauchunken. Der Abend bricht an, doch das große Froschkonzert bleibt aus. Nur ab und zu ein Quaken in der Sommernacht. Es ist Anfang Juli, die Paarungszeit der Frösche ist vorbei. Drei Amphibienforscher stapfen durch das kniehohe Gras, in khaki-grünen Anglerhosen, mit Käschern und Plastikdosen. Stefan Lötters aus Trier, Ursina Tobler aus Zürich, und der Kopenhagener Jos Kielgast.

    "Diese Tümpel hier haben Soldaten geschaffen. Wenn sie mit ihren Panzern im Herbst über die Wiese fahren, zerstören sie den Boden und es entstehen solche kleinen Tümpel, ein Paradies für Amphibien! Im Spätsommer trocknen die Tümpel nämlich aus. Das heißt, da drin können keine Fische leben, die den Laich fressen. Das Chaos, das der Mensch hier angerichtet hat, ist in diesem Fall klasse! Solange die Wiesen nicht verschmutzt sind und sie jedes Jahr wieder mit ihren Panzern über die Wiesen fahren."

    Die Forscher suchen nach Spuren einer mysteriösen Amphibienkrankheit: Chytridiomykose, oder kurz: Chytrid. Ein Pilz. Ursina Tobler steht am Rand eines kleinen Tümpels, immer wieder lässt sie den Käscher durchs Wasser gleiten. Kaulquappen und Molchlarven zappeln im Netz. Ab und zu auch ein ausgewachsener Frosch.

    "Hier haben wir einen Frosch, der hüpft im Netz rum, so. Das ist vermutlich ein kleiner Teichfrosch, und den packen wir jetzt in ne Dose, damit wir später einen Abstrich machen können."

    "Hier ist schon einer drin..."

    "Ja, hier ist schon einer drin, und jetzt vorsichtig, dass er nicht raushüpft, und rein, und zu."

    "Wunderbar!"

    "Perfekt."

    Amphibien-Chytrid ist auf dem ganzen Erdball verbreitet. Innerhalb kürzester Zeit kann er ganze Populationen hinwegraffen. Anderen Amphibienarten dagegen scheint er nichts anhaben zu können. Ursina Tobler will Abstriche von den Fröschen machen und diese im Labor auf Pilz-DNA untersuchen:

    "Gut, dann nehmen wir jetzt mal einen Frosch raus. Hiergeblieben! Tutututut, das ist etwas mühsam, wenn man da so blind reinfassen muss."

    "Soll ich halten oder willst du?"

    "Das geht eigentlich ganz gut. Jetzt halt ich den Frosch so, dass die Bauchseite nach oben zeigt, und dann streich ich dem sechs bis zehnmal über die Unterseite der Oberschenkel, weil das sind die Stellen am Körper, die am meisten mit feuchtem Boden und damit auch am ehesten mit Pilzsporen in Berührung kommen. Und da streicht man jetzt einfach mit diesem Wattestäbchen ein paar Mal rüber, und dann hat man, falls der Pilz da ist, ein bisschen von diesem Pilz abgeschabt, und kann den Frosch wieder springen lassen."

    Ein bisschen Stress, das war's. Mehr passiert den Fröschen nicht beim Chytrid-Test. Tobler:

    "Jetzt haben wir hier diesen klitzekleinen Laubfrosch, der ist wirklich nur einen Zentimeter groß, und diese Beinchen, die sind spindeldürr und die muss man jetzt hier festhalten, ohne sie zu brechen und dann ganz fein mit dem Wattestäbchen drüber. Und ganz süß an diesen Laubfröschen, die klettern ja sehr gut, und die versuchen dann, wenn man Abstriche macht, auch immer, die Wattestäbchen festzuhalten. So, das war’s, dann setzen wir den jetzt wieder an ne Pflanze, und tschüss."

