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"Frühe Rente bald 'ne Ente"

Für Zündstoff sorgt die Rentenreform in Frankreich, wo sie sehr viel moderater ausfallen soll als bei uns, aber dennoch heftig umstritten ist: Rente mit 62 statt mit 60, das ist das Ziel. Der Widerstand in der Öffentlichkeit ist beträchtlich - vor allem unter den Landwirten.

Von Burkhard Birke | 10.08.2010
    Les Bizots – ein kleines, inmitten der grünen Hügel der Saône et Loire verlorenes 500-Seelendorf – wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten, gebe es nicht ein kleines Tanzcafé an der Kreuzung der beiden Departementstraßen.

    Monique und Gaston Duverneau sind zu alt und krank, um das Tanzbein zu schwingen – abgesehen einmal davon, dass sie sich eine solche Ausgabe nicht leisten können. Nach 22 Beitragsjahren als mitarbeitende Frau eines Landwirts bekommt Monique 180 Euro Rente im Monat. Gaston, der mit 16 als Landarbeiter und später als Pächter einer kleinen Parzelle in die Rentenversicherung eingezahlt hat, bezieht 735 Euro im Monat. Über rund 1000 Euro verfügt das Ehepaar im Monat, zählt man die kleine Rente hinzu, die Gaston als ehemaliger Bürgermeister von Les Bizots erhält:

    "Da ist kein Platz für irgendwelchen Luxus. Wir können leben, weil wir einen Garten und ein paar Hühner und Kaninchen haben. Allein die Krankenzusatzversicherung verschlingt zwei komplette Monatsrenten. Dann kommen noch die Versicherungen hinzu, die festen Ausgaben – Wasser, Strom, Telefon, die man nicht verringern kann. Da müssen wir aufpassen. Wenn wir morgens aufstehen, haben wir schon jede Menge Ausgaben."

    Ein Glück, dass die Duverneaus sparsame, bescheidene Leute sind, die bei Renteneintritt zumindest das kleine Bauernhäuschen kaufen konnten, in dem sie zuvor zur Miete wohnten:

    "Das Haus war sehr alt, es gab keine sanitären Anlagen, keine Heizung, keinerlei Komfort. Unsere gesamten Ersparnisse haben wir in das Haus gesteckt und sind jetzt zum Leben ganz auf die Rente angewiesen."

    So wie den Duverneaus geht es einer Vielzahl von ehemaligen Landwirten. Zwar garantiert der Staat ein Mindesteinkommen von derzeit 709 Euro im Monat - "minimum viellesse" genannt.

    Nur jeder Dreißigste unter den 16 Millionen Rentnern in Frankreich beansprucht jedoch diese Leistung. Viele scheuen sich – aus Stolz oder Scham, besonders in der Landwirtschaft. Paul Billonet, Präsident der Organisation ehemaliger Landwirte in der Region Saône et Loire:

    "Sie wollen der Gesellschaft nicht zur Last fallen. Für die ehemaligen Landwirte ist das eine Sozialhilfe. Der Staat kann sich diese beim Ableben des Begünstigten zurückholen, wenn das Erbe 39.000 Euro übersteigt. Das ist ein anderer Grund dafür, dass die Landwirte diese Hilfe nicht in Anspruch nehmen."

    Und ein Grund dafür, dass in ländlichen Gebieten die Altersarmut besonders ausgeprägt ist. Zehn bis 15 Prozent der französischen Rentner leben an oder unter Armutsgrenze. Das sind zwar erheblich weniger als noch vor vier Jahrzehnten. Da lebte ein Drittel der über 60-Jährigen in Armut! Dennoch bleibt die Lage für viele Landwirte im Ruhestand schwierig. Die Anhebung des Rentenalters würde für sie wenig ändern. Im Gegenteil:

    "Man muss doch an die Gesundheit denken. Mit 60 ist die Frau eines Landwirts doch völlig abgearbeitet. Sie hat viel zu schwere Arbeit verrichtet. Das geht auf die Knie, die Hüfte, den Rücken. Wenn man 60 wird, ist man froh aufzuhören."

    "Die Rente mit 60 war damals eine sehr gute Entscheidung, denn es ging darum, Platz für die Jungen zu machen. Damals gab es viele junge Bauern, die sich selbstständig machen wollten, aber kein Land fanden. Alle, die mit 60 in Rente gingen, haben dann Platz für die Jungen gemacht."

    Dieses Argument führen die Gewerkschafter auch heute noch gegen die Anhebung des Rentenalters ins Feld: Zum einen hat Frankreich mit einer extrem hohen Jugendarbeitslosigkeit von gut 20 Prozent zu kämpfen, zum anderen gehen nur noch knapp zwei Fünftel der über 55-Jährigen im erwerbsfähigen Alter einer Beschäftigung nach.

    "Der Staat spricht überhaupt nicht von der Beschäftigung. Das ist doch der Haupthebel, um bei der Finanzierung der Renten anzusetzen. Man müsste also das Problem von einer anderen Perspektive aus angehen."

    Empörte sich der Vorsitzende der Gewerkschaft CGT Bernard Thibault unlängst bei einer Protestkundgebung – so wie sie bereits für September erneut anberaumt sind.

    Er habe nie bei einer Demonstration gefehlt – kündigt der 77-jährige Gaston schon jetzt seine Teilnahme an.