Karl Zieseniß sitzt in seiner Wohnung in der Kölner Innenstadt. Diese liegt in der ersten Etage, das Arbeitszimmer geht nach vorne raus.
"Das ist mein Schreibtisch. Und das ist mein Lesegerät." Das Lesegerät sieht aus wie ein Overhead-Projektor. Zieseniß, mittlerweile 103 Jahre alt, geboren in dem Jahr, als der erste Weltkrieg ausbrach, 1914 in Köln, schiebt eine Zeitschrift über die Fläche, von hier wird das Ganze auf einem Fernsehbildschirm vergrößert. So könne er verfolgen, was passiere.
"Aber: Eine Zeitung lesen ist damit eigentlich möglich. Aber, müssen sie immer hin- und herschieben, dann sind sie das satt."
"Aber: Eine Zeitung lesen ist damit eigentlich möglich. Aber, müssen sie immer hin- und herschieben, dann sind sie das satt."
Aktuell liegt eine TV-Zeitschrift da. "Was sie lesen können ist der Express - nur die Überschriften."
Schlagzeilen um die Sanierung der Kölner Oper
Und in der Kölner Boulevard-Zeitung standen in den letzten Jahren viele große Überschriften, über das Opern-Desaster, die Fehlschläge, die die Sanierung des Schauspiel-Hauses und eben der Oper in der Kölner Innenstadt immer weiter verzögerten, immer teurer werden ließen. 570 Millionen statt der ursprünglich avisierten 253 Millionen Euro soll die Sanierung kosten, die Neueröffnung ist nun für Ende 2022 terminiert, sieben Jahre später als geplant.
Zieseniß zeigt jetzt erst einmal weiter durch sein Arbeitszimmer:"Und da stehen meine Urkunden für das Bundesverdienstkreuz am Bande und das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse."
An der Wand in Zieseniß Arbeitszimmer hängt die Urkunde, die ihn als eines von vier Ehrenmitgliedern der Bühnen der Stadt Köln ausweist. Er ist der einzige Verwaltungsmann in dieser Ahnenreihe, die sonst Künstlern vorbehalten ist. Der Grund: Jahrzehntelang war er Verwaltungsdirektor für die Bühnen - und sorgte ab dem Jahr 1953 als Bauherr dafür, dass der Bau des Architekten Wilhelm Riphahn, der nun saniert wird, pünktlich öffnete:
"Mir sind 57 eingezogen. Auf die Minute, keine Verspätung, keine Überschreitung des Etats. Und alle haben so gearbeitet, dass sie an dem Eröffnungstag spielen konnten."
"Mir sind 57 eingezogen. Auf die Minute, keine Verspätung, keine Überschreitung des Etats. Und alle haben so gearbeitet, dass sie an dem Eröffnungstag spielen konnten."
Es war der 18. Mai 1957, als der damalige Bundeskanzler und ehemaliger Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, im Beisein des damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuß, den Bau eröffnete. 16 Millionen Mark hatte der Bau gekostet, zwölf Jahre nach Kriegsende hatte die Domstadt wieder eine Oper - und Zieseniß seinen Auftrag erfüllt.
Denn: rund vier Jahre vorher war das Gespräch mit dem damaligen Kölner Stadtdirektor Max Adenauer, dem Sohn (*) des Bundeskanzlers, zwar schnell gegangen, aber auch eindeutig: Zusammen mit dem Intendanten war Zieseniß zum Gespräch einbestellt worden.
Den Eröffnungstag habe ja der Intendanten angesetzt, so Adenauer: "Den müssen sie halten. Das und das steht als Geld zur Verfügung, außerplanmäßige Ausgaben gibt es nicht. Wiedersehen."
"Kein Pardon"
Das Projekt begann - und letztendlich so Zieseniß, gab es nur eine Devise: "Wir mussten spielen können und es gab dafür kein Pardon."
Für den Architekten Riphahn, mit dem Zieseniß gut konnte, war es wohl nicht immer einfach: "Dafür haben wir eben dem Riphahn täglich auf den Füßen gestanden."
Aber: Es musste mitunter auch abgewogen werden: "Dann brauchten wir selbstverständlich eine Kasse für die Bezahlung. Das musste sein. Ob der Parkettboden, der Boden jetzt Teppich wurde oder Steinfliesen, das war wurscht."
Letztendlich war es einfach: "Da kommt dann der Vorhang vor und dann war die Baustelle weg. Und so sind wir dann auch auf diese Weise fertig geworden. Fertig geworden in Anführungsstrichen."
Letztendlich war es einfach: "Da kommt dann der Vorhang vor und dann war die Baustelle weg. Und so sind wir dann auch auf diese Weise fertig geworden. Fertig geworden in Anführungsstrichen."
"Heute sind die Ansprüche größer"
Das, so Zieseniß, sei auch der größte Unterschied zu heute.
"Die wollen in ein komplett fertiges Haus einziehen. Das ist der Fehler. Aber vielleicht ist das kein Fehler, denn heute sind die Ansprüche größer als '57. Heute könnte vielleicht sein, wenn die in einen halbfertigen Bau ziehen, die Leute sagen: Och, in die Bude gehen wir nicht rein. Ne? Ja? Das weiß ich nicht."
Aber: Von Ideen oder Vorschlägen, die Oper und das Schauspiel-Haus, wie einst angedacht oder auch jetzt - nach den Sanierungsproblemen - noch einmal angeregt, woanders hin zu verlegen, hält Zieseniß nichts.
"Für die Kölner hat die da ihren Platz gefunden und da steht die auch, sagen wir mal, im Herzen des Kölners, wenn die die jetzt irgendwann woanders hin tun, dann sagen die Kölner: Lass mich mal."
"Glaube nicht, dass ich die Eröffnung noch erleben werde"
Dennoch: Die ursprünglich geplante Eröffnung im November 2015 hätte Zieseniß gerne miterlebt. Darauf angesprochen, zuckt sein Mund zu einem Lächeln:
"Das war auch der größte Witz: Acht Tage vorher oder 14 Tage vorher, hat mich die Intendantin noch eingeladen, zu der ersten Aufführung. Da wusste die Intendantin noch nicht mal, dass die fertig wird. Ja, hören's."
Für den ehemaligen Bauherren undenkbar. Jetzt ist eben Ende 2022 als Eröffnungsdatum terminiert.
"Wenn ich noch kann. Oder noch lebe. Bin 103, werde dieses Jahr 104. Das kann bei mir täglich passieren, kann aber auch noch zehn Jahre tun. Wer weiß das? Aber ich glaube nicht, dass ich die Eröffnung noch erleben werde", sagt Zieseniß - und wirkt mit sich im Reinen.
Er war ja pünktlich. Damals, vor über 60 Jahren.
(*) In der ursprünglichen Version war vom Neffen die Rede. Wir haben das in der Schriftversion korrigiert.