    Seit dem letzten Sommer hat die junge Forscherin mehr als 100 Teiche in der Schweiz überprüft. Massensterben habe sie hier zwar noch keine beobachtet, sagt sie, das hat aber nichts zu bedeuten. Wenn die Tiere am Pilz eingehen, dann meistens gleich nach der Metamorphose, als winzige Frösche. Sie verwesen innerhalb von 24 Stunden. Unmöglich, sie in den Sumpfgebieten aufzuspüren. Immer mehr Froscharten verschwinden, überall auf der Welt. Die Gründe sind vielschichtig. Hauptursache Nummer eins ist die Abholzung des Waldes: Die Tiere verlieren ihren Lebensraum. Der saure Regen steht im Verdacht, verschmutztes Wasser, der Klimawandel - und Krankheiten. Doch wie das Zusammenspiel genau funktioniert, ist unklar. Besonders Chytrid gibt den Forschern viele Rätsel auf. Wo kommt der Pilz her? Und was hat ihn so gefährlich werden lassen? In Costa Rica wurde er den Goldkröten zum Verhängnis. Wie viele Arten wird er noch vernichten?

    Die Wissenschaftler, die sich weltweit mit Chytrid befassen, würden in einen Omnibus passen. Eines der Forschungszentren ist die Universität Zürich. Ursina Tobler experimentiert im Keller. Es ist kühl, Neonröhren spenden grelles Licht. Auf den Regalen sind durchsichtige Töpfchen aufgereiht, sie sehen aus wie Ein-Liter-Eispackungen aus dem Supermarkt. Darin infizierte Kaulquappen oder junge bräunlich-schwarze Geburtshelferkröten. Tobler:

    "Also Anzeichen dafür, dass sie sterben werden, gibt's kaum. Ich komm jeden Tag hierher und füttere die und schau, wie es denen geht, und meistens bin ich völlig überrascht, am nächsten Morgen liegen die einfach tot da."

    Der Pilz verbreitet seine Sporen im Wasser, und das am besten bei 23 Grad Wassertemperatur. Die Pilzsporen bohren sich in die Amphibienhaut und fressen die Hornschicht ab. Kaulquappen haben zunächst Glück, bei ihnen sind nur die Zahnreihen verhornt. Sie können sich zwar mit dem Pilz infizieren, leben aber weiter, bis zur Metamorphose. Bis sich der Pilz über den ganzen Körper verteilt. Dann können die jungen Frösche sterben. Woran genau, ist unklar. Vielleicht produziert der Pilz ein Gift. Wahrscheinlicher ist aber, dass er die empfindliche Amphibienhaut zerstört. Geburtshelferkröten scheinen besonders chytrid-anfällig zu sein, sie sind die Sorgenkinder in Europa. In Spanien sind ihre Bestände dramatisch eingebrochen, in der Schweiz ist die Hälfte aller Geburtshelferkröten in den letzten 20 Jahren verschwunden. Ursina Tobler:

    "Vermutungen, was da so eine Rolle spielt - also ich hab noch nichts ausgewertet, aber mich dünkt es, dass die, die ich in Zunsgen, das ist in der Nähe von Basel, gesammelt habe, dass die wesentlich häufiger sterben als die aus einem anderen Teich in der Nähe von Basel, und die aus dem St.-Gallerin-Tal. Woran das liegt - keine Ahnung. Aber der Ort, wo sie herkommen, scheint eine gewisse Rolle zu spielen, und wo ich mich jetzt wirklich auf die Äste rauslasse, ist, ich habe irgendwie das Gefühl, dass die Größe noch ne Rolle spielt. Also die größeren sterben komischerweise eher."

    Nicht alle infizierten Geburtshelferkröten müssen zwangsläufig sterben. Ursina Tobler kann die Pilzinfektion gut behandeln.

