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Frust über Chancenlosigkeit

Bei Krawallen in den Vororten von Stockholm haben Jugendliche ihren Frust über die aussichtslose Lage auf dem Arbeitsmarkt abgelassen. Denn auch in Schweden ist die große Jugendarbeitslosigkeit ein Problem. Die Gründe: mangelnde Bildung, schlechte Integration und wenig mutige Arbeitgeber.

Von Tim Krohn |
    Stockholm Husby, Ende Mai 2013:

    Europa reibt sich verwundert die Augen: so eine Gewalt, ausgerechnet im sonst doch so kreuzbrav wirkenden Schweden?

    Für Camila Salazar Atias kommen die Unruhen in Husby alles andere als überraschend. Sie kennt die Kids aus den Vororten nur allzu gut. Kreuzbrav ist das Leben hier nun wirklich nicht. Man hätte, sagt sie, damit rechnen können:
    "Nein, das hat uns nicht überrascht. Seit acht Jahren brennt es immer mal wieder in den Vorstädten, jeweils vor oder nach dem Sommer. Man weiß nur nicht, wo es passiert. Der Unterschied dieses Mal lag nur darin, dass es so lange anhielt. Wir erleben das Jahr für Jahr und nie tut sich was."

    Camila ist eine der Leiterinnen des Fryshuset in Stockholm. Von der Hausaufgabenhilfe bis zum Schulabschluss, es gibt eigentlich nichts, was es hier nicht gibt. Zwischen Skaterpark und Basketballhalle findet man eine Arbeitsvermittlung, sogar eine reguläre Polizeistation, und mittendrin ein Gymnasium mit fast 1000 Schülern. Das Fryshuset ist für die meisten hier die allerletzte Chance.

    "Es gibt eine Untersuchung aus Lund, die belegt, dass die Arbeitgeber unter Bewerbern mit gleichwertigen Zeugnissen doppelt so oft jemanden mit einem schwedischen Namen auswählen. Außerdem geht es immer wieder um Kontakte und Beziehungen. Viele Jugendliche hier haben aber keine schwedischen Freunde. Sie kennen nur Behörden, Lehrer oder Polizisten. Sie sind ganz einfach nicht integriert. Und das macht es natürlich umso schwerer."

    85 Prozent der Menschen in Husby haben ausländische Wurzeln. Fast jeder zweite Jugendliche hier geht weder zur Arbeit noch zur Schule. Viele sind schon nach der neunten Klasse der gemeinsamen Grundschule gescheitert, Negativrekord in Schweden.

    "Die Arbeitsvermittlung sitzt jetzt direkt bei uns im Haus, also genau da, wo die jungen Leute sind. Unser Projekt richtet sich an die Leute, die sonst durch jedes Register hindurchfallen. Sie sollen eine Chance erhalten, trotzdem in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Und es zeigt sich, dass ungewöhnlich viele Schüler vom Fryshuset tatsächlich Arbeit bekommen."

    Es kann also klappen, wenn alle Seiten beweglich sind. So schätzt es auch Erik Huldt ein, der Mann der Zahlen beim Stockholmer Arbeitsamt. Huldt hat es nicht leicht im Moment. Erst gestern veröffentlichte das Svenska Dagbladet eine neue Untersuchung. Demnach genießt die Arbeitsvermittlung den mit Abstand schlechtesten Ruf aller schwedischen Behörden.

    Trotzdem: Seine Daten rücken einiges gerade. Stockholm inklusive seiner Vororte hat insgesamt immer noch weniger arbeitslose Jugendliche als der Rest des Landes. Und auch die Zahlen für ganz Schweden, sagt Huldt, könne man nicht einfach so mit den deutschen vergleichen.

    "Nach der offiziellen Statistik liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Schweden bei 20 bis 25 Prozent. Das ist natürlich eine sehr hohe Zahl. Aber wenn man sich die mal etwas genauer anschaut, dann stellt man fest, dass es den schwedischen Jugendlichen vielleicht doch nicht so schlecht geht. Denn teilweise haben wir es hier auch mit einer statistischen Täuschung zu tun. Das deutsche Lehrlings-System zum Beispiel bewirkt, dass viele Jugendliche Einkünfte haben und als Arbeitende gerechnet werden. In Schweden würde man die als "arbeitslose Studierende" erfassen."

    Ein duales System wie in Deutschland gibt es in Schweden nicht. Es hat sich nie entwickelt. Diese Mischung aus Schul- und Werkbank gilt mittlerweile als großes Vorbild für den Norden. Langfristig könnte das auch den Schweden helfen, davon sind Huldt und seine Chefs in der Behörde überzeugt.

    "Ich persönlich habe nicht den Eindruck, als ob diese Generation von Jugendlichen besonders faul wäre oder so. Nein. Ich würde mir viel mehr Arbeitgeber wünschen, die es auch mal wagen, ein zusätzliches Risiko einzugehen, um einem Jugendlichen zu helfen. Wir stellen nämlich sehr oft fest, dass es das wert gewesen wäre, dass es zu guten Resultaten führt."