Seit Wochen ist der Ort Sölden (Österreich) in Aufruhr. Der dortige Rettenbachgletscher ist Schauplatz von zwei Riesenslalom-Rennen – Ende Oktober. Der Winter ist noch nicht hereingebrochen, es wurde ordentlich nachgeholfen, um den Saisonstart zu ermöglichen. So rollten Bagger an, um das FIS-Weltcup-Event vorzubereiten.
Ein Auszug der durchgeführten Maßnahmen: Die Gletscherkante wurde bei sommerlichen Temperaturen abgehobelt und Kunstschnee des letzten Jahres unterhalb des Gletschers auf die Geröllfelder verteilt. Der Aufwand für die Herrichtung der Piste ist enorm. Das sorgt vielerorts für bohrende Fragen.
ÖSV-Finanzreferent betont wirtschaftlichen Aspekt
Denn beklagt wird eine mangelnde Nachhaltigkeit des FIS-Rennkalenders, unter anderem von Größen des Sports selbst. "Bis zu welchem Grad sollen wir unsere Umwelt an einen Zeitplan anpassen, den wir haben wollen? Oder sollten wir unsere Zeitpläne an die Umwelt anpassen?", hatte US-Star Mikaela Shiffrin jüngst bei einem Medientermin gefragt.
Hunderte Skirennfahrerinnen und Skifahrer hatten einen offenen Brief an den Weltverband gerichtet, der die Forderung beinhaltete, der Ski-Weltcup müsse nachhaltiger werden, unter anderem durch die Anpassung des Rennkalenders. Initiator des Briefes war der österreichische Skirennfahrer Julian Schütter. Er forderte im DLF-Players-Podcast die FIS erneut dazu auf, das Klima mehr zu schützen.
Im Deutschlandfunk-Gespräch wehrte sich einer von Schüttlers obersten Verbandsbossen, Patrick Ortlieb, gegen Teile der Kritik. Der ÖSV-Finanzreferent, der Mitglied im Rat des Weltskiverbandes ist, betonte die wirtschaftliche Bedeutung des Rennkalenders: "Es ist so, dass der internationale Skiverband als Rechtehalter der Weltcup-Rennen und wir als österreichischer Skiverband als Veranstalter nichts anderes tun, als diesen Athleten – und das sind ganz vereinzelte, wobei man bei denen auch schauen kann, wie sie ihre Freizeit verbringen und zu ihren Trainings anreisen – eine Plattform bieten, ihren Beruf auszuüben und ihr Geld zu verdienen."
Ortlieb beklagt, manche wollten sich "profilieren"
Ortlieb, früher selbst Spitzen-Skifahrer, urteilte über die kritischen Stimmen, die einen späteren Saisonstart fordern: "Es ist eine große Industrie. Die Wintersportindustrie, Tourismusindustrie. Wir sind für jede Diskussion und Verbesserungsvorschläge offen. Aber es kann nicht sein, dass in den letzten drei Wochen manche Leute sich da profilieren wollen, dass es das Hauptthema überhaupt wird. Wir haben vorher schon, vielleicht ist Ihnen das auch entgangen in Ihrer Recherche, den Ski-Weltcup um eine Woche nach hinten verschoben."
Seine erste Bilanz zum Saisonstart in Sölden fiel am Samstag positiv aus: "Es war ein Top-Wintersportereignis, tief verschneite Pisten, es war super zum Skifahren. Sie sitzen vielleicht in irgendeinem Studio und können das gar nicht beurteilen. Ich war am Berg. Tausende Touristen haben das genossen. Es kann nicht sein, dass man das alles schlecht macht."
Ortlieb betonte: "Es waren mega Einschaltquoten in allen Fernsehstationen, es war ein Zuschaueransturm, den es noch nie gegeben hat in Sölden an einem Samstag bei einem Damenrennen. Ganz so schlecht ist das Produkt nicht, wie Sie es jetzt versuchen, darzustellen."
