Pläne der Ampel
Kürzungen beim Freiwilligendienst statt soziales Pflichtjahr

Einen sozialen Pflichtdienst für alle - das hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor einem Jahr gefordert. Nun aber will die Bundesregierung beim Freiwilligendienst den Rotstift ansetzen. Sozialverbände warnen vor drastischen Folgen.

07.11.2023
    Ein Bundesfreiwilligendienstleistender zusammen mit einem Schüler in der Marianne-Cohn-Schule in Berlin.
    Anpacken, lernen, helfen: Die Bufdis unterstützen in Kitas, Schulen und sozialen Einrichtungen. (picture alliance / photothek / Thomas Trutschel)
    „Die Plätze in den Freiwilligendiensten werden wir nachfragegerecht ausbauen“, heißt es eigentlich im Koalitionsvertrag der Ampel. Doch nun plant die Bundesregierung eher das Gegenteil: Um die Schuldenbremse einzuhalten, soll gespart werden – und das auch bei den Freiwilligendiensten, und zwar im massiven Umfang. So jedenfalls sieht es der Kabinettsbeschluss für den Bundeshaushalt 2024 vor.
    Dagegen protestieren Sozialverbände und soziale Einrichtungen. Sie fürchten, die freiwilligen Helfer nicht mehr finanzieren zu können. Anfang Dezember soll der Bundestag den Haushalt beschließen.

