Ralf Krauter: Wenn Forscher verstehen wollen, wie das Leben in grauer Vorzeit so war, in Europa oder Asien, stützen Sie sich dabei meist auf prähistorische Funde wie Faustkeile, Flöten oder Höhlenmalereien, die Steinzeitmenschen hinterlassen haben. Fossile Skelettreste, wie etwa die im Neandertal bei Düsseldorf gefundenen, gibt‘s nämlich leider nur an sehr wenigen archäologischen Fundstätten - weshalb die faszinierende Möglichkeit, das Erbgut der Frühmenschen zu untersuchen, leider oft ins Leere läuft. Denn ohne fossile Knochen, keine DNA-Analyse. Dachte man bislang zumindest.
Doch Matthias Meyer und Kollegen vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig wollten sich damit nicht abfinden und schreiben im Fachmagazin "Science", sie hätten Urmenschen-Erbgut erstmals aus Sedimenten extrahiert: aus Höhlensand, der zwischen 14 und 550.000 Jahre alt ist. Ich habe den Leiter der Gruppe für fortgeschrittene DNA-Sequenzierungstechnologie gefragt, wie er auf die Idee kam, statt Skelettresten Sand unter die Lupe zu nehmen.
Matthias Meyer: Wir sind auf die Idee gekommen, weil es schon in den letzten zehn Jahren, vielleicht sogar 15 Jahren, vereinzelte Untersuchungen gab, die gezeigt haben, dass DNA tatsächlich in Sedimenten überleben kann, und in den letzten Jahren sind die analytischen Methoden noch mal sehr viel sensitiver geworden, und dann haben wir uns gefragt, ob es vielleicht auch möglich sein könnte, die DNA von Neandertalern oder anderen Frühmenschen dort zu finden.
Das Problem dabei ist natürlich, dass oft dann an den archäologischen Fundstätten vielleicht tausende Knochen von Tieren findet und auch ein paar Steinwerkzeuge, aber sehr wenige Fossilien von Neandertalern. Das zeigt, dass die Höhlen genutzt worden sind, aber sicherlich selten der Ort, wo die am Ende wirklich gestorben sind. Deswegen haben wir sehr sensible Methoden benutzt, um herauszufinden, ob vielleicht trotzdem bei der Nutzung der Höhlen Spuren von DNA hinterlassen wurden, auch von Neandertalern.
"Ein besonderes Molekül: das Mitochondrien-DNA-Genom"
Krauter: Und Sie haben also so eine Art genetische Inventur gemacht, so könnte man das, glaube ich, sagen. Wie genau sind Sie da vorgegangen? Also woher stammten die Proben, und wie wurden die dann analysiert?
Meyer: Also wir haben Proben von Archäologen entnehmen lassen, zum Teil auch selber entnommen und dann etwa eine Messerspitze voll von jeder Probe im Labor untersucht. Was man dann zuerst mal sieht, ist, dass in einer kleinen Menge von Sediment Millionen oder sogar Billionen, also 10 hoch 12, Moleküle vorhanden sind und dass unter diesen Molekülen auch einige Säugetier-DNA-Fragmente sind. Es ist leider nicht möglich, dann alle diese DNA-Fragmente direkt zu untersuchen, einfach direkt zu sequenzieren, das wäre viel zu teuer und aufwendig, und deswegen haben wir uns auf ein besonderes Molekül eingeschossen, das Mitochondrien-DNA-Genom.
Verschiedene Arten oder Populationen "viel leichter möglich"
Krauter: Die Mitochondrien, das sind so die Zellkraftwerke, die wir schon sehr lange …, die auch unsere Vorfahren schon sehr lange in den Zellen benutzen, um Energie zu gewinnen letztlich.
Meyer: Richtig, und die haben den großen Vorteil, dass sie in hunderten Kopien in jeder Zelle enthalten sind und auch, dass sie sehr schnell evolvieren, also sehr schnell ihre Sequenz verändern. Anhand dieser Sequenz ist es sehr viel leichter möglich, verschiedene Arten oder Populationen zu unterscheiden, als anhand der chromosomalen DNA.
Krauter: Und hat das dann gereicht, um sozusagen aus dieser Spreu an Myriaden von Erbgutschnipseln die DNA von Frühmenschen herauszufiltern?
Meyer: Ja, das ist richtig, und wir brauchten natürlich noch zusätzlich schlaue Computerprogramme, die jede Sequenz mit einer Datenbank verglichen haben von Mitochondrien-Sequenzen, um zu schauen, ist diese Sequenz jetzt wahrscheinlicher von einem Mammut, vielleicht von einem Hirsch, einer Hyäne oder tatsächlich von einem Neandertaler, und dann haben wir tatsächlich in einigen Proben, aber bei Weitem nicht in allen, auch kleine Spuren von Neandertaler-DNA gefunden.
"Hoffnung auf eine sehr hohe Auflösung"
Krauter: Das heißt, Sie konnten auf genetischer Ebene bestätigen, dass in bestimmten Höhlen, wo man eh schon vermutete, dass dort Neandertaler gewohnt haben, sie tatsächlich auch gelebt hatten?
Meyer: Das ist richtig. Also aus den meisten Fundstätten, wo wir Proben gesammelt haben, war schon bekannt, dass das Neandertaler waren, dadurch auch, dass dort Knochen oder Zähne gefunden wurden von Neandertalern. Wir hatten immerhin auch eine Fundstätte untersucht, wo bislang keine Überreste gefunden wurden von Neandertalern, nur Steinwerkzeuge, aber auch dort haben wir DNA von Neandertalern gefunden.
Krauter: Illustriert das auch schon den Mehrwert dieses neuen Analyseverfahrens, dass man auch dort, wo keine Knochen gefunden wurden, jetzt sich auf die Suche machen kann nach DNA-Spuren von Neandertalern?
Meyer: Genau, das ist richtig, und unsere Hoffnung ist, dass man damit eine sehr hohe Auflösung bekommen kann, um zu rekonstruieren, wann welche Menschengruppen an welchem Ort waren. Selbst wenn man in einer Höhle einen Knochen gefunden hat, dann ist der oft nur in einer Fundschicht drin, aber nicht in den darüber oder darunter liegenden.
Dem Ausbreitungsgebiet des Denisova-Menschen folgen
Das heißt, bei einer DNA-Analyse könnte es prinzipiell möglich sein, zu schauen, wie haben sich verschiedene Menschenformen dann in der Höhle abgelöst, und uns interessiert natürlich ganz besonders, was das Ausbreitungsgebiet von bestimmten Menschenformen waren, insbesondere zum Beispiel dem Denisova-Menschen – eine Menschenform, die nur in dieser einen Höhle in Südsibirien bislang gefunden wurde und von der wir nichts haben außer drei Zähne und einen kleinen Fingerknochen.
Diese Menschenform kann natürlich nicht nur in dieser einen Höhle gelebt haben. Deswegen wäre es wahnsinnig spannend, zu schauen, wo noch – vielleicht weiter Richtung Asien – wir vielleicht DNA-Fragmente finden von dieser Form.
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