Im Kopf vieler Kritikerinnen und Kritiker blieben jedoch die Bilder der Baggerarbeiten auf etwa 3.000 Metern zur Vorbereitung des Events hängen. Zunächst unterstrich Ortlieb: "Das haben Sie auch falsch gesehen, Sie waren wahrscheinlich nicht vor Ort." Er räumte allerdings dann doch ein: "Der Bagger hat neben dem Gletscher, wo Felsen sind, Felsen präpariert, sie etwas abgeflacht, dass man weniger Schnee braucht, um Ski zu fahren. Je ebener die Flächen sind, desto weniger Schnee braucht man, um sichere Pisten für die Touristen zu schaffen."
Wissenschaftliche Studien prognostizieren Schneearmut
Nötig geworden sind diese Arbeiten durch die Gletscherschmelze, die sich aufgrund der Erderwärmung weiter verstärkt. Wissenschaftliche Studien prognostizieren zudem, dass in europäischen Skigebieten zukünftig weniger Schnee fallen wird. Schneeärmere Winter sind schon jetzt Realität.
Ortlieb glaube zwar, dass die vielen wissenschaftlichen Studien stimmen, die ein dunkles Bild für die Schneesicherheit europäischer Skigebiete bis zum Ende des Jahrhunderts zeichnen. Er relativierte jedoch: "Aber diese Höhen und Tiefen hat es immer gegeben. Vielleicht sind wir jetzt gerade in einer Situation, in der die Schneefallgrenze steigen wird, die Menge des Niederschlags nicht steigen wird. Aber es gibt Studien, die man so interpretieren kann und so. Ich bin einer, der das nüchtern sieht und sich alle Seiten anhört und alle Seiten versucht zu verstehen."
Studien, die ein gleichbleibendes Niveau oder sogar einen Zuwachs an Schneefall prophezeien, gibt es bislang allerdings nicht.
ÖSV-Funktionär offen für späteren Saisonstart
Jedenfalls erteilte Ortlieb einem späteren Saisonstart im Jahr 2024 noch keine Absage. Er erklärte zu den Beratungen im FIS-Council: "Wir machen sehr wohl Überlegungen, dass es vielleicht eine Woche oder zwei Wochen später ist, aber es kann sein, dass dann andere Veranstalter aus dem Rennkalender rausfallen, weil einfach der Zeitraum zu gering wird, um alle Rennen durchzuführen. Sonst müssen wir wieder auf andere Kontinente ausweichen, das ist ja auch wieder verpöhnt gewesen."
Man müsse zudem berücksichtigen, dass "je später es wird, die Wettersituation auch immer kritischer" werde. Ortlieb führte aus: "Da haben wir vielleicht andere Probleme mit Wind, Schneefall, Nebel. Dass man mit Absagen konfrontiert ist, das wird dann auch wieder negativ dargestellt. Wir arbeiten alle konstruktiv, positiv daran, dass wir ein gutes Produkt bieten."
Zukunftskonzepte im Verband laut Ortlieb ein Thema
Dabei sei den Wintersport-Funktionären sehr wohl bewusst: "Dass die Umwelt unser höchstes Gut ist. Dass wir mit ihr im Einklang stehen müssen." Der ÖSV-Finanzreferent nahm Bezug auf seinen eigenen Hintergrund: "Ich bin selber in einem Wintersport-Ort tätig. Ich habe dort ein Hotel, bin auch an einer Skilift-Gesellschaft mitbeteiligt. Aber man kann jetzt nicht von außen zurufen, von heute auf morgen alles über den Haufen zu werfen, nur weil manche meinen, sie haben es neu erfunden."
Mit der Klimakrise setze sich die FIS mit Präsident Johan Eliasch in ihrer Arbeit auch auseinander. Ortlieb sagte: "Wir haben hauptberufliche Angestellte, die sich echt Sorgen und Gedanken machen und Konzepte erarbeiten, was in Zukunft passieren wird."