    "Das ist ein Präparat, das für Menschen sonst angewandt wird, heißt Sporanox, wirkt gegen Pilze, und zwar verdünnt man das ganz stark und dann badet man die während sieben Tagen jeweils fünf Minuten darin, und muss natürlich in der Zwischenzeit den Behälter, wo die Kröten gehalten werden, reinigen, damit sie sich dort nicht wieder neu infizieren können."

    Neuseeländische Forscher haben im vergangenen Jahr entdeckt, dass eine Augensalbe Frösche resistent gegen den Pilz machen kann. Und Wissenschaftler in den USA haben herausgefunden, dass ein spezieller Bakterien-Mix auf der Amphibienhaut den Fröschen dabei hilft, Chytrid zu bekämpfen. Hoffnungsschimmer - aber nur im Labor. Wie sollen wildlebende Frösche im Regenwald mit einer Salbe behandelt werden? Die Zeit drängt. In Südamerika breitet sich Chytrid immer weiter in Richtung Süden aus, etwa 30 Kilometer pro Jahr. Stefan Lötters:

    "Wenn man sich die Tropen anschaut, dann ist das so, dass in Südamerika zum Beispiel der Chytridpilz verheerende Folgen haben kann. Und er scheint dort auch wirklich vorzudringen, das konnte bewiesen werden in Studien, es gibt dort, wie bei einem Dominospiel den Effekt, dass eine Population nach der anderen eben zusammenbricht und unter Umständen auch ausstirbt."

    "Wenn die Frösche in so einem Ausmaß verschwinden, dann hat das eine Reihe von ökologischen Konsequenzen. Besonders in den Tropen ernähren sich Amphibien hauptsächlich von Insekten, die dem Menschen gefährlich werden könnten, Schädlinge in der Landwirtschaft. Oder Moskitos, die Malaria verbreiten. Studien haben gezeigt, dass Froschsterben mit einem Anstieg der Moskitos einhergehen, und das kann wiederum mit einem Anstieg von Malariainfektionen in Verbindung gebracht werden. Es gibt wahrscheinlich Tausende andere Beispiele, Folgen, die wir heute gar noch nicht absehen können. Auf jeden Fall sind auch wir Menschen vom Amphibiensterben betroffen. Der Verlust von Fröschen ist also alles andere als trivial."

    Der Schotte Gordon McGregor Reid ist Präsident der World Association of Zoos and Aquariums WAZA - und Chef der größten Artenschutzaktion in der Geschichte der Menschheit. McGregor Reid:

    "Die kurzfristige Lösung ist zwar nicht unbedingt die beste, aber es ist die einzige, die wir im Moment haben. Wir bauen eine Amphibien-Arche."

    "Das ist hier praktisch der Amphibienraum des Kölner Zoos, den wir noch gar nicht so lange haben, wir haben ihn seit circa 2005."

    Thomas Ziegler, Leiter des Aquariums im Kölner Zoo, streift seine Sandalen sorgfältig an der Desinfektionsmatte ab. Die Wände sind gesäumt von Aquarien und Terrarien, darin Blätter und Äste, auf denen winzige Fröschlein sitzen, die aussehen wie ein Vogelschiss. Junge Tigermolche verstecken sich unter Kokosnusshälften. Der Kölner Zoo ist ein Teil der Amphibienarche: Stark bedrohte Amphibienarten sollen, wenn schon nicht in der Natur, zumindest in Zoos überleben können. Vor zwei Jahren hat die World Association of Zoos and Aquariums, WAZA, dieses Netzwerk zur Rettung der Amphibien ins Leben gerufen, inzwischen sind Zoos auf der ganzen Welt beteiligt. Am besten gelingen die Nachzuchten natürlich in den betroffenen Ländern selbst, zum Beispiel in Südamerika. Aber auch im Kölner Zoo werden seltene Arten nachgezogen. Aufzucht und Pflege liegen in der Hand von Tierpfleger Detlef Karbe.