    Inhalt

    Was ist der Freiwilligendienst und wann wurde er eingerichtet?
    Der Freiwilligendienst ist eine institutionalisierte Form bürgerlichen Engagements für jung Menschen unter 27 Jahren. Ein Jahr lang leisten sie, meist in Vollzeit, einen Dienst für das Gemeinwohl – nicht nur in sozialen Einrichtungen, sondern mittlerweile auch in der Kultur und Denkmalpflege, im Natur- und Umweltschutz, in Sporteinrichtungen oder im Zivil- und Katastrophenschutzes. Etwa 100.000 Jugendliche und junge Erwachsene sind es Jahr für Jahr – die meisten absolvieren den Dienst nach dem Abitur.
    Seit fast 60 Jahre gibt es das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) bereits, seit 1964. In den Neunzigerjahren kam dann das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) hinzu.
    Als die Wehrpflicht ausgesetzt wurde und damit auch der Zivildienst wegfiel, wurde 2011 außerdem der Bundesfreiwilligendienst („Bufdi“ / BFD) eingeführt, der sich auch an Menschen richtet, die älter als 26 Jahre sind. Im Vergleich zu den Jugendfreiwilligendiensten – FDJ und FÖJ – wird dieser etwas anders finanziert und organisiert, unterscheidet sich für die Teilnehmenden aber nur geringfügig vom Freiwilligen Sozialen oder Freiwilligen Ökologischen Jahr.
    Außerdem gibt es Freiwilligendienste, bei denen die Helferinnen und Helfer im Ausland mit anpacken – beispielsweise der entwicklungspolitische Freiwilligendienst weltwärts oder der kulturpolitische Freiwilligendienst kulturweit, außerdem die Internationalen Jugendfreiwilligendienste und das Europäische Solidaritätskorps.
    Hier finden Sie Informationen zu allen Freiwilligendiensten des Bundes.
    Wie viel soll beim Freiwilligendienst eingespart werden?
    In den Jahren 2024 und 2025 will die Regierung insgesamt 113 Millionen Euro bei den Freiwilligendiensten kürzen – etwa ein Drittel der Ausgaben für das Freiwillige Soziale Jahr, Freiwillige Ökologische Jahr und den Bundesfreiwilligendienst (BFD). Diese werden aktuell mit 327 Millionen Euro vom Bund bezuschusst. 2025 sollen es nur noch 214 Millionen Euro sein.
    Für soziale und ökologische Einrichtungen hat dies nach deren Angaben drastische Folgen. Im geplanten Bundeshaushalt für 2024 von 445,7 Milliarden Euro schlagen die Einsparungen dagegen nur als Nachkommastelle zu Buche.
    Zum Vergleich: Klimaschädliche Subventionen wie die Pendlerpauschale, das Dieselprivileg oder die Nicht-Besteuerung von Kerosin kosten den Staat nach einer Untersuchung des Bundesumweltamts von 2018 jährlich etwa 65 Milliarden Euro, also etwa 800 Mal mehr als bei den Freiwilligendiensten 2024 eingespart werden soll – nämlich 78 Millionen.
    Wie wird der Freiwilligendienst finanziert?
    Im FSJ und BFD entstehen pro Person monatlich Kosten von durchschnittlich 920 Euro, im , heißt es in einer Studie der Bertelsmann Stiftung von 2022. Davon sind durchschnittlich 405 Euro Taschengeld plus Zuschuss für Unterkunft und Verpflegung, 160 Euro der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung, der Rest deckt Verwaltungskosten und die pädagogische Begleitung der Teilnehmenden, Weiterbildung und Lehrgänge ab. Eine etwas andere Kostenstruktur ergibt sich beim FÖJ, bei dem die durchschnittlichen Kosten pro Person und Monat 990 Euro betragen.
    Finanziert wird dies teilweise durch die jeweiligen Träger der Freiwilligendienste, außerdem vom Bund und den Ländern. Laut der Bertelsmann Studie übernahm der Bund 2021 beim Jugendfreiwilligendienst knapp 17 Prozent der Kosten, beim Bundesfreiwilligendienst 50, bei Programmen wie weltwärts 75 Prozent.
    Welche Folgen könnten die Einsparungen beim Freiwilligendienst haben?
    Viele Träger wie das Deutsche Rote Kreuz, Diakonie oder Caritas befürchten aufgrund der Sparmaßnahmen einen regelrechten Kahlschlag. Es könnten bis zu 30.000 Plätze für Freiwilligendienste wegfallen, rechnet der Paritätische Wohlfahrtsverband vor. Die Caritas spricht von 25.000 bis 35.000 Plätzen. Demnach würde etwa jede dritte Stelle wegbrechen. Damit könnten in vielen Alten- und Pflegeheimen, Kitas und Jugendzentren oder Behinderteneinrichtungen zusätzliche Angebote wegfallen. Denn solche Angebote werden oft mit FSJlern und Bufdis aufrechterhalten.
    Diakonie-Präsident Ulrich Lilie kritisierte das Einsparungsvorhaben auch in Hinblick auf den Fachkräftemangel in der Pflege- und Sozialbranche. Denn gerade über ein Freiwilliges Soziales Jahr schnuppern viele Schulabsolventen erst einmal in den Berufszweig hinein – um sich möglicherweise später für eine entsprechende Ausbildung zu entscheiden. Freiwilligendienste seien von daher eine der besten Wege, motivierte Fachkräfte in den Berufsbereichen zu gewinnen. Daher seien Einsparungen „widersinnig“.
    Noch im vergangenen Jahr hatte Bundespräsident Frank-Walter-Steinmeier sich für einen sozialen Pflichtdienst eingesetzt – also einen verpflichtenden Freiwilligendienst für alle Bürgerinnen und Bürger. „Aber wir erleben, dass beim Freiwilligendienst die Mittel gekürzt werden“, kritisierte der Diakonie-Chef. Damit spare die Bundesregierung ausgerechnet dort, „wo junge Menschen sich aus freien Stücken engagieren“.
    Auch einige Grünen-Politikerinnen und -Politiker kritisierten die Sparpläne. Und selbst das Familienministerium sei mit den Einsparungen nicht glücklich, verteidigte diese aber nichtsdestotrotz, berichtet die „Zeit“. Die Wochenzeitung zitiert eine Sprecherin des Ministeriums wie folgt: „Für das Bundesfamilienministerium gelten strikte Kürzungsvorgaben. Die vorgegebenen Einsparungen in seinem Haushalt muss das Ministerium über die gesetzliche Leistung Elterngeld, aber auch bei den freiwilligen Ausgaben, dem sogenannten Programmhaushalt, erbringen. Die Spielräume verengen sich dadurch deutlich.“
    Welche weiteren Änderungen sind beim Freiwilligendienst geplant?
    Bereits bevor die Sparmaßnahmen bekannt wurde, kritisierten zahlreiche Verbände eine mangelnde Finanzierung der Freiwilligendienste und mahnten Reformen an. „Das Finanzielle ist schon sehr lange ein Thema“, sagt Jana Eichhorn von der Deutschen Sportjugend.
    Auch in der im Mai 2023 – also vor den Sparplänen der Bundesregierung – gestarteten Petition „Freiwilligendienst stärken“ wird von einer „katastrophale Lage“ gesprochen. „Gerade junge Menschen aus einkommensschwachen Familien können, trotz Interesse, keinen Freiwilligendienst leisten. Dieses Problem wird durch Inflation und steigende Lebensunterhaltskosten weiter verschärft. Somit wird soziale Ungleichheit im Freiwilligendienst verstärkt“, heißt es in der Petition, die mittlerweile von mehr als 29.000 Menschen unterschrieben wurde.
    Die Petition fordert unter anderem eine Taschengelderhöhung, vergünstigte Zugtickets, einen Rechtsanspruch auf einen Platz im Freiwilligendienst. Auch soll das Taschengeld der Freiwilligendienstleistenden nicht mehr auf Unterhalt und Sozialleistungen der Familienangehörigen angerechnet werden, um den Dienst auch für Menschen aus finanziell schwächeren Haushalten besser zu ermöglichen.
    Einige der Kritikpunkte möchte das Bundesfamilienministerium nun in Angriff nehmen und hat Anfang November eine Gesetzesänderung auf den Weg gebracht, mit der die zugelassene Obergrenze für das Taschengeld von derzeit 438 auf 584 Euro pro Monat angehoben werden soll. Außerdem sollen Einsatzstellen Mobilitätszuschläge zahlen dürfen. Denn die konkrete Höhe des Taschengeldes legt zwar die jeweilige Einsatzstelle selbst fest, sie ist jedoch staatlich gedeckelt, um Überbietungswettbewerbe auszuschließen und eine klare Grenze zu bezahlter Arbeit zu ziehen.
    Die geplante Erhöhung des Taschengeldlimits droht durch die Sparpläne der Bundesregierung allerdings zu verpuffen. Denn: Selbst, wenn die Träger ihren Freiwilligen künftig mehr Taschengeld zahlen dürften – könnte ihnen dafür am Ende schlicht das Geld fehlen. Entsprechend kritisch sehen Wohlfahrtsverbände die Pläne der Regierung.

    lkn