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Frühzeitige Geschlechtsbestimmung bei der Aufzucht von Küken

Heute vor einem Jahr hatte die neue Agrarministerin Renate Künast in ihrer Antrittsrede vor dem Deutschen Bundestag angekündigt, dass künftig ?die Küken nicht mehr massenhaft millionenfach geschlachtet werden, weil sie nicht das richtige Geschlecht haben.? Das gehöre zur Agrarpolitik von gestern. Derzeit ist es so, daß jedes Jahr in deutschen Brütereien rund 25 Millionen Hahnenküken gleich nach dem Schlüpfen getötet werden, in Europa sind es etwa 400 Millionen. Der Grund: eine Mast dieser Tiere wäre nicht rentabel, die ?Brüder? der auf Höchstleistung getrimmten Legehennen lassen sich nicht innerhalb weniger Wochen zu fleischbepackten Hähnchen mästen. Wie sieht der Alltag in Deutschlands größter Legebrüterei aus und wie wäre es möglich, den millionenfachen Kükentod zu verhindern?

von Lutz Reidt |
    Ohrenbetäubend ist das Piepsen, das durch die Halle schallt. Zehntausende Küken haben soeben die Eischalen in den Brutschränken durchbrochen. Nun tippeln sie - noch etwas wackelig auf den dürren Beinen - über ein gelbfarbenes Fließband. Das Federkleid ist bei einigen noch feucht und verschmiert, bei den meisten jedoch bereits getrocknet und flauschig. Das frische Gelb sollte eigentlich neugeborenes Leben symbolisieren, doch dies wird für jedes zweite Küken nur wenige Minuten dauern. Flinke Hände und scharfe Augen bestimmen buchstäblich in Fließbandarbeit das Geschlecht der Küken:

    Es wird hier eben die Kloake nach außen gestülpt; und der Fachmann kann dann den rudimentären Penis, der beim Hahn vorhanden ist, erkennen; ob der da ist oder nicht. Und je nach dem wird dann der Hahn nach rechts auf dieses Band oder die Henne nach links gelegt. Und das geht mit einer gewissen Übung mit großer Geschwindigkeit.

    Markus Zahn ist Betriebsleiter in Deutschlands größter Legebrüterei in Schaafheim bei Aschaffenburg, die zu den LSL Rhein-Main Geflügelvermehrungsbetrieben zählt. Weil sich die Hahnenküken nicht rentabel mästen lassen, werden sie aussortiert und mit Kohlendioxid vergast . Dies könnte bald verhindert werden. Ziel ist es, bereits vor dem Schlupf die Eier mit den männlichen Erbanlagen auszusortieren und dann in der Lebensmittelindustrie zu nutzen. Als Eipulver zum Beispiel. Die Agrarwissenschaftlerin Dr. Sabine Klein von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Mariensee bei Hannover entnimmt die nötigen Erbinformationen aus der Keimscheibe auf dem Dotter, aus der sich später der Embryo entwickelt. In diesem kleinen Pünktchen sind 60.000 Zellen konzentriert:

    Diese 60.000 Zellen klingen nach sehr viel, konzentrieren sich aber - wenn man sich das Ei mal ansieht - auf ein Areal von ca. drei bis fünf Millimeter Durchmesser auf der Oberfläche der Dotterkugel. Und man kann das sehr gut - wenn man ein Ei in der Küche aufschlägt - an einem kleinen, weißen Punkt auf diesem gelben Dotter sehen. Der im Volksmund halt auch als Hahnentritt bezeichnet wird.

    Und aus diesem winzigen ?Hahnentritt? reichen Sabine Klein maximal zehn Zellen, um im Labor das Geschlecht über eine DNA-Analyse sicher zu bestimmen. Trotz der Zellentnahme entwickeln sich im weiteren Brutverlauf vollwertige Küken. Allerdings gelingt dies nur in der Embryonenkultur am geöffneten Ei. In den Brütereien jedoch müsste die winzige Keimscheibe im intakten Ei durch die Kalkschale hindurch erkannt und dann auch punktgenau getroffen werden:

    Das einzige, was wir bisher praktisch geprüft haben, ist die Magnet-Resonanz-Tomografie, um diesen winzigen Punkt auf dem Dotter zu lokalisieren, um damit eine Zellentnahme steuern zu können. Wer von Bildverarbeitung eine Vorstellung hat, der sieht eine Grauwertabstufung, die man erhält, wenn unterschiedlich dichte Gewebe unterschiedliche Resonanzen darstellen. Und dann erhält man von dem Ei ein Bild, was eine weiße Schale, ein graues Dotter und eine hellere Schicht Eiklar darstellt, und in diesem grauen Dotter ein weißes Pünktchen an der Dotteroberfläche dieser wasserhaltigen und damit geweblich unterscheidbaren Zellen liefert.

    Nun müsste ein für die Brütereien praktikables Verfahren im großtechnischen Maßstab entwickelt werden. In Schaafheim ist Geschäftsführer Georg Gronbach stark daran interessiert. Nicht nur aus ethischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen. Man müsste noch nicht einmal halb so viele Eintagesküken energieaufwendig drei Wochen lang im Brutschrank ausbrüten:

    Ja, es würde bedeuten, dass wir etwa 50 Prozent der anfallenden Bruteier verwerten und in die menschliche Nahrungskette einführen könnten. Wir bräuchten anschließend nur die halbe Brutkapazität, damit die halbe Energie und könnten dann schneller unsere Schlüpfe erledigen und hätten eigentlich nur Vorteile, wenn es eine solche Möglichkeit gäbe.