    "In so Dosen kriegen wir kleine Obstfliegen angeliefert. Da kommt dann ins Terrarium ein Stück Banane, und dann werden die Fliegen auf die Banane drauf geschüttet, und dann ist es für die Frösche eben ein leichtes, die da relativ schnell wegzufressen."

    Karbe und seine Kollegen müssen die Lebensweise und die Paarungsstrategien ihrer Tiere bis ins kleinste Detail kennen. Nur dann stehen die Chancen gut, dass sich die Amphibien auch vermehren wollen. Karbe:

    "Hier haben wir jetzt kleine Krokodilmolche, und bei denen ist das eben so, dass die als Larven relativ einfach sind, man muss nur eben beachten, dass man die Tiere einzeln aufzieht, wenn man die in Gruppen aufzieht, dann fangen sie irgendwann mal an und fressen sich gegenseitig die Beine und Schwänze ab, daher müssen wir sie also einzeln aufziehen."

    Seit kurzem besitzt der Kölner Zoo eine Quarantänestation eigens für Frösche, und einen Extra-Raum für die Aufzucht von Kaulquappen. Manche Terrarien sind mit Beregnungsanlagen ausgestattet, sie simulieren die Regenzeit, um die Frösche in Paarungsstimmung zu bringen. Hightech für den Zuchterfolg. Thomas Ziegler:

    "Es heißt immer, die kleinsten Tiere, na ja, die werden so nebenbei gepflegt im Zoo. Aber es ist oftmals so, dass gerade die kleinsten Tiere die kompliziertesten sind. Und wenn Sie den Raum sehen, Sie werden ja erstmal von Technik erschlagen. Wenn ich Sie jetzt bitten würde, an diesem Becken da vorne das Wasser abzudrehen, dann wüssten Sie ja erstmal gar nicht, an welchem Hahn der vielen Hähne, die dort zu sehen sind, und Schläuche, Sie drehen müssten."

    Man könne viele Fehler machen, sagt Ziegler, nicht nur technische, auch ganz banale Fehler. Er deutet auf ein Terrarium.

    "Und hier haben wir so eine Geschichte zu erzählen..."

    Die violetten Frösche mit den rosa Flecken haben eine dunkle Vergangenheit. Es sind Harlekinfrösche, gefangen aus der Wildnis Surinams in Südamerika. Chytrid-Notfälle. Ziegler:

    "Hier war das wirklich angesagt, weil man eben die Verbreitung des Chytridpilzes untersucht hat und diese Population tatsächlich Gefahr gelaufen ist, von diesem Chitridpilz erwischt zu werden, und da hat man es eben für schlauer gehalten, einige wenige dieser Art abzufangen und auf Zoos in der ganzen Welt zu verteilen."

    Die Harlekinfrösche sind eine von etwa 1000 Arten, die auf der Liste der Amphibienarche stehen, und die in Zoos und Aquarien gerettet werden sollen. Vor einem Jahr haben Forscher die Frösche in Styroporboxen in die Zoos nach Atlanta, Köln und Zürich gebracht. Jetzt steht ein Harlekinmännchen mit gespreizten Vorderbeinen auf einem Ast und lässt seine Kehle anschwellen. Paarungsrufe. Vergebliche Liebesmüh. Denn ausgerechnet Weibchen gibt es hier keine. Ziegler:

    "Hier ist eine ganz blöde Situation entstanden, was aber biologisch erklärbar ist. Bestimmte Arten sind zu bestimmten Phasen nicht gleichmäßig in der Natur verteilt. Zum Beispiel sind zur Paarungszeit die Männchen halt aktiver, und auch leichter zu fangen, und genau das ist hier auch passiert, in der Zeit, wo Ron Galliano und sein Team die Frösche abgefangen haben, die haben das eben zu einem Zeitpunkt gemacht, wo nur Männchen abgefangen worden sind. Und das ist das Problem, das wir zurzeit haben, dass eben die Kollegen aus Zürich und wir nur Männchen haben. Wir konnten bisher noch gar nicht nachzüchten. Wir müssen jetzt warten, bis uns Weibchen zugeführt werden, und da so ein Transport aus den USA beziehungsweise aus Südamerika in die USA und dann nach Deutschland nicht mal einfach eben so machbar ist, müssen wir uns noch etwas gedulden."

    Kosten und Aufwand solcher Nachzuchtprogramme sind hoch, ihr Ausgang ist ungewiss. Und so haben Forscher angefangen auch über alternative Rettungsprogramme nachzudenken.

    "Wir sehen, dass ganze Amphibienpopulationen verschwinden, und was mich überrascht, ist, dass wir immer über Kryobanken reden, um Säugetierarten zu erhalten, was unheimlich schwierig ist. Und keiner ist auf die Idee gekommen, Kryobanken zur Rettung der Amphibien einzusetzen."

    Bill Holt von der Zoological Society London hat schon vor vier Jahren damit begonnen, eine Arche zu bauen. Seine Arche ist aus Eis. Die Frozen Ark.

    "My name is Oliver Ryder, I am geneticist at the San Diego Zoo"

    Oliver Ryder hat den ersten Frozen Zoo der Welt gegründet in San Diego. Frozen Ark und Frozen Zoo. Zwei Projekte, ein Ziel: Gefährdete Tierarten für die Nachwelt erhalten, oder eher gesagt: ihre Zellen, tiefgefroren in flüssigem Stickstoff. In San Diego hat man schon vor 30 Jahren damit begonnen, Zellmaterial von Zootieren zu sammeln und zu kryokonservieren. Inzwischen lagern hier etwa 600 Arten. Amphibien sind kaum darunter, sie hatten keine Priorität, sagt Oliver Ryder.

    "Aber dann haben wir vom globalen Amphibiensterben gehört, und wir haben uns gesagt, wir sind eine Tierschutzorganisation! Wir haben genug Erfahrung, um all die charismatischen Säuger erhalten zu können, Gorillas oder Riesenpandas, und genau das sollten wir auch mit Amphibien tun."

    Die Kryokonservierung ist ein junges Forschungsgebiet. Und mit der Kryokonservierung von Amphibienzellen hat noch nicht einmal das Team um Oliver Ryder Erfahrung. Ryder:

    "Wir experimentieren noch. Bei Säugetieren können wir einfach eine kleine Hautprobe nehmen, diese Zellen vermehren sich sehr gut. Das funktioniert aber wiederum nicht bei Vögeln, und bei Amphibien erst recht nicht. Amphibienhaut ist wahnsinnig kompliziert, ein einziges Ökosystem mit vielen Bakterien. Wenn man versucht, Hautzellen zu vermehren, vermehren sich in erster Linie die Bakterien. Außerdem entnehmen wir die Proben immer erst, nachdem die Tiere gestorben sind. Sie könnten also auch schon an einer Krankheit gestorben sein. Deshalb arbeiten wir mit Augen, die sind relativ klein und in der Regel nicht infiziert. Wir nehmen Zellen aus dem Augeninnern und konservieren sie. Oder Zellen im Rachen, die wachsen sehr gut. Den Rest müssen wir anpassen. Amphibienzellen wachsen vielleicht bei ganz anderen Temperaturen als Säugetierzellen, und mit weniger Sauerstoff."

    Das gefrorene Zellmaterial birgt Information von unschätzbarem Wert. Zum Beispiel können Biologen untersuchen, wie Krankheiten entstehen: Wie genau die Erreger die Zellen befallen, sich in ihnen vermehren und sich verbreiten. Und das bei Tieren, die längst ausgestorben sind. Aber gefrorene Zellen eröffnen noch ganz andere Möglichkeiten. Mit ihrer Hilfe könnten Forscher ausgestorbene Arten irgendwann einmal wieder zum Leben erwecken, mit der Technik des Klonens. Das Schaf Dolly war das erste Säugetier, das geklont worden ist - aus der Euterzelle eines erwachsenen Schafs. Die Technik dahinter, der so genannte somatische Zellkerntransfer, ist aber schon viel älter. Sie wurde in den 50er Jahren an der Universität Cambridge entwickelt. Damals wurden die Zellen von Kaulquappen in Froscheier geschleust. Das erste geklonte Wirbeltier war ein afrikanischer Krallenfrosch. Die technischen Möglichkeiten sind also da. Die Frage ist nur: Was können die Forscher damit erreichen? Wegen des enormen Aufwandes könnten nur wenige Tiere geklont werden. Schwer vorstellbar, so die genetische Vielfalt innerhalb einer Art abzubilden. Für die meisten Zoologen kommt Klonen deshalb nicht in Frage. Zu wenig Erfahrungswerte, sagen sie, zu unnatürlich. Auch Bill Holt von Frozen Ark gibt zu: Lange hat er genauso gedacht.

    "Ich habe genau solche Artikel geschrieben, habe gesagt, dass wir beim Klonen vorsichtig sein müssen, damit wir keine geschädigten Tiere schaffen, die nicht überleben können. Das gilt natürlich auch für Amphibien. Man kann immer solche Argumente anführen, dass es nicht der Natur entspricht und so weiter, aber ich denke, dass wir solche Dinge in den Griff bekommen könnten. Es ist eine Frage der Forschung. Und wir sollten jetzt daran weiterforschen."

    "I must be very gently, these animals are very sensitive."

    Nabil Mansour, Tiermediziner und Kryoexperte an der Universität Salzburg, beugt sich über ein Wasserbecken mit schwarzen Molchen. Mansour arbeitet daran, die Nachteile des Klonens zu umgehen.

    "Klonen heißt, ich habe nur das Erbgut von einem Spender, das ich verdoppeln muss, und ich weiß, dass Klone eine sehr schlechte Überlebensrate haben."

    "Sch, sch, sch...come, come, come, as you can see here, there is no big abdomen and here is the genital papilla, you see? Ups, it's ... weg."

    Nabil Mansour will Molche mit einem doppelten Erbgut schaffen, mit dem Erbgut von zwei Vätern. Androgenese nennen das die Experten. Normalerweise verschmelzen bei der Zeugung eine Eizelle mit einem Spermium. Bei der Androgenese verschmelzen zwei Spermien. Diese Methode hat einen entscheidenden Vorteil: Wie in der Natur sind die Molchjungen mit dem Erbgut zweier Individuen ausgestattet. Anders als beim Klonen entsteht genetisch gesehen etwas Neues. Mansours Versuchstiere sind mexikanische Axolotl-Molche.

    "Ich nehme ein Ei von so einem Labormolch hier zum Beispiel und zerstöre das Erbgut darin. Dann kann ich das Ei mit Spermien befruchten, die wir von einer gefährdeten oder ausgestorbenen Molchart gesammelt und eingefroren haben. Ich befruchte das Ei aber mit zwei Spermien von zwei verschiedenen Männchen."

    Dass diese Methode bei Molchen funktioniert, haben Wissenschaftler schon in den 80er Jahren gezeigt, auch wenn ihre Erfolgsquote damals äußerst gering war. Nur zwei von 100 Eiern, die die Forscher auf diese Weise befruchtet hatten, sind zu kleinen Molchen herangewachsen. Und was noch gravierender war: Man habe die Elterntiere erst töten müssen, um an ihre Eier und Spermien heranzukommen. Nabil Mansour hat eine schönere Methode entwickelt. Gestern hat er zwei Molche mit Hormonen behandelt, jetzt liegen sie in einer Narkoselösung. Mansour:

    "Es ist besser, die Tiere zu narkotisieren. Ich kann ihnen auch ohne Narkose Sperma entnehmen, aber das ist für die Molche viel zu stressig. Sie werden dann krank und sterben. Aber wenn man sie ganz vorsichtig hält und massiert, macht das den Tieren nichts aus."

    Mansour hat Küchenpapier auf dem Tisch ausgebreitet, seine Uhr ausgezogen und sich Latexhandschuhe übergestreift. Eine Tierpflegerin hält das schlaffe Molchmännchen mit der Bauchseite nach oben, während Nabil Mansour ihm mit Daumen und Zeigefinger über den Unterleib streicht. Mansour:

    "Hold the animal very gently. not press, and the first two drops is water, sch, sch, sch, no this animal will not give, it is too early."

    "First I must dry the genital papilla, hold the tail, den Schwanz, like this. Nimm es besser mit Küchenrolle, dann geht es besser, sch, sch, sch. Slowly, slowly, slowly, this is water, this is the semen, hold this please, it's a very small amount of semen, this is the semen, ist genug."

    Ein winziges weißes Tröpfchen landet in der Petrischale. Nabil Mansour wuchtet einen dicken Stahlbehälter mit flüssigem Stickstoff unter der Laborbank hervor und schüttet einen Schwall auf die Spermien. Bald sollen die Androgenese-Versuche beginnen, dann wird er sie wieder auftauen und, zusammen mit dem Sperma anderer Männchen, in eine entkernte Eizelle einschleusen. Der Rest ist Biotechnologie. Durch einen Hitzeschock fusionieren zwei Spermien miteinander. Wenn alles gelingt, ist das Ergebnis ein Molch mit zwei Vätern.

    "Warum wir nicht gleich Embryonen von gefährdeten Arten einfrieren? Das ist eine Frage der Größe, denn Amphibieneier sind groß, riesig, 0,4 bis einen Zentimeter. Genau das ist das Problem: Wenn man solche großen Eier einfriert, bilden sich Eiskristalle, und beim Auftauen reißt die Eihülle. Dann ist alles verloren."

    Stattdessen will Nabil Mansour eine Spermienbank für gefährdete Amphibienarten aufbauen, mit deren Hilfe schwache Populationen wieder aufgefrischt werden könnten.

    Es gibt zurzeit um die 6000 bekannte Amphibienarten auf der Welt. Ein Drittel könnte in den nächsten Jahrzehnten verschwinden. Aber wie viele können wir tatsächlich retten? Die Amphibienarche - menschlicher Aktionismus, von vorneherein zum Scheitern verurteilt?

    "Das ist schwierig zu sagen, das ist eine Kritik, der man sich sicherlich stellen muss. Denn denken Sie nur eben an die genetische Vielfalt, die innerhalb einer Art besteht. Wie will man die insgesamt abdecken durch Erhaltungszuchten. Das ist möglich, aber schwierig. Erfordert ungemein viel Aufwand. Aber, ich sag’s noch mal, das ist immer noch besser, als wenn uns die Tiere von heute auf morgen aussterben, dann haben wir gar nichts, und so haben wir wenigstens einen Versuch. Wie realistisch der ist, das wird man sehen."

    Es müsste mehr Land gekauft, es müssten mehr Naturschutzgebiete geschaffen werden.

    "Nur wenn wir wirklich umdenken und handeln, dann können wir die Amphibien langfristig schützen. Denn langfristig funktioniert das nur in der Natur."

    Doch die Regenwälder werden weiter abgeholzt, der Klimawandel schreitet voran.
    Und eine Waffe gegen Amphibien-Chytrid ist nicht in Sicht. Wird ausgerechnet der Mensch die Amphibienkrise abwenden können? Oliver Ryder:

    "Irgendwann werden wir zurückblicken und sagen: Die Amphibien sind verschwunden, wir haben es gemerkt und all diese Maßnahmen ergriffen. Aber wir werden auch sagen: Wäre schön, wenn wir mehr gemacht hätten."